Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_405.001 Mit den Aeusserungen Goethe's und den verwandten Selbstzeugnissen pdi_405.009 Andere Selbstzeugnisse gestatten einen noch tieferen Blick in pdi_405.023 1) pdi_405.034 an Körner, 25. Mai 1792. 2) pdi_405.035
Schiller an Goethe, 18. März 1796. pdi_405.001 Mit den Aeusserungen Goethe's und den verwandten Selbstzeugnissen pdi_405.009 Andere Selbstzeugnisse gestatten einen noch tieferen Blick in pdi_405.023 1) pdi_405.034 an Körner, 25. Mai 1792. 2) pdi_405.035
Schiller an Goethe, 18. März 1796. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0107" n="405"/><lb n="pdi_405.001"/> leicht ist.“ Von <hi rendition="#g">Richard Wagner</hi> wird mir (durch H. von <lb n="pdi_405.002"/> Stein) die mündliche Aeusserung mitgetheilt, er habe in Paris, <lb n="pdi_405.003"/> mit den deutschen Sagen beschäftigt, alle seine Stoffe zugleich <lb n="pdi_405.004"/> vor sich gesehen. Siegfried, Tannhäuser, Lohengrin, Tristan, <lb n="pdi_405.005"/> Parzival, auch die Meistersänger, und zwar in ganz bestimmten <lb n="pdi_405.006"/> Einzelanschauungen, so eine Scene aus den Meistersängern, <lb n="pdi_405.007"/> eine bestimmte sagenhafte Begegnung.</p> <lb n="pdi_405.008"/> <p> Mit den Aeusserungen Goethe's und den verwandten Selbstzeugnissen <lb n="pdi_405.009"/> ist zunächst das Selbstzeugniss eines russischen Dichters <lb n="pdi_405.010"/> <hi rendition="#g">Gontscharof</hi> ganz im Einklang: „immer schwebt mir eine bestimmte <lb n="pdi_405.011"/> Gestalt und dabei ein Hauptmotiv vor: an seiner Hand <lb n="pdi_405.012"/> schreite ich vorwärts und ergreife unterwegs, was mir zufällig <lb n="pdi_405.013"/> in die Hände fällt, d. h. nur was sich darauf näher bezieht. Dann <lb n="pdi_405.014"/> arbeite ich emsig, fleissig, so rasch, dass die Feder kaum den <lb n="pdi_405.015"/> Gedanken folgen kann, bis ich wieder auf eine Mauer stosse. <lb n="pdi_405.016"/> Unterdess arbeitet mein Kopf weiter; die Personen lassen mir <lb n="pdi_405.017"/> keine Ruhe, erscheinen in verschiedenen Scenen; ich glaube <lb n="pdi_405.018"/> Bruchstücke ihrer Gespräche zu hören, und schon oft ist es <lb n="pdi_405.019"/> mir vorgekommen, als seien das nicht meine Gedanken, sondern <lb n="pdi_405.020"/> als schwebe dies Alles um mich her, und ich brauche nur hinzusehen, <lb n="pdi_405.021"/> um mich hineinzuversetzen.“</p> <lb n="pdi_405.022"/> <p> Andere Selbstzeugnisse gestatten einen noch tieferen Blick in <lb n="pdi_405.023"/> den Vorgang. Sie erläutern, was wir über den Einfluss der Gefühle <lb n="pdi_405.024"/> auf das dichterische Schaffen erörtert haben. <hi rendition="#g">Stimmung, Gefühlslage</hi> <lb n="pdi_405.025"/> werden in diesen Zeugnissen als <hi rendition="#g">Ausgangspunkt</hi> <lb n="pdi_405.026"/> des Vorgangs herausgehoben. Ich beginne mit <hi rendition="#g">Schiller</hi><note xml:id="PDI_405_1" place="foot" n="1)"><lb n="pdi_405.034"/> an Körner, 25. Mai 1792.