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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Zweites Buch. Vierter Abschnitt.
deutet der Satz des zureichenden Grundes die Behauptung von
einem lückenlosen, logischen Zusammenhang, der jede Thatsache und
entsprechend jeden Satz in sich faßt; er ist die Formel für das von
Aristoteles in engerem Umfang aufgestellte Prinzip der Metaphy-
sik 1), welches nunmehr nicht nur den Zusammenhang des Kosmos
in Begriffen d. h. ewigen Formen, sondern den Grund jeder Ver-
änderung und zwar auch in der geistigen Welt in sich faßt.

Christian Wolff hat diesen Satz darauf zurückgeführt, daß
nicht aus Nichts ein Etwas entstehen könne, sonach auf das Prin-
zip des Erkennens, aus dem wir seit Parmenides die Metaphysik
ihre Sätze ableiten sahen. "Wenn ein Ding A etwas in sich ent-
hält, daraus man verstehen kann, warum B ist, B mag entweder
etwas in A oder außer A sein, so nennet man dasjenige, was in
A anzutreffen ist, den Grund von B; A selbst heißet die Ursache,
und von B saget man, es sei in A gegründet. Nemlich der
Grund ist dasjenige, wodurch man verstehen kann, warum etwas
ist, und die Ursache ist ein Ding, welches den Grund von einem
anderen in sich enthält." -- "Wo etwas vorhanden ist, woraus man
begreifen kann, warum es ist, das hat einen zureichenden Grund.
Derowegen wo keiner vorhanden ist, da ist nichts, woraus man
begreifen kann, warum etwas ist, nemlich warum es wirklich
werden kann, und also muß es aus Nichts entstehen. Was dem-
nach nicht aus Nichts entstehen kann, muß einen zureichenden Grund
haben, warum es ist, als es muß an sich möglich sein und eine
Ursache haben, die es zur Wirklichkeit bringen kann, wenn wir von
Dingen reden, die nicht nothwendig sind. Da nun unmöglich ist,
daß aus Nichts etwas werden kann, so muß auch Alles, was ist,
seinen zureichenden Grund haben warum es ist". So erkennen
wir nun rückwärts im Satze vom Grunde den Ausdruck des
Prinzips, welches das metaphysische Erkennen von seinem Beginn
geleitet hat 2).


2)
1) S. 242 ff.
2) Wolff, Vernünftige Gedanken von Gott u. s. w. § 29 u. 30.
2) et assez refutee dans la Theodicee." (Vierter Brief an Clarke § 2). Es
ist klar, Leibniz kommt so zu einer Exekutivgewalt, welche den Gedanken
ausführt, nicht zu einem wirklichen Willen.

Zweites Buch. Vierter Abſchnitt.
deutet der Satz des zureichenden Grundes die Behauptung von
einem lückenloſen, logiſchen Zuſammenhang, der jede Thatſache und
entſprechend jeden Satz in ſich faßt; er iſt die Formel für das von
Ariſtoteles in engerem Umfang aufgeſtellte Prinzip der Metaphy-
ſik 1), welches nunmehr nicht nur den Zuſammenhang des Kosmos
in Begriffen d. h. ewigen Formen, ſondern den Grund jeder Ver-
änderung und zwar auch in der geiſtigen Welt in ſich faßt.

