Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Der Schluß vom Kosmos auf Gott wird noch allgemein anerkannt. Leib öffnen lassen, zum Zwecke des Studiums der Verdauung;er habe Kinder von dem Verkehr abgesondert aufnähren lassen wollen, um die Frage nach der Ursprache zu lösen; ein solcher Versuch erinnert an den philosophischen Roman des Ibn Tophail, welcher im dreizehnten Jahrhundert verbreitet war und die natür- liche Entwicklung eines Menschen zum Gegenstande hatte. Die Schriftstücke, die im Kampfe der Kurie gegen den Kaiser ausge- arbeitet wurden, und die öffentliche Meinung beschuldigten ihn der Leugnung der Unsterblichkeit, und fanden den letzten Beweggrund seiner Schreckensherrschaft im sicilianischen Reiche in dieser ma- terialistischen Verwerfung jeder Vorstellung eines jenseitigen Lebens. Zwar das furchtbare Wort von den drei Betrügern, den Be- gründern der drei Religionen des Abendlandes, kann nicht auf den Kaiser zurückgeführt werden; aber der Gedanke, daß die philo- sophische Wahrheit in allen drei Religionen von Fabeln verhüllt sei, muß als ein Gemeingut der Aufgeklärten an diesem bunten, bald im Morgen- bald im Abendlande unter religiös gemischten Bevölkerungen residirenden Hofe betrachtet werden. Und doch wird uns unter allen Witzworten, welche damals von Friedrich um- gingen, keines überliefert, welches den Schluß auf Gott als die Weltursache angetastet hätte 1). -- Untersucht man die Aeußerungen von Skepticismus aus anderen Kreisen, so setzen widrige und rohe Verhöhnungen Gottes wie die von Alberich von Romano be- richtete, durchaus das Dasein Gottes voraus 2). Auch gingen die Zweifel der Nominalisten gegen jeden Punkt einer rationalen reli- giösen Wissenschaft zwar bei Occam dazu fort, die Gründe für das Dasein Gottes einer scharfen Kritik zu unterwerfen, ja dieser sprach schon kühn die Möglichkeit aus, daß die Welt sich selbst bewege; aber auch er erkannte doch die überwiegende Kraft der Beweisführungen für das Dasein Gottes an 3). 1) In der schönen auf persönlicher Anschauung beruhenden Schilderung der erwähnten Chronik p. 166 heißt es von Friedrich dem Zweiten: de fide Dei nihil habebat, aber diese fides Dei ist augenscheinlich im Sinne des Gottesglaubens eines Christen zu verstehen. 2) Ebds. p. 182. 3) Zu den scholastischen Debatten über das Dasein Gottes in den 25*
Der Schluß vom Kosmos auf Gott wird noch allgemein anerkannt. Leib öffnen laſſen, zum Zwecke des Studiums der Verdauung;er habe Kinder von dem Verkehr abgeſondert aufnähren laſſen wollen, um die Frage nach der Urſprache zu löſen; ein ſolcher Verſuch erinnert an den philoſophiſchen Roman des Ibn Tophail, welcher im dreizehnten Jahrhundert verbreitet war und die natür- liche Entwicklung eines Menſchen zum Gegenſtande hatte. Die Schriftſtücke, die im Kampfe der Kurie gegen den Kaiſer ausge- arbeitet wurden, und die öffentliche Meinung beſchuldigten ihn der Leugnung der Unſterblichkeit, und fanden den letzten Beweggrund ſeiner Schreckensherrſchaft im ſicilianiſchen Reiche in dieſer ma- terialiſtiſchen Verwerfung jeder Vorſtellung eines jenſeitigen Lebens. Zwar das furchtbare Wort von den drei Betrügern, den Be- gründern der drei Religionen des Abendlandes, kann nicht auf den Kaiſer zurückgeführt werden; aber der Gedanke, daß die philo- ſophiſche Wahrheit in allen drei Religionen von Fabeln verhüllt ſei, muß als ein Gemeingut der Aufgeklärten an dieſem bunten, bald im Morgen- bald im Abendlande unter religiös gemiſchten Bevölkerungen reſidirenden