Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dohm, Hedwig: Erziehung zum Stimmrecht der Frau. Berlin, 1910 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 6).

Bild:
<< vorherige Seite

Ach Gott, die reifsten Männer (einschließlich der alten) werden
in Liebesfragen niemals reif; wählen nach Gottes unerforsch-
lichem Ratschluß - wie sich's grade trifft.

Amor trägt eine Binde, das weibliche Studententum dürfte
berufen sein, sie ein wenig zu lockern. Der Ehe zum Heil.



Ehe und Stimmrecht.

Ja, der Ehe zum Heil. Die Hebung des Eheniveaus scheint
mir unerläßlich für das vollwertige Menschentum der Frau.

An anderer Stelle habe ich ausführlich dargetan, daß eine
edlere Gestaltung der Ehe nur auf Grund der wirtschaftlichen
Unabhängigkeit der Frau zu erwarten sei. Die unabhängige Frau
kann des unlauteren Ehemotivs der Versorgung, das den größe-
ren Teil der Eheschließungen verschuldet, entraten.

Da Nietzsches Wort nicht wie das Wort Gottes ist, das man
nicht mißbrauchen soll, so sei hier der abgegriffenste seiner Sprüche
zitiert: "Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf,
dazu helfe dir der Garten der Ehe."

Die Ehe soll zween Herren dienen: dem Glück und der Höher-
entwickelung der Jndividuen und zugleich dem allgemeinen Wohl.

Die Form zu finden, die beide Zwecke in sich vereinigt, ist
das leidenschaftliche Suchen der modernen Welt.

Kein ehernes Gesetz der Unwandelbarkeit gibt es. Sterne
können ihren Lauf verändern. Der ganze kleine Erdball samt der
Menschheit kann in den Orkus sinken (falls der nicht mit ver-
sinken sollte). Zwischen Evolution und Revolution pendeln alle
Geschehnisse der großen und der kleinen Welt.

Zur kleinen Welt gehört die Ehe. Die Ehe, eine Jnstitution,
die einmal nicht war, die jetzt ist, und die möglicherweise einst
nicht mehr sein wird. Je nach Zeit und Völkerschaft wechselt
sie ihren Charakter. Sie weist auch in demselben Zeitalter in den
verschiedenen Ländern fundamentale Verschiedenheiten auf. Jn
jeder Geschichte der Ehe ist es nachzulesen.

Jch erinnere mich nicht, in welchem ernsten Buch ich kürzlich
las, daß die Ehe heutzutage entheiligt ist und unfruchtbar ge-
worden, weil man sie von ihrer Höhe herabgezogen hat.

Jch staune. Von ihrer Höhe? Wann stand sie auf der Höhe?

Möglicherweise bei jenen halb- oder ganz wilden Völker-
schaften, die den Ehebruch mit martervoller Tötung straften, wie
es noch heut bei dem Negerstamm der Kaka geschieht, ein Stamm,
der noch auf öffentlichen Märkten Menschenfleisch ausbietet.

Ach Gott, die reifsten Männer (einschließlich der alten) werden
in Liebesfragen niemals reif; wählen nach Gottes unerforsch-
lichem Ratschluß – wie sich's grade trifft.

Amor trägt eine Binde, das weibliche Studententum dürfte
berufen sein, sie ein wenig zu lockern. Der Ehe zum Heil.



Ehe und Stimmrecht.

Ja, der Ehe zum Heil. Die Hebung des Eheniveaus scheint
mir unerläßlich für das vollwertige Menschentum der Frau.

An anderer Stelle habe ich ausführlich dargetan, daß eine
edlere Gestaltung der Ehe nur auf Grund der wirtschaftlichen
Unabhängigkeit der Frau zu erwarten sei. Die unabhängige Frau
kann des unlauteren Ehemotivs der Versorgung, das den größe-
ren Teil der Eheschließungen verschuldet, entraten.

Da Nietzsches Wort nicht wie das Wort Gottes ist, das man
nicht mißbrauchen soll, so sei hier der abgegriffenste seiner Sprüche
zitiert: „Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf,
dazu helfe dir der Garten der Ehe.“

Die Ehe soll zween Herren dienen: dem Glück und der Höher-
entwickelung der Jndividuen und zugleich dem allgemeinen Wohl.

