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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Ihr Studium m. dem d. äuß. Organisation d. Gesellschaft verbunden.
zeugniß eines Bestandtheils der menschlichen Natur, einer in ihm
angelegten, durch den Zweckzusammenhang des gesellschaftlichen
Lebens näher bestimmten Thätigkeit. Es ist in dieser der Gesell-
schaft aller Zeiten gemeinsamen Grundlage angelegt, wenn es auch
erst auf einer höheren Kulturstufe zu abgesonderter und innerlich
reicher Entfaltung gelangt. In einem stärkeren oder geringeren
Grade stehen nun diese Systeme mit der äußeren Organisation
der Gesellschaft in Beziehung, und dies Verhältniß bedingt ihre
nähere Gestaltung. Insbesondere kann das Studium der Systeme,
in welche das praktische Handeln der Gesellschaft sich zerlegt hat, von
dem Studium des politischen Körpers nicht getrennt werden, da
sein Wille alle äußeren Handlungen der ihm unterworfenen In-
dividuen beeinflußt.

Die Beziehungen zwischen den Systemen der Kultur und der
äußeren Organisation der Gesellschaft. Das Recht
.

Das vorige Kapitel war der Darlegung des Unterschieds
zwischen den Systemen der Kultur und der äußeren Organisation
der Gesellschaft gewidmet. Das Kapitel, in welchem der Leser sich
befindet und das die Wissenschaften von den Systemen der Kultur
behandelt, hat zunächst auf der Grundlage dieser Darlegung den
Begriff eines Systems der Kultur entwickelt. Von der Auffassung
des Unterschieds zwischen den Systemen der Kultur und der
äußeren Organisation der Gesellschaft wenden wir uns nun zu
der Auffassung der Beziehungen zwischen ihnen.

Goethe hat in seiner reifen Epoche, in welcher seine natur-
wissenschaftliche Betrachtungsweise durch den Fortgang zur Zer-
gliederung der geschichtlichen Welt erst zu einer Weltansicht sich
erweiterte, nach dem Tode seines Freundes Karl August, aus
der Einsamkeit von Dornburg (Juli 1828), seine Ansicht der ge-
schichtlichen Welt folgendermaßen ausgedrückt. Er geht von dem
Blick auf das Schloß und die Gegend unter ihm aus; so entsteht
ihm ein anschauliches Bild für die abstrakte Wahrheit: "die ver-
nünftige Welt sei von Geschlecht zu Geschlecht auf ein folgerechtes

Dilthey, Einleitung. 5

Ihr Studium m. dem d. äuß. Organiſation d. Geſellſchaft verbunden.
zeugniß eines Beſtandtheils der menſchlichen Natur, einer in ihm
angelegten, durch den Zweckzuſammenhang des geſellſchaftlichen
Lebens näher beſtimmten Thätigkeit. Es iſt in dieſer der Geſell-
ſchaft aller Zeiten gemeinſamen Grundlage angelegt, wenn es auch
erſt auf einer höheren Kulturſtufe zu abgeſonderter und innerlich
reicher Entfaltung gelangt. In einem ſtärkeren oder geringeren
Grade ſtehen nun dieſe Syſteme mit der äußeren Organiſation
der Geſellſchaft in Beziehung, und dies Verhältniß bedingt ihre
nähere Geſtaltung. Insbeſondere kann das Studium der Syſteme,
in welche das praktiſche Handeln der Geſellſchaft ſich zerlegt hat, von
dem Studium des politiſchen Körpers nicht getrennt werden, da
ſein Wille alle äußeren Handlungen der ihm unterworfenen In-
dividuen beeinflußt.

Die Beziehungen zwiſchen den Syſtemen der Kultur und der
äußeren Organiſation der Geſellſchaft. Das Recht
.