</note>: „Ich <lb n="pdi_405.027"/> glaube, es ist nicht immer die lebhafte Vorstellung seines Stoffs, <lb n="pdi_405.028"/> sondern oft nur ein Bedürfniss nach Stoff, ein unbestimmter <lb n="pdi_405.029"/> Drang nach Ergiessung strebender Gefühle, was Werke der Begeisterung <lb n="pdi_405.030"/> erzeugt. Das Musikalische eines Gedichtes schwebt mir <lb n="pdi_405.031"/> weit öfter vor der Seele, wenn ich mich hinsetze, es zu machen, <lb n="pdi_405.032"/> als der klare Begriff vom Inhalt, über den ich oft kaum mit mir <lb n="pdi_405.033"/> einig bin.“ Bei Entstehung des Wallenstein<note xml:id="PDI_405_2" place="foot" n="2)"><lb n="pdi_405.035"/> Schiller an Goethe, 18. März 1796.</note>: „Bei mir ist die </p> </div> </body> </text> </TEI> [405/0107]
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leicht ist.“ Von Richard Wagner wird mir (durch H. von pdi_405.002
Stein) die mündliche Aeusserung mitgetheilt, er habe in Paris, pdi_405.003
mit den deutschen Sagen beschäftigt, alle seine Stoffe zugleich pdi_405.004
vor sich gesehen. Siegfried, Tannhäuser, Lohengrin, Tristan, pdi_405.005
Parzival, auch die Meistersänger, und zwar in ganz bestimmten pdi_405.006
Einzelanschauungen, so eine Scene aus den Meistersängern, pdi_405.007
eine bestimmte sagenhafte Begegnung.
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Mit den Aeusserungen Goethe's und den verwandten Selbstzeugnissen pdi_405.009
ist zunächst das Selbstzeugniss eines russischen Dichters pdi_405.010
Gontscharof ganz im Einklang: „immer schwebt mir eine bestimmte pdi_405.011
Gestalt und dabei ein Hauptmotiv vor: an seiner Hand pdi_405.012
schreite ich vorwärts und ergreife unterwegs, was mir zufällig pdi_405.013
in die Hände fällt, d. h. nur was sich darauf näher bezieht. Dann pdi_405.014
arbeite ich emsig, fleissig, so rasch, dass die Feder kaum den pdi_405.015
Gedanken folgen kann, bis ich wieder auf eine Mauer stosse. pdi_405.016
Unterdess arbeitet mein Kopf weiter; die Personen lassen mir pdi_405.017
keine Ruhe, erscheinen in verschiedenen Scenen; ich glaube pdi_405.018
Bruchstücke ihrer Gespräche zu hören, und schon oft ist es pdi_405.019
mir vorgekommen, als seien das nicht meine Gedanken, sondern pdi_405.020
als schwebe dies Alles um mich her, und ich brauche nur hinzusehen, pdi_405.021
um mich hineinzuversetzen.“
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Andere Selbstzeugnisse gestatten einen noch tieferen Blick in pdi_405.023
den Vorgang. Sie erläutern, was wir über den Einfluss der Gefühle pdi_405.024
auf das dichterische Schaffen erörtert haben. Stimmung, Gefühlslage pdi_405.025
werden in diesen Zeugnissen als Ausgangspunkt pdi_405.026
des Vorgangs herausgehoben. Ich beginne mit Schiller 1): „Ich pdi_405.027
glaube, es ist nicht immer die lebhafte Vorstellung seines Stoffs, pdi_405.028
sondern oft nur ein Bedürfniss nach Stoff, ein unbestimmter pdi_405.029
Drang nach Ergiessung strebender Gefühle, was Werke der Begeisterung pdi_405.030
erzeugt. Das Musikalische eines Gedichtes schwebt mir pdi_405.031
weit öfter vor der Seele, wenn ich mich hinsetze, es zu machen, pdi_405.032
als der klare Begriff vom Inhalt, über den ich oft kaum mit mir pdi_405.033
einig bin.“ Bei Entstehung des Wallenstein 2): „Bei mir ist die
1) pdi_405.034
an Körner, 25. Mai 1792.
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Schiller an Goethe, 18. März 1796.
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