vor schon. Kenn' ich sie vielleicht? Etwa eine Be¬ kanntschaft von damals, als wir zusammen --"
Schenk warf einen zornigen Blick auf seinen Nach¬ bar und stieß das leere Glas heftig auf den Tisch.
"Nun, ereifre Dich nicht!" begütigte der Andere sogleich. "War nur neugierig, wie es eigentlich mit Dir aussieht, seit wir auseinander gekommen sind." --
"Wie im Himmel sieht's bei uns aus, wie im Himmel, Will," erwiderte Schenk mit wilder Bit¬ terkeit, "wir essen nicht und trinken nicht. Es ist ein herrliches Leben, man genießt die ganze Schöpfung, man hört die Vögel singen, man hat im Sommer die schöne Natur, im Winter das prächtige Eis, und braucht für Alles das gar Nichts zu bezahlen. Ich erinnere mich, daß der Pfaffe mir früher sagte, es sei eine Gnade Gottes, daß wir geschaffen würden und leben dürften. Ich wollte das lange nicht einsehen, aber es ist doch wahr, es liegt nur an dem Einzelnen selbst, wenn er sich das Leben verkümmert. Das Leben ist doch umsonst, wozu sich da plagen und Sorgen ma¬ chen? Es kömmt am Ende doch auf Eins heraus, ob man auf seidenen Kissen oder allmählig Hungers ge¬ storben ist." --
Armuth und Verbrechen.
vor ſchon. Kenn' ich ſie vielleicht? Etwa eine Be¬ kanntſchaft von damals, als wir zuſammen —“
Schenk warf einen zornigen Blick auf ſeinen Nach¬ bar und ſtieß das leere Glas heftig auf den Tiſch.
„Nun, ereifre Dich nicht!“ beguͤtigte der Andere ſogleich. „War nur neugierig, wie es eigentlich mit Dir ausſieht, ſeit wir auseinander gekommen ſind.“ —
„Wie im Himmel ſieht's bei uns aus, wie im Himmel, Will,“ erwiderte Schenk mit wilder Bit¬ terkeit, „wir eſſen nicht und trinken nicht. Es iſt ein herrliches Leben, man genießt die ganze Schoͤpfung, man hoͤrt die Voͤgel ſingen, man hat im Sommer die ſchoͤne Natur, im Winter das praͤchtige Eis, und braucht fuͤr Alles das gar Nichts zu bezahlen. Ich erinnere mich, daß der Pfaffe mir fruͤher ſagte, es ſei eine Gnade Gottes, daß wir geſchaffen wuͤrden und leben duͤrften. Ich wollte das lange nicht einſehen, aber es iſt doch wahr, es liegt nur an dem Einzelnen ſelbſt, wenn er ſich das Leben verkuͤmmert. Das Leben iſt doch umſonſt, wozu ſich da plagen und Sorgen ma¬ chen? Es koͤmmt am Ende doch auf Eins heraus, ob man auf ſeidenen Kiſſen oder allmaͤhlig Hungers ge¬ ſtorben iſt.“ —
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Armuth und Verbrechen.
vor ſchon. Kenn' ich ſie vielleicht? Etwa eine Be¬
kanntſchaft von damals, als wir zuſammen —“
Schenk warf einen zornigen Blick auf ſeinen Nach¬
bar und ſtieß das leere Glas heftig auf den Tiſch.
„Nun, ereifre Dich nicht!“ beguͤtigte der Andere
ſogleich. „War nur neugierig, wie es eigentlich mit
Dir ausſieht, ſeit wir auseinander gekommen ſind.“ —
„Wie im Himmel ſieht's bei uns aus, wie im
Himmel, Will,“ erwiderte Schenk mit wilder Bit¬
terkeit, „wir eſſen nicht und trinken nicht. Es iſt ein
herrliches Leben, man genießt die ganze Schoͤpfung,
man hoͤrt die Voͤgel ſingen, man hat im Sommer die
ſchoͤne Natur, im Winter das praͤchtige Eis, und braucht
fuͤr Alles das gar Nichts zu bezahlen. Ich erinnere
mich, daß der Pfaffe mir fruͤher ſagte, es ſei eine
Gnade Gottes, daß wir geſchaffen wuͤrden und leben
duͤrften. Ich wollte das lange nicht einſehen, aber es
iſt doch wahr, es liegt nur an dem Einzelnen ſelbſt,
wenn er ſich das Leben verkuͤmmert. Das Leben iſt
doch umſonſt, wozu ſich da plagen und Sorgen ma¬
chen? Es koͤmmt am Ende doch auf Eins heraus, ob
man auf ſeidenen Kiſſen oder allmaͤhlig Hungers ge¬
ſtorben iſt.“ —
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Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dronke_polizeigeschichten_1846/44>, abgerufen am 07.07.2024.
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