Sie war noch immer sehr schön. In ihrem Antlitz lag der Ausdruck jener madonnenhaften, jungfräulichen Unschuld, mit der die christliche Mythe ihre Gottesmutter ausmalt, jenes göttliche, erdenvergessende Glück, das wir zuweilen den jungen Müttern den Reiz der mädchenhaf¬ ten Reinheit bewahren sehen. Ihr Auge, ihr schönes, großes, wasserblaues Auge, war von einer himmlischen Sanftmuth. Die langen Wimpern hingen darüber, wie Trauerweiden über dem Bild der Himmelssterne in dem friedlichen, hellklaren Spiegel eines See's, und das weiche, blonde Seidenhaar säumte mit seinen Wogen ihre ruhige Stirn, wie silberne Wolken den verklärten, träumenden Himmel. Ihre Wangen, wie zwei Purpurblüthen, strahl¬ ten den goldenen Glanz des frischen Lenzhauches. Ihre Gestalt war schlank, ihre Bewegungen fast schwebend, ihr Haupt sinnend, wie von wogenden Träumen gewiegt: sie glich einer Wasserlilie, die auf den Wellen schaukelnd,
Sie war noch immer ſehr ſchoͤn. In ihrem Antlitz lag der Ausdruck jener madonnenhaften, jungfraͤulichen Unſchuld, mit der die chriſtliche Mythe ihre Gottesmutter ausmalt, jenes goͤttliche, erdenvergeſſende Gluͤck, das wir zuweilen den jungen Muͤttern den Reiz der maͤdchenhaf¬ ten Reinheit bewahren ſehen. Ihr Auge, ihr ſchoͤnes, großes, waſſerblaues Auge, war von einer himmliſchen Sanftmuth. Die langen Wimpern hingen daruͤber, wie Trauerweiden uͤber dem Bild der Himmelsſterne in dem friedlichen, hellklaren Spiegel eines See's, und das weiche, blonde Seidenhaar ſaͤumte mit ſeinen Wogen ihre ruhige Stirn, wie ſilberne Wolken den verklaͤrten, traͤumenden Himmel. Ihre Wangen, wie zwei Purpurbluͤthen, ſtrahl¬ ten den goldenen Glanz des friſchen Lenzhauches. Ihre Geſtalt war ſchlank, ihre Bewegungen faſt ſchwebend, ihr Haupt ſinnend, wie von wogenden Traͤumen gewiegt: ſie glich einer Waſſerlilie, die auf den Wellen ſchaukelnd,
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[[69]/0083]
Sie war noch immer ſehr ſchoͤn. In ihrem Antlitz
lag der Ausdruck jener madonnenhaften, jungfraͤulichen
Unſchuld, mit der die chriſtliche Mythe ihre Gottesmutter
ausmalt, jenes goͤttliche, erdenvergeſſende Gluͤck, das wir
zuweilen den jungen Muͤttern den Reiz der maͤdchenhaf¬
ten Reinheit bewahren ſehen. Ihr Auge, ihr ſchoͤnes,
großes, waſſerblaues Auge, war von einer himmliſchen
Sanftmuth. Die langen Wimpern hingen daruͤber, wie
Trauerweiden uͤber dem Bild der Himmelsſterne in dem
friedlichen, hellklaren Spiegel eines See's, und das weiche,
blonde Seidenhaar ſaͤumte mit ſeinen Wogen ihre ruhige
Stirn, wie ſilberne Wolken den verklaͤrten, traͤumenden
Himmel. Ihre Wangen, wie zwei Purpurbluͤthen, ſtrahl¬
ten den goldenen Glanz des friſchen Lenzhauches. Ihre
Geſtalt war ſchlank, ihre Bewegungen faſt ſchwebend,
ihr Haupt ſinnend, wie von wogenden Traͤumen gewiegt:
ſie glich einer Waſſerlilie, die auf den Wellen ſchaukelnd,
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Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. [69]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/83>, abgerufen am 07.07.2024.
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