Von diesen Schwierigkeiten hervorgetrieben, tritt der Sub- stanzbegriff auf. Wie wir geschichtlich nachwiesen, ist er aus dem Bedürfniß entstanden, das Feste, welches wir in jedem Dinge als beharrliche Einheit annahmen, gedankenmäßig zu er- fassen und zur Lösung der Aufgabe zu verwerthen, die wechseln- den Eindrücke auf ein Bleibendes, in dem sie verbunden sind, zu beziehen. Aber da er nichts als die wissenschaftliche Bearbeitung der Dingvorstellung ist, so entfaltet er die in dieser gelegenen Schwierigkeiten nur deutlicher. Selbst das metaphysische Genie des Aristoteles sahen wir vergebens ringen, diese aufzulösen. Auch ist es umsonst, wenn nun die Substanz in das Atom verlegt wird. Denn mit ihr werden auch ihre Widersprüche in dieses untheilbare Räumliche, dieses Ding im Kleinen verlegt, und die Naturwissenschaft muß sich begnügen, sofern sie den Begriff von etwas bildet, das in unsrem Naturlauf nicht weiter zerlegt werden kann, diese Schwierigkeiten nur von sich auszuschließen: auf ihre Lösung verzichtet sie. So wandelt sich der metaphysische Begriff des Atoms in einen bloßen Hilfsbegriff zur Beherrschung der Er- fahrungen. Eben so wenig werden die Schwierigkeiten gelöst, wenn die Substanz der Dinge in ihre Form verlegt wird. Vergeblich sahen wir die ganze Metaphysik der substantialen Formen mit den Schwierigkeiten dieses Begriffes ringen, und die Wissen- schaft muß sich auch hier schließlich, ihre Grenzen gegen das Un- erforschliche wahrend, damit begnügen, diesen Begriff als ein bloßes Symbol für einen Thatbestand zu behandeln, welcher sich dem Erkennen, wenn es den Zusammenhang der Thatsachen aufsucht, als objektive Einheit in denselben darbietet, jedoch in seinem realen Gehalt unauflöslich ist.
Und im Kern des Substanzbegriffs selber, mag man ihn auf Atome oder auf Naturformen beziehen, bleibt eine nicht zu be- wältigende Schwierigkeit. Die Wissenschaft von einem denknoth- wendigen Zusammenhang der Außenwelt drängt dahin, die Substanz als eine feste Größe zu behandeln und sonach Wechsel, Werden und Veränderung in die Relationen dieser Elemente zu verlegen. Aber sobald dies Verfahren mehr als Hilfskonstruktion der Bedingungen
Zweites Buch. Vierter Abſchnitt.
Von dieſen Schwierigkeiten hervorgetrieben, tritt der Sub- ſtanzbegriff auf. Wie wir geſchichtlich nachwieſen, iſt er aus dem Bedürfniß entſtanden, das Feſte, welches wir in jedem Dinge als beharrliche Einheit annahmen, gedankenmäßig zu er- faſſen und zur Löſung der Aufgabe zu verwerthen, die wechſeln- den Eindrücke auf ein Bleibendes, in dem ſie verbunden ſind, zu beziehen. Aber da er nichts als die wiſſenſchaftliche Bearbeitung der Dingvorſtellung iſt, ſo entfaltet er die in dieſer gelegenen Schwierigkeiten nur deutlicher. Selbſt das metaphyſiſche Genie des Ariſtoteles ſahen wir vergebens ringen, dieſe aufzulöſen. Auch iſt es umſonſt, wenn nun die Subſtanz in das Atom verlegt wird. Denn mit ihr werden auch ihre Widerſprüche in dieſes untheilbare Räumliche, dieſes Ding im Kleinen verlegt, und die Naturwiſſenſchaft muß ſich begnügen, ſofern ſie den Begriff von etwas bildet, das in unſrem Naturlauf nicht weiter zerlegt werden kann, dieſe Schwierigkeiten nur von ſich auszuſchließen: auf ihre Löſung verzichtet ſie. So wandelt ſich der metaphyſiſche Begriff des Atoms in einen bloßen Hilfsbegriff zur Beherrſchung der Er- fahrungen. Eben ſo wenig werden die Schwierigkeiten gelöſt, wenn die Subſtanz der Dinge in ihre Form verlegt wird. Vergeblich ſahen wir die ganze Metaphyſik der ſubſtantialen Formen mit den Schwierigkeiten dieſes Begriffes ringen, und die Wiſſen- ſchaft muß ſich auch hier ſchließlich, ihre Grenzen gegen das Un- erforſchliche wahrend, damit begnügen, dieſen Begriff als ein bloßes Symbol für einen Thatbeſtand zu behandeln, welcher ſich dem Erkennen, wenn es den Zuſammenhang der Thatſachen aufſucht, als objektive Einheit in denſelben darbietet, jedoch in ſeinem realen Gehalt unauflöslich iſt.
