Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_468.001 Wie in der Religion und Philosophie wird auch in pdi_468.008 3. An dieser Stelle können wir nun das Historische mit pdi_468.018 pdi_468.001 Wie in der Religion und Philosophie wird auch in pdi_468.008 3. An dieser Stelle können wir nun das Historische mit pdi_468.018 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0170" n="468"/><lb n="pdi_468.001"/> Menschen überhaupt auf dem Gebiete des Sinnens, Betrachtens <lb n="pdi_468.002"/> und Denkens fähig ist. Das Genie des Herrschers oder des <lb n="pdi_468.003"/> Staatsmanns bringt die spröden Thatsachen selber in eine nach <lb n="pdi_468.004"/> ihrer Coordination mögliche Zweckeinheit. Es ist dem des <lb n="pdi_468.005"/> Künstlers oder Philosophen der Richtung nach entgegengesetzt, <lb n="pdi_468.006"/> aber dem Umfang und der Grösse nach verwandt.</p> <lb n="pdi_468.007"/> <p> <hi rendition="#et"> Wie in der Religion und Philosophie wird auch in <lb n="pdi_468.008"/> der Kunst, insbesondere in der Poesie durch einen geschichtlich <lb n="pdi_468.009"/> schöpferischen Vorgang die Coordination von <lb n="pdi_468.010"/> Bestandtheilen, die in einer Zeit besteht und in sich <lb n="pdi_468.011"/> schon Causalverknüpfung und Verwandtschaft enthält, <lb n="pdi_468.012"/> zu einer das Vorhandene überschreitenden Einheit verknüpft. <lb n="pdi_468.013"/> So baut sich aus einem ursprünglich Mannigfachen, <lb n="pdi_468.014"/> Bestandtheilen und deren einzelnen Beziehungen, <lb n="pdi_468.015"/> durch die Leistung des Genies erst die Einheit <lb n="pdi_468.016"/> auf, welche wir als Geist eines Zeitalters bezeichnen.</hi> </p> <lb n="pdi_468.017"/> <p> 3. An dieser Stelle können wir nun das <hi rendition="#g">Historische mit <lb n="pdi_468.018"/> dem Psychologischen</hi> zusammenschliessen. Wir entwickelten <lb n="pdi_468.019"/> einen psychologischen Begriff vom erworbenen Zusammenhang <lb n="pdi_468.020"/> unseres Seelenlebens und setzten ihn zu dem Schaffen des <lb n="pdi_468.021"/> Dichters in Beziehung. Dieser erworbene Zusammenhang repräsentirt <lb n="pdi_468.022"/> in dem grossen Menschen das vorhandene Gefüge der <lb n="pdi_468.023"/> coordinirten Thatsachen: Sätze, Werthbestimmungen und Zwecke <lb n="pdi_468.024"/> in einer feinen, richtigen Weise. Er wirkt dann auf die Processe, <lb n="pdi_468.025"/> welche im Bewusstsein stattfinden. So wird das dichterische <lb n="pdi_468.026"/> Werk zum Spiegel der Zeit. Shakespeare hat diese <lb n="pdi_468.027"/> Leistung der Poesie mit künstlerischem Bewusstsein, zunächst <lb n="pdi_468.028"/> in Bezug auf das Drama, im Hamlet formulirt. „Der Zweck <lb n="pdi_468.029"/> des Schauspiels war sowohl Anfangs als er jetzt ist, der Natur <lb n="pdi_468.030"/> gleichsam den Spiegel vorzuhalten; der Tugend ihre eigenen <lb n="pdi_468.031"/> Züge, der Schmach ihr eignes Bild, und dem Jahrhunderte und <lb n="pdi_468.032"/> Körper der Zeit den Abdruck seiner Gestalt zu zeigen.“ Hier <lb n="pdi_468.033"/> löst sich das Räthsel, wie ein Zeitalter in Fabeln, Handlungen <lb n="pdi_468.034"/> und Charakteren seiner Poeten sich selber und uns gegenständlich <lb n="pdi_468.035"/> werden kann. Der erworbene Zusammenhang des <lb n="pdi_468.036"/> Seelenlebens in einem grossen Menschen ist causal bedingt und </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [468/0170]
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Menschen überhaupt auf dem Gebiete des Sinnens, Betrachtens pdi_468.002
und Denkens fähig ist. Das Genie des Herrschers oder des pdi_468.003
Staatsmanns bringt die spröden Thatsachen selber in eine nach pdi_468.004
ihrer Coordination mögliche Zweckeinheit. Es ist dem des pdi_468.005
Künstlers oder Philosophen der Richtung nach entgegengesetzt, pdi_468.006
aber dem Umfang und der Grösse nach verwandt.
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Wie in der Religion und Philosophie wird auch in pdi_468.008
der Kunst, insbesondere in der Poesie durch einen geschichtlich pdi_468.009
schöpferischen Vorgang die Coordination von pdi_468.010
Bestandtheilen, die in einer Zeit besteht und in sich pdi_468.011
schon Causalverknüpfung und Verwandtschaft enthält, pdi_468.012
zu einer das Vorhandene überschreitenden Einheit verknüpft. pdi_468.013
So baut sich aus einem ursprünglich Mannigfachen, pdi_468.014
Bestandtheilen und deren einzelnen Beziehungen, pdi_468.015
durch die Leistung des Genies erst die Einheit pdi_468.016
auf, welche wir als Geist eines Zeitalters bezeichnen.
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3. An dieser Stelle können wir nun das Historische mit pdi_468.018
dem Psychologischen zusammenschliessen. Wir entwickelten pdi_468.019
einen psychologischen Begriff vom erworbenen Zusammenhang pdi_468.020
unseres Seelenlebens und setzten ihn zu dem Schaffen des pdi_468.021
Dichters in Beziehung. Dieser erworbene Zusammenhang repräsentirt pdi_468.022
in dem grossen Menschen das vorhandene Gefüge der pdi_468.023
coordinirten Thatsachen: Sätze, Werthbestimmungen und Zwecke pdi_468.024
in einer feinen, richtigen Weise. Er wirkt dann auf die Processe, pdi_468.025
welche im Bewusstsein stattfinden. So wird das dichterische pdi_468.026
Werk zum Spiegel der Zeit. Shakespeare hat diese pdi_468.027
Leistung der Poesie mit künstlerischem Bewusstsein, zunächst pdi_468.028
in Bezug auf das Drama, im Hamlet formulirt. „Der Zweck pdi_468.029
des Schauspiels war sowohl Anfangs als er jetzt ist, der Natur pdi_468.030
gleichsam den Spiegel vorzuhalten; der Tugend ihre eigenen pdi_468.031
Züge, der Schmach ihr eignes Bild, und dem Jahrhunderte und pdi_468.032
Körper der Zeit den Abdruck seiner Gestalt zu zeigen.“ Hier pdi_468.033
löst sich das Räthsel, wie ein Zeitalter in Fabeln, Handlungen pdi_468.034
und Charakteren seiner Poeten sich selber und uns gegenständlich pdi_468.035
werden kann. Der erworbene Zusammenhang des pdi_468.036
Seelenlebens in einem grossen Menschen ist causal bedingt und
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