Dronke, Ernst: Polizei-Geschichten. Leipzig, 1846.Die Sünderin. blieb verschlossen und schweigsam in sich gekehrt. Siewidersetzte sich auch den Zumuthungen der Alten nicht mehr, und wenn, wie es jetzt öfter geschah, am Abend fremde Männer ins Haus kamen, so gehorchte sie ihr mit kalter, stumpfer Gleichgültigkeit. Fast schien es so¬ gar, als ob selbst die Gefühle für das Kind in ihr nach¬ gelassen hätten. Sie selbst war es gewesen, die zuerst vorgeschlagen hatte, die Wiege in das Gemach der Alten zu setzen, und sie sah nur eben so oft danach, als es durchaus nothwendig war. Sie vermied es beinahe, sich demselben zu nähern, wenn sie es aber that, geschah es mit einer Art zagender Scheu; Ihre Hand zitterte, indem sie es aufnahm, sie liebkos'te es nicht wie ehedem, und ihr Auge haftete nur flüchtig und nie ohne eine schmerz¬ liche Wallung auf ihm. Dazu begann ihr Aeußeres leise zu verfallen. Die Alte, welche dies mit Besorgniß be¬ merkte, suchte ihr auf plumpe, fast rohe Weise die zit¬ ternden Gefühle ihrer zweifelnden Seele zu nehmen, aber Mathilde wies sie mit gleichgültiger, resignirter Ruhe zurück. Ueber ihr ganzes Wesen lagerte sich allmählig eine krankhafte, tödtliche Erstarrung, unter der nur selten, wie das Leuchten eines todten Vulkans, die schmerzliche, schneidende Bewegung ihres Herzens hervorbrach. Die Suͤnderin. blieb verſchloſſen und ſchweigſam in ſich gekehrt. Siewiderſetzte ſich auch den Zumuthungen der Alten nicht mehr, und wenn, wie es jetzt oͤfter geſchah, am Abend fremde Maͤnner ins Haus kamen, ſo gehorchte ſie ihr mit kalter, ſtumpfer Gleichguͤltigkeit. Faſt ſchien es ſo¬ gar, als ob ſelbſt die Gefuͤhle fuͤr das Kind in ihr nach¬ gelaſſen haͤtten. Sie ſelbſt war es geweſen, die zuerſt vorgeſchlagen hatte, die Wiege in das Gemach der Alten zu ſetzen, und ſie ſah nur eben ſo oft danach, als es durchaus nothwendig war. Sie vermied es beinahe, ſich demſelben zu naͤhern, wenn ſie es aber that, geſchah es mit einer Art zagender Scheu; Ihre Hand zitterte, indem ſie es aufnahm, ſie liebkoſ'te es nicht wie ehedem, und ihr Auge haftete nur fluͤchtig und nie ohne eine ſchmerz¬ liche Wallung auf ihm. Dazu begann ihr Aeußeres leiſe zu verfallen. Die Alte, welche dies mit Beſorgniß be¬ merkte, ſuchte ihr auf plumpe, faſt rohe Weiſe die zit¬ ternden Gefuͤhle ihrer zweifelnden Seele zu nehmen, aber Mathilde wies ſie mit gleichguͤltiger, reſignirter Ruhe zuruͤck. Ueber ihr ganzes Weſen lagerte ſich allmaͤhlig eine krankhafte, toͤdtliche Erſtarrung, unter der nur ſelten, wie das Leuchten eines todten Vulkans, die ſchmerzliche, ſchneidende Bewegung ihres Herzens hervorbrach. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0100" n="86"/><fw place="top" type="header">Die Suͤnderin.<lb/></fw>blieb verſchloſſen und ſchweigſam in ſich gekehrt. Sie<lb/> widerſetzte ſich auch den Zumuthungen der Alten nicht<lb/> mehr, und wenn, wie es jetzt oͤfter geſchah, am Abend<lb/> fremde Maͤnner ins Haus kamen, ſo gehorchte ſie ihr<lb/> mit kalter, ſtumpfer Gleichguͤltigkeit. Faſt ſchien es ſo¬<lb/> gar, als ob ſelbſt die Gefuͤhle fuͤr das Kind in ihr nach¬<lb/> gelaſſen haͤtten. Sie ſelbſt war es geweſen, die zuerſt<lb/> vorgeſchlagen hatte, die Wiege in das Gemach der Alten<lb/> zu ſetzen, und ſie ſah nur eben ſo oft danach, als es<lb/> durchaus nothwendig war. Sie vermied es beinahe, ſich<lb/> demſelben zu naͤhern, wenn ſie es aber that, geſchah es<lb/> mit einer Art zagender Scheu; Ihre Hand zitterte, indem<lb/> ſie es aufnahm, ſie liebkoſ'te es nicht wie ehedem, und<lb/> ihr Auge haftete nur fluͤchtig und nie ohne eine ſchmerz¬<lb/> liche Wallung auf ihm. Dazu begann ihr Aeußeres leiſe<lb/> zu verfallen. Die Alte, welche dies mit Beſorgniß be¬<lb/> merkte, ſuchte ihr auf plumpe, faſt rohe Weiſe die zit¬<lb/> ternden Gefuͤhle ihrer zweifelnden Seele zu nehmen, aber<lb/> Mathilde wies ſie mit gleichguͤltiger, reſignirter Ruhe<lb/> zuruͤck. Ueber ihr ganzes Weſen lagerte ſich allmaͤhlig<lb/> eine krankhafte, toͤdtliche Erſtarrung, unter der nur ſelten,<lb/> wie das Leuchten eines todten Vulkans, die ſchmerzliche,<lb/> ſchneidende Bewegung ihres Herzens hervorbrach.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [86/0100]
Die Suͤnderin.
blieb verſchloſſen und ſchweigſam in ſich gekehrt. Sie
widerſetzte ſich auch den Zumuthungen der Alten nicht
mehr, und wenn, wie es jetzt oͤfter geſchah, am Abend
fremde Maͤnner ins Haus kamen, ſo gehorchte ſie ihr
mit kalter, ſtumpfer Gleichguͤltigkeit. Faſt ſchien es ſo¬
gar, als ob ſelbſt die Gefuͤhle fuͤr das Kind in ihr nach¬
gelaſſen haͤtten. Sie ſelbſt war es geweſen, die zuerſt
vorgeſchlagen hatte, die Wiege in das Gemach der Alten
zu ſetzen, und ſie ſah nur eben ſo oft danach, als es
durchaus nothwendig war. Sie vermied es beinahe, ſich
demſelben zu naͤhern, wenn ſie es aber that, geſchah es
mit einer Art zagender Scheu; Ihre Hand zitterte, indem
ſie es aufnahm, ſie liebkoſ'te es nicht wie ehedem, und
ihr Auge haftete nur fluͤchtig und nie ohne eine ſchmerz¬
liche Wallung auf ihm. Dazu begann ihr Aeußeres leiſe
zu verfallen. Die Alte, welche dies mit Beſorgniß be¬
merkte, ſuchte ihr auf plumpe, faſt rohe Weiſe die zit¬
ternden Gefuͤhle ihrer zweifelnden Seele zu nehmen, aber
Mathilde wies ſie mit gleichguͤltiger, reſignirter Ruhe
zuruͤck. Ueber ihr ganzes Weſen lagerte ſich allmaͤhlig
eine krankhafte, toͤdtliche Erſtarrung, unter der nur ſelten,
wie das Leuchten eines todten Vulkans, die ſchmerzliche,
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