Dilthey, Wilhelm: Die Einbildungskraft des Dichters: Bausteine für eine Poetik. In: Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctor-Jubiläum gewidmet. (= Philosphische Aufsätze, 10.) Leipzig, 1887, S. 303–482.pdi_402.001 Zunächst erweitern wir den Umkreis der Betrachtung durch pdi_402.017 Diesen Erscheinungen auf dem Gebiet der Gesichtsvorstellungen pdi_402.028 pdi_402.001 Zunächst erweitern wir den Umkreis der Betrachtung durch pdi_402.017 Diesen Erscheinungen auf dem Gebiet der Gesichtsvorstellungen pdi_402.028 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0104" n="402"/><lb n="pdi_402.001"/> in demselben lässt uns unter diesem Einfluss des Aufmerkens <lb n="pdi_402.002"/> irgend eine gewohnte Verbindung dieser Elemente in sie verlegen, <lb n="pdi_402.003"/> oder die so angeregte Verbindungsweise macht sich freier <lb n="pdi_402.004"/> gemäss den eben dargelegten Gesetzen geltend (Goethe S. 127). <lb n="pdi_402.005"/> Und zwar findet nach unseren psychologischen Darlegungen hier <lb n="pdi_402.006"/> ein Vorgang statt, der etwas Triebartiges hat und als Entfaltung <lb n="pdi_402.007"/> der Bilder sich darstellt. Diese Entfaltung über das Wirkliche <lb n="pdi_402.008"/> hinaus in den Schlummerbildern ist die Verification unsrer <lb n="pdi_402.009"/> psychologischen Darstellung. In den Wahlverwandtschaften, <lb n="pdi_402.010"/> welche im Geiste unseres Jahrhunderts die physiologische Bedingtheit <lb n="pdi_402.011"/> der höchsten Offenbarungen des Gemüthslebens aufzeigen, <lb n="pdi_402.012"/> wird diese Kraft der Goethe'schen Phantasie auf Ottilien <lb n="pdi_402.013"/> übertragen: zwischen Schlaf und Wachen erblickt sie in einem <lb n="pdi_402.014"/> erleuchteten Raum den abwesenden Geliebten in wechselnden <lb n="pdi_402.015"/> Stellungen und Situationen.</p> <lb n="pdi_402.016"/> <p> Zunächst erweitern wir den Umkreis der Betrachtung durch <lb n="pdi_402.017"/> die angrenzenden Thatsachen. Dem Vorgang in den Schlummerbildern <lb n="pdi_402.018"/> ist der verwandt, in welchem <hi rendition="#g">Arabeske</hi> oder <hi rendition="#g">Ornament</hi> <lb n="pdi_402.019"/> entstehen. Jedoch ist hier die Willensbetheiligung wirksam, <lb n="pdi_402.020"/> und so entsteht hier willkürliches Bilden und Schaffen in künstlerischer <lb n="pdi_402.021"/> Absicht. Die Gewöhnungen des Vorstellens wirken, <lb n="pdi_402.022"/> Symmetrie und Einheit in der Mannigfaltigkeit herzustellen. <lb n="pdi_402.023"/> Erfahrungen über mechanische Beziehungen zwischen den Massen, <lb n="pdi_402.024"/> zwischen Kraft und Last üben ihren Einfluss. Schliesslich überschreitet <lb n="pdi_402.025"/> aber der Vorgang des Schaffens, wie vielfach er auch <lb n="pdi_402.026"/> in den Erfahrungen bedingt ist, Alles in diesen Gegebene.</p> <lb n="pdi_402.027"/> <p> Diesen Erscheinungen auf dem Gebiet der Gesichtsvorstellungen <lb n="pdi_402.028"/> entspricht eine andere Reihe aus dem der Gehörsvorstellungen: <lb n="pdi_402.029"/> das <hi rendition="#g">Spielen</hi> des <hi rendition="#g">Kindes</hi> mit dem <hi rendition="#g">Tonwechsel.</hi> <lb n="pdi_402.030"/> Wie dasselbe der Ausdruck überschüssiger Kraft ist, <lb n="pdi_402.031"/> ist es in der Morgenfrühe beim Kinde am stärksten. Höhe und <lb n="pdi_402.032"/> Tiefe der Töne, Stärke und Schnelligkeit in ihrer Abfolge und <lb n="pdi_402.033"/> selbst der Vocalwechsel stehen zu den Stimmungen des Kindes in <lb n="pdi_402.034"/> gesetzmässigen Beziehungen. Auf diesem Verhältniss sind dann <lb n="pdi_402.035"/> der Ausdruck in der Musik, gewisse natürliche Elemente aller <lb n="pdi_402.036"/> Sprachen (nämlich das Symbolische im Tonmaterial, das zu </p> </div> </body> </text> </TEI> [402/0104]