Und im Kern des Subſtanzbegriffs ſelber, mag man ihn auf Atome oder auf Naturformen beziehen, bleibt eine nicht zu be- wältigende Schwierigkeit. Die Wiſſenſchaft von einem denknoth- wendigen Zuſammenhang der Außenwelt drängt dahin, die Subſtanz als eine feſte Größe zu behandeln und ſonach Wechſel, Werden und Veränderung in die Relationen dieſer Elemente zu verlegen. Aber ſobald dies Verfahren mehr als Hilfskonſtruktion der Bedingungen
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Zweites Buch. Vierter Abſchnitt.
Von dieſen Schwierigkeiten hervorgetrieben, tritt der Sub-
ſtanzbegriff auf. Wie wir geſchichtlich nachwieſen, iſt er aus
dem Bedürfniß entſtanden, das Feſte, welches wir in jedem
Dinge als beharrliche Einheit annahmen, gedankenmäßig zu er-
faſſen und zur Löſung der Aufgabe zu verwerthen, die wechſeln-
den Eindrücke auf ein Bleibendes, in dem ſie verbunden ſind, zu
beziehen. Aber da er nichts als die wiſſenſchaftliche Bearbeitung
der Dingvorſtellung iſt, ſo entfaltet er die in dieſer gelegenen
Schwierigkeiten nur deutlicher. Selbſt das metaphyſiſche Genie des
Ariſtoteles ſahen wir vergebens ringen, dieſe aufzulöſen. Auch
iſt es umſonſt, wenn nun die Subſtanz in das Atom verlegt
wird. Denn mit ihr werden auch ihre Widerſprüche in dieſes
untheilbare Räumliche, dieſes Ding im Kleinen verlegt, und die
Naturwiſſenſchaft muß ſich begnügen, ſofern ſie den Begriff von
etwas bildet, das in unſrem Naturlauf nicht weiter zerlegt werden
kann, dieſe Schwierigkeiten nur von ſich auszuſchließen: auf ihre
Löſung verzichtet ſie. So wandelt ſich der metaphyſiſche Begriff
des Atoms in einen bloßen Hilfsbegriff zur Beherrſchung der Er-
fahrungen. Eben ſo wenig werden die Schwierigkeiten gelöſt,
wenn die Subſtanz der Dinge in ihre Form verlegt wird.
Vergeblich ſahen wir die ganze Metaphyſik der ſubſtantialen Formen
mit den Schwierigkeiten dieſes Begriffes ringen, und die Wiſſen-
ſchaft muß ſich auch hier ſchließlich, ihre Grenzen gegen das Un-
erforſchliche wahrend, damit begnügen, dieſen Begriff als ein bloßes
Symbol für einen Thatbeſtand zu behandeln, welcher ſich dem
Erkennen, wenn es den Zuſammenhang der Thatſachen aufſucht,
als objektive Einheit in denſelben darbietet, jedoch in ſeinem realen
Gehalt unauflöslich iſt.
Und im Kern des Subſtanzbegriffs ſelber, mag man ihn auf
Atome oder auf Naturformen beziehen, bleibt eine nicht zu be-
wältigende Schwierigkeit. Die Wiſſenſchaft von einem denknoth-
wendigen Zuſammenhang der Außenwelt drängt dahin, die Subſtanz
als eine feſte Größe zu behandeln und ſonach Wechſel, Werden und
Veränderung in die Relationen dieſer Elemente zu verlegen. Aber
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/531>, abgerufen am 22.11.2024.
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