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Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783.

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der Priester, welche ehemals von Gelübden befreyen
konnten, dieses itzt, da sie nicht mehr existiren, durch
Rabbinen oder auch drey rechtschaffene Männer ge-
schehen möge oder daß an dem allgemeinen Versöh-
nungstage, auch die, durch übereilte Gelübde,
durch leichtsinnige Erwähnung des göttlichen Nah-
mens und im gemeinen Leben geschehene Betheurun-
gen begangene Sünden, vergeben werden könnten.
Dieß war bey einem Volcke, das einmal an Gelübde
gewöhnt ist, eine sehr nothwendige sittliche und poli-
tische Vorsorge, und Hr. Michaelis scheint mir sehr
bündig und scharfsinnig zu folgern, daß wo Gelübde
sind, auch eine sie unter gewissen Umständen lösende
Macht seyn müsse, und daß gerade, weil die natür-
liche und protestantische Religion eine solche Macht *)
nicht kennt, auch nach ihnen überall keine Verbind-
lichkeit der Gelübde statt finde, weil ohne jene Be-
dingung der Mißbrauch und Nachtheil zu groß und
unvermeidlich seyn würde.

Aber wirkliche vor oder außer Gericht zum Vor-
theil oder Schaden Anderer abgelegte Eyde, jähr-

lich
*) In der römisch-katholischen Kirche hat diese erlas-
sende Macht unstreitig einen weit größern Umfang
und mehrere Freyheit, als ihr nach dem jüdischen
System je zugestanden worden.

der Prieſter, welche ehemals von Geluͤbden befreyen
konnten, dieſes itzt, da ſie nicht mehr exiſtiren, durch
Rabbinen oder auch drey rechtſchaffene Maͤnner ge-
ſchehen moͤge oder daß an dem allgemeinen Verſoͤh-
nungstage, auch die, durch uͤbereilte Geluͤbde,
durch leichtſinnige Erwaͤhnung des goͤttlichen Nah-
mens und im gemeinen Leben geſchehene Betheurun-
gen begangene Suͤnden, vergeben werden koͤnnten.
Dieß war bey einem Volcke, das einmal an Geluͤbde
gewoͤhnt iſt, eine ſehr nothwendige ſittliche und poli-
tiſche Vorſorge, und Hr. Michaelis ſcheint mir ſehr
buͤndig und ſcharfſinnig zu folgern, daß wo Geluͤbde
ſind, auch eine ſie unter gewiſſen Umſtaͤnden loͤſende
Macht ſeyn muͤſſe, und daß gerade, weil die natuͤr-
liche und proteſtantiſche Religion eine ſolche Macht *)
nicht kennt, auch nach ihnen uͤberall keine Verbind-
lichkeit der Geluͤbde ſtatt finde, weil ohne jene Be-
dingung der Mißbrauch und Nachtheil zu groß und
unvermeidlich ſeyn wuͤrde.

Aber wirkliche vor oder außer Gericht zum Vor-
theil oder Schaden Anderer abgelegte Eyde, jaͤhr-

lich
*) In der roͤmiſch-katholiſchen Kirche hat dieſe erlaſ-
ſende Macht unſtreitig einen weit groͤßern Umfang
und mehrere Freyheit, als ihr nach dem juͤdiſchen
Syſtem je zugeſtanden worden.
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[315/0323] der Prieſter, welche ehemals von Geluͤbden befreyen konnten, dieſes itzt, da ſie nicht mehr exiſtiren, durch Rabbinen oder auch drey rechtſchaffene Maͤnner ge- ſchehen moͤge oder daß an dem allgemeinen Verſoͤh- nungstage, auch die, durch uͤbereilte Geluͤbde, durch leichtſinnige Erwaͤhnung des goͤttlichen Nah- mens und im gemeinen Leben geſchehene Betheurun- gen begangene Suͤnden, vergeben werden koͤnnten. Dieß war bey einem Volcke, das einmal an Geluͤbde gewoͤhnt iſt, eine ſehr nothwendige ſittliche und poli- tiſche Vorſorge, und Hr. Michaelis ſcheint mir ſehr buͤndig und ſcharfſinnig zu folgern, daß wo Geluͤbde ſind, auch eine ſie unter gewiſſen Umſtaͤnden loͤſende Macht ſeyn muͤſſe, und daß gerade, weil die natuͤr- liche und proteſtantiſche Religion eine ſolche Macht *) nicht kennt, auch nach ihnen uͤberall keine Verbind- lichkeit der Geluͤbde ſtatt finde, weil ohne jene Be- dingung der Mißbrauch und Nachtheil zu groß und unvermeidlich ſeyn wuͤrde. Aber wirkliche vor oder außer Gericht zum Vor- theil oder Schaden Anderer abgelegte Eyde, jaͤhr- lich *) In der roͤmiſch-katholiſchen Kirche hat dieſe erlaſ- ſende Macht unſtreitig einen weit groͤßern Umfang und mehrere Freyheit, als ihr nach dem juͤdiſchen Syſtem je zugeſtanden worden.

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Zitationshilfe: Dohm, Christian Conrad Wilhelm von: Über die bürgerliche Verbesserung der Juden. T. 2. Berlin u. a., 1783, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_juden02_1783/323>, abgerufen am 19.05.2024.