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in demselben lässt uns unter diesem Einfluss des Aufmerkens pdi_402.002
irgend eine gewohnte Verbindung dieser Elemente in sie verlegen, pdi_402.003
oder die so angeregte Verbindungsweise macht sich freier pdi_402.004
gemäss den eben dargelegten Gesetzen geltend (Goethe S. 127). pdi_402.005
Und zwar findet nach unseren psychologischen Darlegungen hier pdi_402.006
ein Vorgang statt, der etwas Triebartiges hat und als Entfaltung pdi_402.007
der Bilder sich darstellt. Diese Entfaltung über das Wirkliche pdi_402.008
hinaus in den Schlummerbildern ist die Verification unsrer pdi_402.009
psychologischen Darstellung. In den Wahlverwandtschaften, pdi_402.010
welche im Geiste unseres Jahrhunderts die physiologische Bedingtheit pdi_402.011
der höchsten Offenbarungen des Gemüthslebens aufzeigen, pdi_402.012
wird diese Kraft der Goethe'schen Phantasie auf Ottilien pdi_402.013
übertragen: zwischen Schlaf und Wachen erblickt sie in einem pdi_402.014
erleuchteten Raum den abwesenden Geliebten in wechselnden pdi_402.015
Stellungen und Situationen.
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Zunächst erweitern wir den Umkreis der Betrachtung durch pdi_402.017
die angrenzenden Thatsachen. Dem Vorgang in den Schlummerbildern pdi_402.018
ist der verwandt, in welchem Arabeske oder Ornament pdi_402.019
entstehen. Jedoch ist hier die Willensbetheiligung wirksam, pdi_402.020
und so entsteht hier willkürliches Bilden und Schaffen in künstlerischer pdi_402.021
Absicht. Die Gewöhnungen des Vorstellens wirken, pdi_402.022
Symmetrie und Einheit in der Mannigfaltigkeit herzustellen. pdi_402.023
Erfahrungen über mechanische Beziehungen zwischen den Massen, pdi_402.024
zwischen Kraft und Last üben ihren Einfluss. Schliesslich überschreitet pdi_402.025
aber der Vorgang des Schaffens, wie vielfach er auch pdi_402.026
in den Erfahrungen bedingt ist, Alles in diesen Gegebene.
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Diesen Erscheinungen auf dem Gebiet der Gesichtsvorstellungen pdi_402.028
entspricht eine andere Reihe aus dem der Gehörsvorstellungen: pdi_402.029
das Spielen des Kindes mit dem Tonwechsel. pdi_402.030
Wie dasselbe der Ausdruck überschüssiger Kraft ist, pdi_402.031
ist es in der Morgenfrühe beim Kinde am stärksten. Höhe und pdi_402.032
Tiefe der Töne, Stärke und Schnelligkeit in ihrer Abfolge und pdi_402.033
selbst der Vocalwechsel stehen zu den Stimmungen des Kindes in pdi_402.034
gesetzmässigen Beziehungen. Auf diesem Verhältniss sind dann pdi_402.035
der Ausdruck in der Musik, gewisse natürliche Elemente aller pdi_402.036
Sprachen (nämlich das Symbolische im Tonmaterial, das zu
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