Chriſtian Wolff hat dieſen Satz darauf zurückgeführt, daß
nicht aus Nichts ein Etwas entſtehen könne, ſonach auf das Prin-
zip des Erkennens, aus dem wir ſeit Parmenides die Metaphyſik
ihre Sätze ableiten ſahen. „Wenn ein Ding A etwas in ſich ent-
hält, daraus man verſtehen kann, warum B iſt, B mag entweder
etwas in A oder außer A ſein, ſo nennet man dasjenige, was in
A anzutreffen iſt, den Grund von B; A ſelbſt heißet die Urſache,
und von B ſaget man, es ſei in A gegründet. Nemlich der
Grund iſt dasjenige, wodurch man verſtehen kann, warum etwas
iſt, und die Urſache iſt ein Ding, welches den Grund von einem
anderen in ſich enthält.“ — „Wo etwas vorhanden iſt, woraus man
begreifen kann, warum es iſt, das hat einen zureichenden Grund.
Derowegen wo keiner vorhanden iſt, da iſt nichts, woraus man
begreifen kann, warum etwas iſt, nemlich warum es wirklich
werden kann, und alſo muß es aus Nichts entſtehen. Was dem-
nach nicht aus Nichts entſtehen kann, muß einen zureichenden Grund
haben, warum es iſt, als es muß an ſich möglich ſein und eine
Urſache haben, die es zur Wirklichkeit bringen kann, wenn wir von
Dingen reden, die nicht nothwendig ſind. Da nun unmöglich iſt,
daß aus Nichts etwas werden kann, ſo muß auch Alles, was iſt,
ſeinen zureichenden Grund haben warum es iſt“. So erkennen
wir nun rückwärts im Satze vom Grunde den Ausdruck des
Prinzips, welches das metaphyſiſche Erkennen von ſeinem Beginn
geleitet hat 2).


2)
1) S. 242 ff.
2) Wolff, Vernünftige Gedanken von Gott u. ſ. w. § 29 u. 30.
2) et assez réfutée dans la Théodicée.“ (Vierter Brief an Clarke § 2). Es
iſt klar, Leibniz kommt ſo zu einer Exekutivgewalt, welche den Gedanken
ausführt, nicht zu einem wirklichen Willen.
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[496/0519] Zweites Buch. Vierter Abſchnitt. deutet der Satz des zureichenden Grundes die Behauptung von einem lückenloſen, logiſchen Zuſammenhang, der jede Thatſache und entſprechend jeden Satz in ſich faßt; er iſt die Formel für das von Ariſtoteles in engerem Umfang aufgeſtellte Prinzip der Metaphy- ſik 1), welches nunmehr nicht nur den Zuſammenhang des Kosmos in Begriffen d. h. ewigen Formen, ſondern den Grund jeder Ver- änderung und zwar auch in der geiſtigen Welt in ſich faßt. Chriſtian Wolff hat dieſen Satz darauf zurückgeführt, daß nicht aus Nichts ein Etwas entſtehen könne, ſonach auf das Prin- zip des Erkennens, aus dem wir ſeit Parmenides die Metaphyſik ihre Sätze ableiten ſahen. „Wenn ein Ding A etwas in ſich ent- hält, daraus man verſtehen kann, warum B iſt, B mag entweder etwas in A oder außer A ſein, ſo nennet man dasjenige, was in A anzutreffen iſt, den Grund von B; A ſelbſt heißet die Urſache, und von B ſaget man, es ſei in A gegründet. Nemlich der Grund iſt dasjenige, wodurch man verſtehen kann, warum etwas iſt, und die Urſache iſt ein Ding, welches den Grund von einem anderen in ſich enthält.“ — „Wo etwas vorhanden iſt, woraus man begreifen kann, warum es iſt, das hat einen zureichenden Grund. Derowegen wo keiner vorhanden iſt, da iſt nichts, woraus man begreifen kann, warum etwas iſt, nemlich warum es wirklich werden kann, und alſo muß es aus Nichts entſtehen. Was dem- nach nicht aus Nichts entſtehen kann, muß einen zureichenden Grund haben, warum es iſt, als es muß an ſich möglich ſein und eine Urſache haben, die es zur Wirklichkeit bringen kann, wenn wir von Dingen reden, die nicht nothwendig ſind. Da nun unmöglich iſt, daß aus Nichts etwas werden kann, ſo muß auch Alles, was iſt, ſeinen zureichenden Grund haben warum es iſt“. So erkennen wir nun rückwärts im Satze vom Grunde den Ausdruck des Prinzips, welches das metaphyſiſche Erkennen von ſeinem Beginn geleitet hat 2). 2) 1) S. 242 ff. 2) Wolff, Vernünftige Gedanken von Gott u. ſ. w. § 29 u. 30. 2) et assez réfutée dans la Théodicée.“ (Vierter Brief an Clarke § 2). Es iſt klar, Leibniz kommt ſo zu einer Exekutivgewalt, welche den Gedanken ausführt, nicht zu einem wirklichen Willen.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/519>, abgerufen am 22.11.2024.