Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_403.001 Das beständige Bilden und Umbilden, welches im Dichter pdi_403.004 An die Schlummerbilder schliessen sich einerseits die Gestalten pdi_403.012 Hiermit steht das Traumartige in Verbindung, das zuweilen pdi_403.034 1) pdi_403.035
Eckermann, III 304. pdi_403.001 Das beständige Bilden und Umbilden, welches im Dichter pdi_403.004 An die Schlummerbilder schliessen sich einerseits die Gestalten pdi_403.012 Hiermit steht das Traumartige in Verbindung, das zuweilen pdi_403.034 1) pdi_403.035
Eckermann, III 304. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0105" n="403"/><lb n="pdi_403.001"/> geistigen Vorgängen in festen Beziehungen steht), sowie Betonung <lb n="pdi_403.002"/> und Rhythmus in der Rede begründet.</p> <lb n="pdi_403.003"/> <p> Das beständige Bilden und Umbilden, welches im Dichter <lb n="pdi_403.004"/> stattfindet, wird fassbarer, wenn man es an diese einfacheren <lb n="pdi_403.005"/> Thatsachen der Einbildungskraft hält. Wo wir in ein Dichterleben <lb n="pdi_403.006"/> blicken können, sehen wir, wie von diesem unablässigen <lb n="pdi_403.007"/> inneren Gestalten und Versuchen nur Weniges zur Ausführung <lb n="pdi_403.008"/> kommt. Auch das ist im Tasso ergreifend ausgesprochen. Und es <lb n="pdi_403.009"/> hat sein Analogon in dem unablässigen Wechsel der Gestalten, <lb n="pdi_403.010"/> welchen der Traum, dieser verborgene Poet in uns, hervorbringt.</p> <lb n="pdi_403.011"/> <p> An die Schlummerbilder schliessen sich einerseits die Gestalten <lb n="pdi_403.012"/> des <hi rendition="#g">Traumes,</hi> andrerseits die Schöpfungen des Dichters <lb n="pdi_403.013"/> an. Johannes Müller selber hebt hervor, wie diese Bilder unmerklich <lb n="pdi_403.014"/> „in die Traumbilder des Schlafes übergehen.“ Die <lb n="pdi_403.015"/> allgemeine Form des Geschehens im Traum ist die an den <lb n="pdi_403.016"/> Schlummerbildern beobachtete; die in den Sinnesfeldern gegebenen <lb n="pdi_403.017"/> Elemente reproduciren die Bilder oder die Gewöhnungen <lb n="pdi_403.018"/> von Verbindungen zwischen Bildelementen; Transformationen <lb n="pdi_403.019"/> nach den dargelegten Gesetzen finden statt, und nun führt die <lb n="pdi_403.020"/> Aufmerksamkeit in dem Zeitverlauf, dessen sie zur Herstellung <lb n="pdi_403.021"/> der Bilder bedarf, ein triebartiges Entfalten, Umwandlung <lb n="pdi_403.022"/> eines Bildes in das andere herbei. Ueber das Verhältniss der <lb n="pdi_403.023"/> Schlummerbilder zu dem Schaffen des <hi rendition="#g">Dichters</hi> sagt <hi rendition="#g">Goethe</hi> <lb n="pdi_403.024"/> in einer an die mitgetheilte Beschreibung angeschlossenen Betrachtung <lb n="pdi_403.025"/> (S. 127): „man sieht deutlicher ein, was es heissen <lb n="pdi_403.026"/> wolle, dass Dichter und alle eigentlichen Künstler geboren sein <lb n="pdi_403.027"/> müssen. Es muss nämlich ihre innere productive Kraft jene <lb n="pdi_403.028"/> Nachbilder, die im Organe, in der Erinnerung, in der Einbildungskraft <lb n="pdi_403.029"/> zurückgebliebenen Idole freiwillig, ohne Vorsatz <lb n="pdi_403.030"/> und Wollen lebendig hervorthun, sie müssen sich entfalten, <lb n="pdi_403.031"/> wachsen, sich ausdehnen und zusammenziehn, um aus flüchtigen <lb n="pdi_403.032"/> Schemen wahrhaft gegenständliche Wesen zu werden.“</p> <lb n="pdi_403.033"/> <p> Hiermit steht das Traumartige in Verbindung, das zuweilen <lb n="pdi_403.034"/> im dichterischen Schaffen bemerkbar ist. So erzählt <hi rendition="#g">Goethe</hi><note xml:id="PDI_403_1" place="foot" n="1)"><lb n="pdi_403.035"/> Eckermann, III 304.</note> </p> </div> </body> </text> </TEI> [403/0105]
pdi_403.001
geistigen Vorgängen in festen Beziehungen steht), sowie Betonung pdi_403.002
und Rhythmus in der Rede begründet.