Die Form zu finden, die beide Zwecke in sich vereinigt, ist
das leidenschaftliche Suchen der modernen Welt.

Kein ehernes Gesetz der Unwandelbarkeit gibt es. Sterne
können ihren Lauf verändern. Der ganze kleine Erdball samt der
Menschheit kann in den Orkus sinken (falls der nicht mit ver-
sinken sollte). Zwischen Evolution und Revolution pendeln alle
Geschehnisse der großen und der kleinen Welt.

Zur kleinen Welt gehört die Ehe. Die Ehe, eine Jnstitution,
die einmal nicht war, die jetzt ist, und die möglicherweise einst
nicht mehr sein wird. Je nach Zeit und Völkerschaft wechselt
sie ihren Charakter. Sie weist auch in demselben Zeitalter in den
verschiedenen Ländern fundamentale Verschiedenheiten auf. Jn
jeder Geschichte der Ehe ist es nachzulesen.

Jch erinnere mich nicht, in welchem ernsten Buch ich kürzlich
las, daß die Ehe heutzutage entheiligt ist und unfruchtbar ge-
worden, weil man sie von ihrer Höhe herabgezogen hat.

Jch staune. Von ihrer Höhe? Wann stand sie auf der Höhe?

Möglicherweise bei jenen halb- oder ganz wilden Völker-
schaften, die den Ehebruch mit martervoller Tötung straften, wie
es noch heut bei dem Negerstamm der Kaka geschieht, ein Stamm,
der noch auf öffentlichen Märkten Menschenfleisch ausbietet.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0015" n="14"/>
        <p>Ach Gott, die reifsten Männer (einschließlich der alten) werden<lb/>
in Liebesfragen niemals reif; wählen nach Gottes unerforsch-<lb/>
lichem Ratschluß &#x2013; wie sich's grade trifft.</p><lb/>
        <p>Amor trägt eine Binde, das weibliche Studententum dürfte<lb/>
berufen sein, sie ein wenig zu lockern. Der Ehe zum Heil.</p><lb/>
      </div>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head>Ehe und Stimmrecht.</head><lb/>
        <p>Ja, der Ehe zum Heil. Die Hebung des Eheniveaus scheint<lb/>
mir unerläßlich für das vollwertige Menschentum der Frau.</p><lb/>
        <p>An anderer Stelle habe ich ausführlich dargetan, daß eine<lb/>
edlere Gestaltung der Ehe nur auf Grund der wirtschaftlichen<lb/>
Unabhängigkeit der Frau zu erwarten sei. Die unabhängige Frau<lb/>
kann des unlauteren Ehemotivs der Versorgung, das den größe-<lb/>
ren Teil der Eheschließungen verschuldet, entraten.</p><lb/>
        <p>Da Nietzsches Wort nicht wie das Wort Gottes ist, das man<lb/>
nicht mißbrauchen soll, so sei hier der abgegriffenste seiner Sprüche<lb/>
zitiert: &#x201E;Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf,<lb/>
dazu helfe dir der Garten der Ehe.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Ehe soll zween Herren dienen: dem Glück und der Höher-<lb/>
entwickelung der Jndividuen und zugleich dem allgemeinen Wohl.</p><lb/>
        <p>Die Form zu finden, die beide Zwecke in sich vereinigt, ist<lb/>
das leidenschaftliche Suchen der modernen Welt.</p><lb/>
        <p>Kein ehernes Gesetz der Unwandelbarkeit gibt es. Sterne<lb/>
können ihren Lauf verändern. Der ganze kleine Erdball samt der<lb/>
Menschheit kann in den Orkus sinken (falls der nicht mit ver-<lb/>
sinken sollte). Zwischen Evolution und Revolution pendeln alle<lb/>
Geschehnisse der großen und der kleinen Welt.</p><lb/>
        <p>Zur kleinen Welt gehört die Ehe. Die Ehe, eine Jnstitution,<lb/>
die einmal nicht war, die jetzt ist, und die möglicherweise einst<lb/>
nicht mehr sein wird. Je nach Zeit und Völkerschaft wechselt<lb/>
sie ihren Charakter. Sie weist auch in demselben Zeitalter in den<lb/>
verschiedenen Ländern fundamentale Verschiedenheiten auf. Jn<lb/>
jeder Geschichte der Ehe ist es nachzulesen.</p><lb/>
