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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Die Theoretiker der Massentheilchen.
augenscheinlich unter einander standen, nicht mehr festgestellt werden.
Auch kennen wir leider nicht die Art von Argumentation, vermöge
deren Leukipp, Empedocles, Anaxagoras, Demokrit ihre Theorie
der unveränderlichen Massentheilchen gegenüber dem Einen eleati-
schen Sein gerechtfertigt haben. Wie dem sei, nun wurde im
Aufbau der europäischen Metaphysik von dem Begriff des Seienden
aus Eine von den mehreren vorhandenen Möglichkeiten entwickelt
und zwar die nächstliegende: Zerschlagung der Wirklichkeit in
Elemente, welche einerseits den Anforderungen des Denkens an
unveränderliche Anhaltspunkte seiner Rechnung genugthaten, andrer-
seits eine Erklärung von Veränderung, Vielheit und Bewegung nicht
ausschlossen. Damit vollzog sich ein bedeutender Fortschritt. An die
Stelle einer in unbestimmter Umwandlung wirksamen Kraft oder
der Beziehung einer solchen auf einen grenzenlosen Stoff (Pytha-
goreer) traten sich selbst gleiche, unveränderliche Elemente. Aus
jener Kraft konnte Alles erklärt werden, diese Elemente ermög-
lichten eine klare, übersichtliche Rechnung in der Welterklärung.

Damit tritt in die Erklärung des Kosmos eine neue Art
von Begriffen
. Solche waren das Atom des Leukipp, die
Samen der Dinge des Anaxagoras, die Elemente des Empedocles
sowie die mathematischen Figuren, aus denen Plato die Körper-
welt konstruirte. Die erste Ursache als Erklärungsgrund (arkhe)
war eine metaphysische Kategorie, welche der ganzen Wirklichkeit
als in ihr gleichmäßig überall gegebener Theilinhalt untergelegt
werden konnte. Der Begriff des Elements oder Massentheilchens
(Atoms) ist an der äußeren Natur entwickelt worden und hat,
vermöge seines Merkmals starrer Unveränderlichkeit, nur für sie
Geltung. Auch ist er nicht ein Bestandtheil der Naturwirk-
lichkeit d. h. ein in ihr enthaltener einfacher Begriff; solche
sind Bewegung, Geschwindigkeit, Kraft, Masse. Vielmehr ist
er eine konstruktive Schöpfung zur Erklärung von Naturer-
scheinungen, ganz wie der Begriff der platonischen Idee.

Indem der Begriff des Elements als metaphysische Realität
auftrat und behandelt wurde, entstanden Schwierigkeiten, welche
unter diesen Bedingungen unüberwindlich
waren. --

Die Theoretiker der Maſſentheilchen.
augenſcheinlich unter einander ſtanden, nicht mehr feſtgeſtellt werden.
Auch kennen wir leider nicht die Art von Argumentation, vermöge
deren Leukipp, Empedocles, Anaxagoras, Demokrit ihre Theorie
der unveränderlichen Maſſentheilchen gegenüber dem Einen eleati-
ſchen Sein gerechtfertigt haben. Wie dem ſei, nun wurde im
Aufbau der europäiſchen Metaphyſik von dem Begriff des Seienden
aus Eine von den mehreren vorhandenen Möglichkeiten entwickelt
und zwar die nächſtliegende: Zerſchlagung der Wirklichkeit in
Elemente, welche einerſeits den Anforderungen des Denkens an
unveränderliche Anhaltspunkte ſeiner Rechnung genugthaten, andrer-
ſeits eine Erklärung von Veränderung, Vielheit und Bewegung nicht
ausſchloſſen. Damit vollzog ſich ein bedeutender Fortſchritt. An die
Stelle einer in unbeſtimmter Umwandlung wirkſamen Kraft oder
der Beziehung einer ſolchen auf einen grenzenloſen Stoff (Pytha-
goreer) traten ſich ſelbſt gleiche, unveränderliche Elemente. Aus
jener Kraft konnte Alles erklärt werden, dieſe Elemente ermög-
lichten eine klare, überſichtliche Rechnung in der Welterklärung.