pdi_403.003
Das beständige Bilden und Umbilden, welches im Dichter pdi_403.004
stattfindet, wird fassbarer, wenn man es an diese einfacheren pdi_403.005
Thatsachen der Einbildungskraft hält. Wo wir in ein Dichterleben pdi_403.006
blicken können, sehen wir, wie von diesem unablässigen pdi_403.007
inneren Gestalten und Versuchen nur Weniges zur Ausführung pdi_403.008
kommt. Auch das ist im Tasso ergreifend ausgesprochen. Und es pdi_403.009
hat sein Analogon in dem unablässigen Wechsel der Gestalten, pdi_403.010
welchen der Traum, dieser verborgene Poet in uns, hervorbringt.
pdi_403.011
An die Schlummerbilder schliessen sich einerseits die Gestalten pdi_403.012
des Traumes, andrerseits die Schöpfungen des Dichters pdi_403.013
an. Johannes Müller selber hebt hervor, wie diese Bilder unmerklich pdi_403.014
„in die Traumbilder des Schlafes übergehen.“ Die pdi_403.015
allgemeine Form des Geschehens im Traum ist die an den pdi_403.016
Schlummerbildern beobachtete; die in den Sinnesfeldern gegebenen pdi_403.017
Elemente reproduciren die Bilder oder die Gewöhnungen pdi_403.018
von Verbindungen zwischen Bildelementen; Transformationen pdi_403.019
nach den dargelegten Gesetzen finden statt, und nun führt die pdi_403.020
Aufmerksamkeit in dem Zeitverlauf, dessen sie zur Herstellung pdi_403.021
der Bilder bedarf, ein triebartiges Entfalten, Umwandlung pdi_403.022
eines Bildes in das andere herbei. Ueber das Verhältniss der pdi_403.023
Schlummerbilder zu dem Schaffen des Dichters sagt Goethe pdi_403.024
in einer an die mitgetheilte Beschreibung angeschlossenen Betrachtung pdi_403.025
(S. 127): „man sieht deutlicher ein, was es heissen pdi_403.026
wolle, dass Dichter und alle eigentlichen Künstler geboren sein pdi_403.027
müssen. Es muss nämlich ihre innere productive Kraft jene pdi_403.028
Nachbilder, die im Organe, in der Erinnerung, in der Einbildungskraft pdi_403.029
zurückgebliebenen Idole freiwillig, ohne Vorsatz pdi_403.030
und Wollen lebendig hervorthun, sie müssen sich entfalten, pdi_403.031
wachsen, sich ausdehnen und zusammenziehn, um aus flüchtigen pdi_403.032
Schemen wahrhaft gegenständliche Wesen zu werden.“
pdi_403.033
Hiermit steht das Traumartige in Verbindung, das zuweilen pdi_403.034
im dichterischen Schaffen bemerkbar ist. So erzählt Goethe 1)
1) pdi_403.035
Eckermann, III 304.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: DTABf-getreu; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |