Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_445.001 7. Die Transformation des Stoffes vollzieht sich von pdi_445.012 Poetische Stimmungen, Aggregate von Gefühlen, die pdi_445.022 Psychologie und Literaturgeschichte werden gemeinsam die pdi_445.001 7. Die Transformation des Stoffes vollzieht sich von pdi_445.012 Poetische Stimmungen, Aggregate von Gefühlen, die pdi_445.022 Psychologie und Literaturgeschichte werden gemeinsam die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0147" n="445"/><lb n="pdi_445.001"/> gewesen. So wird Goethe, in seinen Selbst-Darstellungen aufgefasst, <lb n="pdi_445.002"/> das verkörperte Ideal seines Zeitalters, und Faust ist der <lb n="pdi_445.003"/> umfassende Tropus, in welchem er sein ganzes Leben erblicken <lb n="pdi_445.004"/> liess.“ Wie ich in solchen Sätzen in der bezeichneten Abhandlung <lb n="pdi_445.005"/> die poetische Technik Goethes zu entwickeln gesucht habe, so <lb n="pdi_445.006"/> könnte auch die der beiden grossen pathologischen Dichter, <lb n="pdi_445.007"/> Rousseau und Byron, aus solcher Verfahrungsart der Phantasie <lb n="pdi_445.008"/> anschaulich erklärt werden. In seiner ersten Epoche hat ebenso <lb n="pdi_445.009"/> Schiller vorwiegend aus seinen eigenen persönlichen Zuständen <lb n="pdi_445.010"/> das innere Leben seiner Helden geschöpft.</p> <lb n="pdi_445.011"/> <p> 7. Die Transformation des Stoffes vollzieht sich von <lb n="pdi_445.012"/> den Gefühlen aus, diese aber sind sehr zusammengesetzt. <lb n="pdi_445.013"/> Wir nennen ein Aggregat von Gefühlen, dessen Bestandtheile <lb n="pdi_445.014"/> nicht heftig und stark auftreten, aber längere <lb n="pdi_445.015"/> Dauer und grosse Expansivkraft haben, eine Stimmung. Gefühlsverbindungen <lb n="pdi_445.016"/> solcher Art sind nach ihren Eigenschaften für <lb n="pdi_445.017"/> poetisches Schaffen und poetischen Eindruck geeignet. Wir <lb n="pdi_445.018"/> nennen sie dann <hi rendition="#g">poetische Stimmungen.</hi> Die Stimmung, <lb n="pdi_445.019"/> die in der Hervorbringung eines Werkes wirkt, wird auch durch <lb n="pdi_445.020"/> das Auffassen desselben hervorgerufen.</p> <lb n="pdi_445.021"/> <p> <hi rendition="#et"> Poetische Stimmungen, Aggregate von Gefühlen, die <lb n="pdi_445.022"/> nicht heftig wirken, aber andauern und sich allen Vorgängen <lb n="pdi_445.023"/> mittheilen, bewirken die Veränderungen in den <lb n="pdi_445.024"/> Bildern nach den dargestellten Gesetzen. Die Mannigfaltigkeit <lb n="pdi_445.025"/> solcher Gefühlsaggregate ist unbegrenzt. Aber <lb n="pdi_445.026"/> die geschichtliche Continuität in der dichterischen Technik <lb n="pdi_445.027"/> hat zur Folge, dass an bevorzugten Punkten dieser <lb n="pdi_445.028"/> Mannigfaltigkeit, welche für dichterisches Schaffen und <lb n="pdi_445.029"/> Geniessen besonders günstig sind, poetische Stimmungen <lb n="pdi_445.030"/> festgehalten, ausgebildet und durch Werke überliefert <lb n="pdi_445.031"/> werden. Sie stellen sich in den ästhetischen Kategorien <lb n="pdi_445.032"/> des Ideal-Schönen, Erhabenen, Tragischen, in welches <lb n="pdi_445.033"/> dann das Hässliche gemischt sein kann, andrerseits des <lb n="pdi_445.034"/> Rührenden, des Komischen und des Anmuthigen oder <lb n="pdi_445.035"/> Zierlichen dar.</hi> </p> <lb n="pdi_445.036"/> <p> Psychologie und Literaturgeschichte werden gemeinsam die </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [445/0147]
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gewesen. So wird Goethe, in seinen Selbst-Darstellungen aufgefasst, pdi_445.002
das verkörperte Ideal seines Zeitalters, und Faust ist der pdi_445.003
umfassende Tropus, in welchem er sein ganzes Leben erblicken pdi_445.004
liess.“ Wie ich in solchen Sätzen in der bezeichneten Abhandlung pdi_445.005
die poetische Technik Goethes zu entwickeln gesucht habe, so pdi_445.006
könnte auch die der beiden grossen pathologischen Dichter, pdi_445.007
Rousseau und Byron, aus solcher Verfahrungsart der Phantasie pdi_445.008
anschaulich erklärt werden. In seiner ersten Epoche hat ebenso pdi_445.009
Schiller vorwiegend aus seinen eigenen persönlichen Zuständen pdi_445.010
das innere Leben seiner Helden geschöpft.
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7. Die Transformation des Stoffes vollzieht sich von pdi_445.012
den Gefühlen aus, diese aber sind sehr zusammengesetzt. pdi_445.013
Wir nennen ein Aggregat von Gefühlen, dessen Bestandtheile pdi_445.014
nicht heftig und stark auftreten, aber längere pdi_445.015
Dauer und grosse Expansivkraft haben, eine Stimmung. Gefühlsverbindungen pdi_445.016
solcher Art sind nach ihren Eigenschaften für pdi_445.017
poetisches Schaffen und poetischen Eindruck geeignet. Wir pdi_445.018
nennen sie dann poetische Stimmungen. Die Stimmung, pdi_445.019
die in der Hervorbringung eines Werkes wirkt, wird auch durch pdi_445.020
das Auffassen desselben hervorgerufen.
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Poetische Stimmungen, Aggregate von Gefühlen, die pdi_445.022
nicht heftig wirken, aber andauern und sich allen Vorgängen pdi_445.023
mittheilen, bewirken die Veränderungen in den pdi_445.024
Bildern nach den dargestellten Gesetzen. Die Mannigfaltigkeit pdi_445.025
solcher Gefühlsaggregate ist unbegrenzt. Aber pdi_445.026
die geschichtliche Continuität in der dichterischen Technik pdi_445.027
hat zur Folge, dass an bevorzugten Punkten dieser pdi_445.028
Mannigfaltigkeit, welche für dichterisches Schaffen und pdi_445.029
Geniessen besonders günstig sind, poetische Stimmungen pdi_445.030
festgehalten, ausgebildet und durch Werke überliefert pdi_445.031
werden. Sie stellen sich in den ästhetischen Kategorien pdi_445.032
des Ideal-Schönen, Erhabenen, Tragischen, in welches pdi_445.033
dann das Hässliche gemischt sein kann, andrerseits des pdi_445.034
Rührenden, des Komischen und des Anmuthigen oder pdi_445.035
Zierlichen dar.
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Psychologie und Literaturgeschichte werden gemeinsam die
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