        <p>Jch erinnere mich nicht, in welchem ernsten Buch ich kürzlich<lb/>
las, daß die Ehe heutzutage entheiligt ist und unfruchtbar ge-<lb/>
worden, weil man sie von ihrer Höhe herabgezogen hat.</p><lb/>
        <p>Jch staune. Von ihrer Höhe? Wann stand sie auf der Höhe?</p><lb/>
        <p>Möglicherweise bei jenen halb- oder ganz wilden Völker-<lb/>
schaften, die den Ehebruch mit martervoller Tötung straften, wie<lb/>
es noch heut bei dem Negerstamm der Kaka geschieht, ein Stamm,<lb/>
der noch auf öffentlichen Märkten Menschenfleisch ausbietet.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0015] Ach Gott, die reifsten Männer (einschließlich der alten) werden in Liebesfragen niemals reif; wählen nach Gottes unerforsch- lichem Ratschluß – wie sich's grade trifft. Amor trägt eine Binde, das weibliche Studententum dürfte berufen sein, sie ein wenig zu lockern. Der Ehe zum Heil. Ehe und Stimmrecht. Ja, der Ehe zum Heil. Die Hebung des Eheniveaus scheint mir unerläßlich für das vollwertige Menschentum der Frau. An anderer Stelle habe ich ausführlich dargetan, daß eine edlere Gestaltung der Ehe nur auf Grund der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Frau zu erwarten sei. Die unabhängige Frau kann des unlauteren Ehemotivs der Versorgung, das den größe- ren Teil der Eheschließungen verschuldet, entraten. Da Nietzsches Wort nicht wie das Wort Gottes ist, das man nicht mißbrauchen soll, so sei hier der abgegriffenste seiner Sprüche zitiert: „Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf, dazu helfe dir der Garten der Ehe.“ Die Ehe soll zween Herren dienen: dem Glück und der Höher- entwickelung der Jndividuen und zugleich dem allgemeinen Wohl. Die Form zu finden, die beide Zwecke in sich vereinigt, ist das leidenschaftliche Suchen der modernen Welt. Kein ehernes Gesetz der Unwandelbarkeit gibt es. Sterne können ihren Lauf verändern. Der ganze kleine Erdball samt der Menschheit kann in den Orkus sinken (falls der nicht mit ver- sinken sollte). Zwischen Evolution und Revolution pendeln alle Geschehnisse der großen und der kleinen Welt. Zur kleinen Welt gehört die Ehe. Die Ehe, eine Jnstitution, die einmal nicht war, die jetzt ist, und die möglicherweise einst nicht mehr sein wird. Je nach Zeit und Völkerschaft wechselt sie ihren Charakter. Sie weist auch in demselben Zeitalter in den verschiedenen Ländern fundamentale Verschiedenheiten auf. Jn jeder Geschichte der Ehe ist es nachzulesen. Jch erinnere mich nicht, in welchem ernsten Buch ich kürzlich las, daß die Ehe heutzutage entheiligt ist und unfruchtbar ge- worden, weil man sie von ihrer Höhe herabgezogen hat. Jch staune. Von ihrer Höhe? Wann stand sie auf der Höhe? Möglicherweise bei jenen halb- oder ganz wilden Völker- schaften, die den Ehebruch mit martervoller Tötung straften, wie es noch heut bei dem Negerstamm der Kaka geschieht, ein Stamm, der noch auf öffentlichen Märkten Menschenfleisch ausbietet.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-09-14T13:15:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-09-14T13:15:52Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja; /p>




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_erziehung_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_erziehung_1910/15
Zitationshilfe: Dohm, Hedwig: Erziehung zum Stimmrecht der Frau. Berlin, 1910 (= Schriften des Preußischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, Bd. 6), S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dohm_erziehung_1910/15>, abgerufen am 24.11.2024.