Manche die christliche Obrigkeit für eine unrechtmäßi- ge Gewalt angesehen und auch gegen sie die Reser- vationen sich mögen erlaubt gehalten haben. Der na- türliche Gang der menschlichen Ideen und Empfin- dungen, die schlechte sittliche Bildung des größern Haufens der Juden; thre Erbitterung wider die sie drückende Christen, macht die Folgerung sehr wahr- scheinlich, und es kann Fälle gegeben haben, wo sie verzeihlich seyn mochte, weil es vielleicht nicht leicht war, die christliche peinigende Obrigkeit von einem gewaltsamen Rechtsräuber zu unterscheiden. Gewiß haben die jüdischen Lehrer diese Folgerung nicht vor- aus gesehen, noch weniger sie genehmiget; ihre Er- klärungen von der Heiligkeit des Eidschwurs und von dem jeder Obrigkeit schuldigen Gehorsam sind hier- über zu deutlich. Aber da sie doch natürlich und fast unvermeidlich ist, so dünkt mich, fodert die Wichtigkeit der Sache, sie ganz unmöglich zu machen.
Reser-
bers nichts wisse, wenn der König es mit Unrecht wegnehmen will. Man sieht wie gefährlich es seyn würde, die Erkenntniß über dieses Unrecht dem, der Parthey ist, zu überlassen, und wie geschwinde man sich immer weiter verirren könne, wenn man einmal durch die allemal schädlichen casuistischen Sophistereyen von dem geraden Wege der Wahr- heit abgeleitet ist.
Manche die chriſtliche Obrigkeit fuͤr eine unrechtmaͤßi- ge Gewalt angeſehen und auch gegen ſie die Reſer- vationen ſich moͤgen erlaubt gehalten haben. Der na- tuͤrliche Gang der menſchlichen Ideen und Empfin- dungen, die ſchlechte ſittliche Bildung des groͤßern Haufens der Juden; thre Erbitterung wider die ſie druͤckende Chriſten, macht die Folgerung ſehr wahr- ſcheinlich, und es kann Faͤlle gegeben haben, wo ſie verzeihlich ſeyn mochte, weil es vielleicht nicht leicht war, die chriſtliche peinigende Obrigkeit von einem gewaltſamen Rechtsraͤuber zu unterſcheiden. Gewiß haben die juͤdiſchen Lehrer dieſe Folgerung nicht vor- aus geſehen, noch weniger ſie genehmiget; ihre Er- klaͤrungen von der Heiligkeit des Eidſchwurs und von dem jeder Obrigkeit ſchuldigen Gehorſam ſind hier- uͤber zu deutlich. Aber da ſie doch natuͤrlich und faſt unvermeidlich iſt, ſo duͤnkt mich, fodert die Wichtigkeit der Sache, ſie ganz unmoͤglich zu machen.
Reſer-
bers nichts wiſſe, wenn der Koͤnig es mit Unrecht wegnehmen will. Man ſieht wie gefaͤhrlich es ſeyn wuͤrde, die Erkenntniß uͤber dieſes Unrecht dem, der Parthey iſt, zu uͤberlaſſen, und wie geſchwinde man ſich immer weiter verirren koͤnne, wenn man einmal durch die allemal ſchaͤdlichen caſuiſtiſchen Sophiſtereyen von dem geraden Wege der Wahr- heit abgeleitet iſt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0348"n="340"/>
Manche die chriſtliche Obrigkeit fuͤr eine unrechtmaͤßi-<lb/>
ge Gewalt angeſehen und auch gegen ſie die Reſer-<lb/>
vationen ſich moͤgen erlaubt gehalten haben. Der na-<lb/>
tuͤrliche Gang der menſchlichen Ideen und Empfin-<lb/>
dungen, die ſchlechte ſittliche Bildung des groͤßern<lb/>
Haufens der Juden; thre Erbitterung wider die ſie<lb/>
druͤckende Chriſten, macht die Folgerung ſehr wahr-<lb/>ſcheinlich, und es kann Faͤlle gegeben haben, wo ſie<lb/>
verzeihlich ſeyn mochte, weil es vielleicht nicht leicht<lb/>
war, die chriſtliche peinigende Obrigkeit von einem<lb/>
gewaltſamen Rechtsraͤuber zu unterſcheiden. Gewiß<lb/>
haben die juͤdiſchen Lehrer dieſe Folgerung nicht vor-<lb/>
aus geſehen, noch weniger ſie genehmiget; ihre Er-<lb/>
klaͤrungen von der Heiligkeit des Eidſchwurs und von<lb/>
dem jeder Obrigkeit ſchuldigen Gehorſam ſind hier-<lb/>
uͤber zu deutlich. Aber da ſie doch natuͤrlich und faſt<lb/>
unvermeidlich iſt, ſo duͤnkt mich, fodert die Wichtigkeit<lb/>
der Sache, ſie ganz unmoͤglich zu machen.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#aq">Reſer-</hi></fw><lb/><notexml:id="note-0348"prev="#note-0347"place="foot"n="*)">bers nichts wiſſe, wenn der Koͤnig es mit Unrecht<lb/>
wegnehmen will. Man ſieht wie gefaͤhrlich es ſeyn<lb/>
wuͤrde, die Erkenntniß uͤber dieſes Unrecht dem,<lb/>
der Parthey iſt, zu uͤberlaſſen, und wie geſchwinde<lb/>
man ſich immer weiter verirren koͤnne, wenn man<lb/>
einmal durch die allemal ſchaͤdlichen caſuiſtiſchen<lb/>
Sophiſtereyen von dem geraden Wege der Wahr-<lb/>
heit abgeleitet iſt.</note><lb/></div></div></body></text></TEI>
[340/0348]
Manche die chriſtliche Obrigkeit fuͤr eine unrechtmaͤßi-
ge Gewalt angeſehen und auch gegen ſie die Reſer-
vationen ſich moͤgen erlaubt gehalten haben. Der na-
tuͤrliche Gang der menſchlichen Ideen und Empfin-
dungen, die ſchlechte ſittliche Bildung des groͤßern
Haufens der Juden; thre Erbitterung wider die ſie
druͤckende Chriſten, macht die Folgerung ſehr wahr-
ſcheinlich, und es kann Faͤlle gegeben haben, wo ſie
verzeihlich ſeyn mochte, weil es vielleicht nicht leicht
war, die chriſtliche peinigende Obrigkeit von einem
gewaltſamen Rechtsraͤuber zu unterſcheiden. Gewiß
haben die juͤdiſchen Lehrer dieſe Folgerung nicht vor-
aus geſehen, noch weniger ſie genehmiget; ihre Er-
klaͤrungen von der Heiligkeit des Eidſchwurs und von
dem jeder Obrigkeit ſchuldigen Gehorſam ſind hier-
uͤber zu deutlich. Aber da ſie doch natuͤrlich und faſt
unvermeidlich iſt, ſo duͤnkt mich, fodert die Wichtigkeit
der Sache, ſie ganz unmoͤglich zu machen.
Reſer-
*)
*) bers nichts wiſſe, wenn der Koͤnig es mit Unrecht
wegnehmen will. Man ſieht wie gefaͤhrlich es ſeyn
wuͤrde, die Erkenntniß uͤber dieſes Unrecht dem,
der Parthey iſt, zu uͤberlaſſen, und wie geſchwinde
man ſich immer weiter verirren koͤnne, wenn man
einmal durch die allemal ſchaͤdlichen caſuiſtiſchen
Sophiſtereyen von dem geraden Wege der Wahr-
heit abgeleitet iſt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/348>, abgerufen am 28.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.