Hofe betrachtet werden. Und doch wird uns unter allen Witzworten, welche damals von Friedrich um- gingen, keines überliefert, welches den Schluß auf Gott als die Welturſache angetaſtet hätte 1). — Unterſucht man die Aeußerungen von Skepticismus aus anderen Kreiſen, ſo ſetzen widrige und rohe Verhöhnungen Gottes wie die von Alberich von Romano be- richtete, durchaus das Daſein Gottes voraus 2). Auch gingen die Zweifel der Nominaliſten gegen jeden Punkt einer rationalen reli- giöſen Wiſſenſchaft zwar bei Occam dazu fort, die Gründe für das Daſein Gottes einer ſcharfen Kritik zu unterwerfen, ja dieſer ſprach ſchon kühn die Möglichkeit aus, daß die Welt ſich ſelbſt bewege; aber auch er erkannte doch die überwiegende Kraft der Beweisführungen für das Daſein Gottes an 3). 1) In der ſchönen auf perſönlicher Anſchauung beruhenden Schilderung der erwähnten Chronik p. 166 heißt es von Friedrich dem Zweiten: de fide Dei nihil habebat, aber dieſe fides Dei iſt augenſcheinlich im Sinne des Gottesglaubens eines Chriſten zu verſtehen. 2) Ebdſ. p. 182. 3) Zu den ſcholaſtiſchen Debatten über das Daſein Gottes in den 25*
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Der Schluß vom Kosmos auf Gott wird noch allgemein anerkannt.
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er habe Kinder von dem Verkehr abgeſondert aufnähren laſſen
wollen, um die Frage nach der Urſprache zu löſen; ein ſolcher
Verſuch erinnert an den philoſophiſchen Roman des Ibn Tophail,
welcher im dreizehnten Jahrhundert verbreitet war und die natür-
liche Entwicklung eines Menſchen zum Gegenſtande hatte. Die
Schriftſtücke, die im Kampfe der Kurie gegen den Kaiſer ausge-
arbeitet wurden, und die öffentliche Meinung beſchuldigten ihn der
Leugnung der Unſterblichkeit, und fanden den letzten Beweggrund
ſeiner Schreckensherrſchaft im ſicilianiſchen Reiche in dieſer ma-
terialiſtiſchen Verwerfung jeder Vorſtellung eines jenſeitigen Lebens.
Zwar das furchtbare Wort von den drei Betrügern, den Be-
gründern der drei Religionen des Abendlandes, kann nicht auf
den Kaiſer zurückgeführt werden; aber der Gedanke, daß die philo-
ſophiſche Wahrheit in allen drei Religionen von Fabeln verhüllt
ſei, muß als ein Gemeingut der Aufgeklärten an dieſem bunten,
bald im Morgen- bald im Abendlande unter religiös gemiſchten
Bevölkerungen reſidirenden Hofe betrachtet werden. Und doch wird
uns unter allen Witzworten, welche damals von Friedrich um-
gingen, keines überliefert, welches den Schluß auf Gott als die
Welturſache angetaſtet hätte 1). — Unterſucht man die Aeußerungen
von Skepticismus aus anderen Kreiſen, ſo ſetzen widrige und rohe
Verhöhnungen Gottes wie die von Alberich von Romano be-
richtete, durchaus das Daſein Gottes voraus 2). Auch gingen die
Zweifel der Nominaliſten gegen jeden Punkt einer rationalen reli-
giöſen Wiſſenſchaft zwar bei Occam dazu fort, die Gründe für
das Daſein Gottes einer ſcharfen Kritik zu unterwerfen, ja dieſer
ſprach ſchon kühn die Möglichkeit aus, daß die Welt ſich
ſelbſt bewege; aber auch er erkannte doch die überwiegende Kraft
der Beweisführungen für das Daſein Gottes an 3).
1) In der ſchönen auf perſönlicher Anſchauung beruhenden Schilderung
der erwähnten Chronik p. 166 heißt es von Friedrich dem Zweiten: de fide
Dei nihil habebat, aber dieſe fides Dei iſt augenſcheinlich im Sinne des
Gottesglaubens eines Chriſten zu verſtehen.
2) Ebdſ. p. 182.
3) Zu den ſcholaſtiſchen Debatten über das Daſein Gottes in den
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