Das vorige Kapitel war der Darlegung des Unterſchieds
zwiſchen den Syſtemen der Kultur und der äußeren Organiſation
der Geſellſchaft gewidmet. Das Kapitel, in welchem der Leſer ſich
befindet und das die Wiſſenſchaften von den Syſtemen der Kultur
behandelt, hat zunächſt auf der Grundlage dieſer Darlegung den
Begriff eines Syſtems der Kultur entwickelt. Von der Auffaſſung
des Unterſchieds zwiſchen den Syſtemen der Kultur und der
äußeren Organiſation der Geſellſchaft wenden wir uns nun zu
der Auffaſſung der Beziehungen zwiſchen ihnen.

Goethe hat in ſeiner reifen Epoche, in welcher ſeine natur-
wiſſenſchaftliche Betrachtungsweiſe durch den Fortgang zur Zer-
gliederung der geſchichtlichen Welt erſt zu einer Weltanſicht ſich
erweiterte, nach dem Tode ſeines Freundes Karl Auguſt, aus
der Einſamkeit von Dornburg (Juli 1828), ſeine Anſicht der ge-
ſchichtlichen Welt folgendermaßen ausgedrückt. Er geht von dem
Blick auf das Schloß und die Gegend unter ihm aus; ſo entſteht
ihm ein anſchauliches Bild für die abſtrakte Wahrheit: „die ver-
nünftige Welt ſei von Geſchlecht zu Geſchlecht auf ein folgerechtes

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[65/0088] Ihr Studium m. dem d. äuß. Organiſation d. Geſellſchaft verbunden. zeugniß eines Beſtandtheils der menſchlichen Natur, einer in ihm angelegten, durch den Zweckzuſammenhang des geſellſchaftlichen Lebens näher beſtimmten Thätigkeit. Es iſt in dieſer der Geſell- ſchaft aller Zeiten gemeinſamen Grundlage angelegt, wenn es auch erſt auf einer höheren Kulturſtufe zu abgeſonderter und innerlich reicher Entfaltung gelangt. In einem ſtärkeren oder geringeren Grade ſtehen nun dieſe Syſteme mit der äußeren Organiſation der Geſellſchaft in Beziehung, und dies Verhältniß bedingt ihre nähere Geſtaltung. Insbeſondere kann das Studium der Syſteme, in welche das praktiſche Handeln der Geſellſchaft ſich zerlegt hat, von dem Studium des politiſchen Körpers nicht getrennt werden, da ſein Wille alle äußeren Handlungen der ihm unterworfenen In- dividuen beeinflußt. Die Beziehungen zwiſchen den Syſtemen der Kultur und der äußeren Organiſation der Geſellſchaft. Das Recht. Das vorige Kapitel war der Darlegung des Unterſchieds zwiſchen den Syſtemen der Kultur und der äußeren Organiſation der Geſellſchaft gewidmet. Das Kapitel, in welchem der Leſer ſich befindet und das die Wiſſenſchaften von den Syſtemen der Kultur behandelt, hat zunächſt auf der Grundlage dieſer Darlegung den Begriff eines Syſtems der Kultur entwickelt. Von der Auffaſſung des Unterſchieds zwiſchen den Syſtemen der Kultur und der äußeren Organiſation der Geſellſchaft wenden wir uns nun zu der Auffaſſung der Beziehungen zwiſchen ihnen. Goethe hat in ſeiner reifen Epoche, in welcher ſeine natur- wiſſenſchaftliche Betrachtungsweiſe durch den Fortgang zur Zer- gliederung der geſchichtlichen Welt erſt zu einer Weltanſicht ſich erweiterte, nach dem Tode ſeines Freundes Karl Auguſt, aus der Einſamkeit von Dornburg (Juli 1828), ſeine Anſicht der ge- ſchichtlichen Welt folgendermaßen ausgedrückt. Er geht von dem Blick auf das Schloß und die Gegend unter ihm aus; ſo entſteht ihm ein anſchauliches Bild für die abſtrakte Wahrheit: „die ver- nünftige Welt ſei von Geſchlecht zu Geſchlecht auf ein folgerechtes Dilthey, Einleitung. 5

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/88>, abgerufen am 24.11.2024.