Dincklage, Emmy von: Der Striethast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [180]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.dem Matrosen einschmeicheln, damit er mich demnächst auf dem Twistbrink als Tagelöhner behalten thut? Es entstand eine kurze, erwartungsvolle Pause des Schweigens, dann wandte sich Anntrin gegen den Tagelöhner, so daß die ganze Colonne stehen bleiben mußte. Hermanton, sprach die Erbin und stemmte ihre große, arbeitskräftige Hand, die an jedem Finger breite Goldringe trug, in die Seite, -- Hermanton, um dir zu wissen zu geben, wer auf dem Twistbrink commandirt, kündige ich dir von heut ab die Arbeit auf dem Hofe. Wenn ich keinen andern Degesmann (Freiwerber) mehr finde, so will ich mich an dich wenden. Damit: stop! Hätte Tacitus in dieser Mitternachtsstunde eine Geisterpromenade gemacht, um die Spuren der römischen Legionen aufzusuchen, gewiß, es müßte den alten Historiker gefreut haben, Anntrin in Mondscheinbeleuchtung da stehen zu sehen, voll ernsten, gemessen strafenden Zornes! Denn ihre kräftige Gestalt, ihr lichtblondes Haar, ihr blaues, unerschrockenes Auge -- es war ja Alles so, als ob sie, eine der Mägde Thusnelda's, durch Jahrhunderte und Jahrtausende dahinschritte in ewiger Kraft und Jugend, die Trägerin des geheimnißvollsten und unveräußerlichsten Erbtheils, des der Stammeseigenthümlichkeit! Hermanton, dessen Interesse keineswegs mit dem des Tacitus Hand in Hand ging, war durch das urgermanische Mondscheinbild seiner Arbeitsgeberin in trauriger Art ernüchtert. Wenn auch die Brinkhofleute dem Matrosen einschmeicheln, damit er mich demnächst auf dem Twistbrink als Tagelöhner behalten thut? Es entstand eine kurze, erwartungsvolle Pause des Schweigens, dann wandte sich Anntrin gegen den Tagelöhner, so daß die ganze Colonne stehen bleiben mußte. Hermanton, sprach die Erbin und stemmte ihre große, arbeitskräftige Hand, die an jedem Finger breite Goldringe trug, in die Seite, — Hermanton, um dir zu wissen zu geben, wer auf dem Twistbrink commandirt, kündige ich dir von heut ab die Arbeit auf dem Hofe. Wenn ich keinen andern Degesmann (Freiwerber) mehr finde, so will ich mich an dich wenden. Damit: stop! Hätte Tacitus in dieser Mitternachtsstunde eine Geisterpromenade gemacht, um die Spuren der römischen Legionen aufzusuchen, gewiß, es müßte den alten Historiker gefreut haben, Anntrin in Mondscheinbeleuchtung da stehen zu sehen, voll ernsten, gemessen strafenden Zornes! Denn ihre kräftige Gestalt, ihr lichtblondes Haar, ihr blaues, unerschrockenes Auge — es war ja Alles so, als ob sie, eine der Mägde Thusnelda's, durch Jahrhunderte und Jahrtausende dahinschritte in ewiger Kraft und Jugend, die Trägerin des geheimnißvollsten und unveräußerlichsten Erbtheils, des der Stammeseigenthümlichkeit! Hermanton, dessen Interesse keineswegs mit dem des Tacitus Hand in Hand ging, war durch das urgermanische Mondscheinbild seiner Arbeitsgeberin in trauriger Art ernüchtert. Wenn auch die Brinkhofleute <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0011"/> dem Matrosen einschmeicheln, damit er mich demnächst auf dem Twistbrink als Tagelöhner behalten thut?</p><lb/> <p>Es entstand eine kurze, erwartungsvolle Pause des Schweigens, dann wandte sich Anntrin gegen den Tagelöhner, so daß die ganze Colonne stehen bleiben mußte. Hermanton, sprach die Erbin und stemmte ihre große, arbeitskräftige Hand, die an jedem Finger breite Goldringe trug, in die Seite, — Hermanton, um dir zu wissen zu geben, wer auf dem Twistbrink commandirt, kündige ich dir von heut ab die Arbeit auf dem Hofe. Wenn ich keinen andern Degesmann (Freiwerber) mehr finde, so will ich mich an dich wenden. Damit: stop!</p><lb/> <p>Hätte Tacitus in dieser Mitternachtsstunde eine Geisterpromenade gemacht, um die Spuren der römischen Legionen aufzusuchen, gewiß, es müßte den alten Historiker gefreut haben, Anntrin in Mondscheinbeleuchtung da stehen zu sehen, voll ernsten, gemessen strafenden Zornes! Denn ihre kräftige Gestalt, ihr lichtblondes Haar, ihr blaues, unerschrockenes Auge — es war ja Alles so, als ob sie, eine der Mägde Thusnelda's, durch Jahrhunderte und Jahrtausende dahinschritte in ewiger Kraft und Jugend, die Trägerin des geheimnißvollsten und unveräußerlichsten Erbtheils, des der Stammeseigenthümlichkeit!</p><lb/> <p>Hermanton, dessen Interesse keineswegs mit dem des Tacitus Hand in Hand ging, war durch das urgermanische Mondscheinbild seiner Arbeitsgeberin in trauriger Art ernüchtert. Wenn auch die Brinkhofleute<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0011]
dem Matrosen einschmeicheln, damit er mich demnächst auf dem Twistbrink als Tagelöhner behalten thut?
Es entstand eine kurze, erwartungsvolle Pause des Schweigens, dann wandte sich Anntrin gegen den Tagelöhner, so daß die ganze Colonne stehen bleiben mußte. Hermanton, sprach die Erbin und stemmte ihre große, arbeitskräftige Hand, die an jedem Finger breite Goldringe trug, in die Seite, — Hermanton, um dir zu wissen zu geben, wer auf dem Twistbrink commandirt, kündige ich dir von heut ab die Arbeit auf dem Hofe. Wenn ich keinen andern Degesmann (Freiwerber) mehr finde, so will ich mich an dich wenden. Damit: stop!
Hätte Tacitus in dieser Mitternachtsstunde eine Geisterpromenade gemacht, um die Spuren der römischen Legionen aufzusuchen, gewiß, es müßte den alten Historiker gefreut haben, Anntrin in Mondscheinbeleuchtung da stehen zu sehen, voll ernsten, gemessen strafenden Zornes! Denn ihre kräftige Gestalt, ihr lichtblondes Haar, ihr blaues, unerschrockenes Auge — es war ja Alles so, als ob sie, eine der Mägde Thusnelda's, durch Jahrhunderte und Jahrtausende dahinschritte in ewiger Kraft und Jugend, die Trägerin des geheimnißvollsten und unveräußerlichsten Erbtheils, des der Stammeseigenthümlichkeit!
Hermanton, dessen Interesse keineswegs mit dem des Tacitus Hand in Hand ging, war durch das urgermanische Mondscheinbild seiner Arbeitsgeberin in trauriger Art ernüchtert. Wenn auch die Brinkhofleute
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Zitationshilfe: | Dincklage, Emmy von: Der Striethast. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [180]–219. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dincklage_striethast_1910/11>, abgerufen am 22.07.2024. |