Damit tritt in die Erklärung des Kosmos eine neue Art
von Begriffen
. Solche waren das Atom des Leukipp, die
Samen der Dinge des Anaxagoras, die Elemente des Empedocles
ſowie die mathematiſchen Figuren, aus denen Plato die Körper-
welt konſtruirte. Die erſte Urſache als Erklärungsgrund (ἀϱχή)
war eine metaphyſiſche Kategorie, welche der ganzen Wirklichkeit
als in ihr gleichmäßig überall gegebener Theilinhalt untergelegt
werden konnte. Der Begriff des Elements oder Maſſentheilchens
(Atoms) iſt an der äußeren Natur entwickelt worden und hat,
vermöge ſeines Merkmals ſtarrer Unveränderlichkeit, nur für ſie
Geltung. Auch iſt er nicht ein Beſtandtheil der Naturwirk-
lichkeit d. h. ein in ihr enthaltener einfacher Begriff; ſolche
ſind Bewegung, Geſchwindigkeit, Kraft, Maſſe. Vielmehr iſt
er eine konſtruktive Schöpfung zur Erklärung von Naturer-
ſcheinungen, ganz wie der Begriff der platoniſchen Idee.

Indem der Begriff des Elements als metaphyſiſche Realität
auftrat und behandelt wurde, entſtanden Schwierigkeiten, welche
unter dieſen Bedingungen unüberwindlich
waren. —

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[199/0222] Die Theoretiker der Maſſentheilchen. augenſcheinlich unter einander ſtanden, nicht mehr feſtgeſtellt werden. Auch kennen wir leider nicht die Art von Argumentation, vermöge deren Leukipp, Empedocles, Anaxagoras, Demokrit ihre Theorie der unveränderlichen Maſſentheilchen gegenüber dem Einen eleati- ſchen Sein gerechtfertigt haben. Wie dem ſei, nun wurde im Aufbau der europäiſchen Metaphyſik von dem Begriff des Seienden aus Eine von den mehreren vorhandenen Möglichkeiten entwickelt und zwar die nächſtliegende: Zerſchlagung der Wirklichkeit in Elemente, welche einerſeits den Anforderungen des Denkens an unveränderliche Anhaltspunkte ſeiner Rechnung genugthaten, andrer- ſeits eine Erklärung von Veränderung, Vielheit und Bewegung nicht ausſchloſſen. Damit vollzog ſich ein bedeutender Fortſchritt. An die Stelle einer in unbeſtimmter Umwandlung wirkſamen Kraft oder der Beziehung einer ſolchen auf einen grenzenloſen Stoff (Pytha- goreer) traten ſich ſelbſt gleiche, unveränderliche Elemente. Aus jener Kraft konnte Alles erklärt werden, dieſe Elemente ermög- lichten eine klare, überſichtliche Rechnung in der Welterklärung. Damit tritt in die Erklärung des Kosmos eine neue Art von Begriffen. Solche waren das Atom des Leukipp, die Samen der Dinge des Anaxagoras, die Elemente des Empedocles ſowie die mathematiſchen Figuren, aus denen Plato die Körper- welt konſtruirte. Die erſte Urſache als Erklärungsgrund (ἀϱχή) war eine metaphyſiſche Kategorie, welche der ganzen Wirklichkeit als in ihr gleichmäßig überall gegebener Theilinhalt untergelegt werden konnte. Der Begriff des Elements oder Maſſentheilchens (Atoms) iſt an der äußeren Natur entwickelt worden und hat, vermöge ſeines Merkmals ſtarrer Unveränderlichkeit, nur für ſie Geltung. Auch iſt er nicht ein Beſtandtheil der Naturwirk- lichkeit d. h. ein in ihr enthaltener einfacher Begriff; ſolche ſind Bewegung, Geſchwindigkeit, Kraft, Maſſe. Vielmehr iſt er eine konſtruktive Schöpfung zur Erklärung von Naturer- ſcheinungen, ganz wie der Begriff der platoniſchen Idee. Indem der Begriff des Elements als metaphyſiſche Realität auftrat und behandelt wurde, entſtanden Schwierigkeiten, welche unter dieſen Bedingungen unüberwindlich waren. —

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/222>, abgerufen am 22.11.2024.