Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915.er fuhr als Schiffsarzt mit den Walfischfängern ins Eismeer, und daß er eine Zeitlang, als er schon ausgelernt, in Berlin bei einem ausgezeichneten und erfahrenen Meister, einem sehr berühmten Chirurgen, bei Herrn Andreas Horch, dem Regiments-Chirurgus der kurfürstlich Brandenburgischen Leibgarde zu Fuß, gedient, war sein ganz besonderer Gewinn. Rund hundert Taler reichten aus, um das Lehrgeld zu zahlen. Dann stand Dietz auf eigenen Füßen. Er hat es zu einer wohlbehäbigen bürgerlichen Existenz gebracht. Als Meister Dietz das siebzigste Jahr erreicht, fing er an, sein Leben aufzuzeichnen. Ein Erlebnis reihte er ans andere, ohne Sorge um strenge Chronologie. Eine Geschichte rief ihm die zweite ins Gedächtnis zurück, und lässig machte er wieder einen Nachtrag. Aber so alt der Mann geworden - sein Temperament bricht mehr als einmal hervor. Sehr glaublich, daß dieser impulsive Herr mit seiner Umgebung in Konflikt geriet! Dennoch war es ein Mann, der rechtlich dachte und es in keinem Falle vergaß, aufzuzeichnen, wann wieder einmal die Strafe Gottes den Bösen erreicht. Machte aber Meister Dietz eine Dummheit - was öfters vorkam - er schrieb sie auch auf; und hatte er sich durch die Sucht nach Geld verleiten lassen, war er durch sträflichen Leichtsinn in Lebensgefahr geraten: ihm hat der liebe Gott noch immer geholfen! Meister Dietz gewann ein ganz eigenes Verhältnis zu Gott, der ihn niemals verlassen, wenn er ihn brauchte; am Nordpol nicht, und in Ungarn nicht, wo es den Brandenburgern so jämmerlich erging, wo sie hinstarben und hungern mußten, als sie dem Kaiser halfen, den Türken zu verjagen. - So war es damals! - was die Soldaten auf dem Marsche nach Ungarn und im Lager vor Ofen litten, darüber schweigen die Kriegsberichte der Generale. Haben die hohen Offiziere doch alle den weiten Blick des Feldherrn. Ihnen verlohnt es nicht, Alltägliches, was eben des Krieges Brauch, noch besonders zu vermelden. Dem gemeinen Mann, dem Meister Dietz, prägten sich nebensächliche er fuhr als Schiffsarzt mit den Walfischfängern ins Eismeer, und daß er eine Zeitlang, als er schon ausgelernt, in Berlin bei einem ausgezeichneten und erfahrenen Meister, einem sehr berühmten Chirurgen, bei Herrn Andreas Horch, dem Regiments-Chirurgus der kurfürstlich Brandenburgischen Leibgarde zu Fuß, gedient, war sein ganz besonderer Gewinn. Rund hundert Taler reichten aus, um das Lehrgeld zu zahlen. Dann stand Dietz auf eigenen Füßen. Er hat es zu einer wohlbehäbigen bürgerlichen Existenz gebracht. Als Meister Dietz das siebzigste Jahr erreicht, fing er an, sein Leben aufzuzeichnen. Ein Erlebnis reihte er ans andere, ohne Sorge um strenge Chronologie. Eine Geschichte rief ihm die zweite ins Gedächtnis zurück, und lässig machte er wieder einen Nachtrag. Aber so alt der Mann geworden – sein Temperament bricht mehr als einmal hervor. Sehr glaublich, daß dieser impulsive Herr mit seiner Umgebung in Konflikt geriet! Dennoch war es ein Mann, der rechtlich dachte und es in keinem Falle vergaß, aufzuzeichnen, wann wieder einmal die Strafe Gottes den Bösen erreicht. Machte aber Meister Dietz eine Dummheit – was öfters vorkam – er schrieb sie auch auf; und hatte er sich durch die Sucht nach Geld verleiten lassen, war er durch sträflichen Leichtsinn in Lebensgefahr geraten: ihm hat der liebe Gott noch immer geholfen! Meister Dietz gewann ein ganz eigenes Verhältnis zu Gott, der ihn niemals verlassen, wenn er ihn brauchte; am Nordpol nicht, und in Ungarn nicht, wo es den Brandenburgern so jämmerlich erging, wo sie hinstarben und hungern mußten, als sie dem Kaiser halfen, den Türken zu verjagen. – So war es damals! – was die Soldaten auf dem Marsche nach Ungarn und im Lager vor Ofen litten, darüber schweigen die Kriegsberichte der Generale. Haben die hohen Offiziere doch alle den weiten Blick des Feldherrn. Ihnen verlohnt es nicht, Alltägliches, was eben des Krieges Brauch, noch besonders zu vermelden. Dem gemeinen Mann, dem Meister Dietz, prägten sich nebensächliche <TEI> <text> <front> <div n="1"> <p><pb facs="#f0008"/> er fuhr als Schiffsarzt mit den Walfischfängern ins Eismeer, und daß er eine Zeitlang, als er schon ausgelernt, in Berlin bei einem ausgezeichneten und erfahrenen Meister, einem sehr berühmten Chirurgen, bei Herrn Andreas Horch, dem Regiments-Chirurgus der kurfürstlich Brandenburgischen Leibgarde zu Fuß, gedient, war sein ganz besonderer Gewinn.</p> <p>Rund hundert Taler reichten aus, um das Lehrgeld zu zahlen. Dann stand Dietz auf eigenen Füßen. Er hat es zu einer wohlbehäbigen bürgerlichen Existenz gebracht.</p> <p>Als Meister Dietz das siebzigste Jahr erreicht, fing er an, sein Leben aufzuzeichnen. Ein Erlebnis reihte er ans andere, ohne Sorge um strenge Chronologie. Eine Geschichte rief ihm die zweite ins Gedächtnis zurück, und lässig machte er wieder einen Nachtrag. Aber so alt der Mann geworden – sein Temperament bricht mehr als einmal hervor. Sehr glaublich, daß dieser impulsive Herr mit seiner Umgebung in Konflikt geriet! Dennoch war es ein Mann, der rechtlich dachte und es in keinem Falle vergaß, aufzuzeichnen, wann wieder einmal die Strafe Gottes den Bösen erreicht.</p> <p>Machte aber Meister Dietz eine Dummheit – was öfters vorkam – er schrieb sie auch auf; und hatte er sich durch die Sucht nach Geld verleiten lassen, war er durch sträflichen Leichtsinn in Lebensgefahr geraten: ihm hat der liebe Gott noch immer geholfen!</p> <p>Meister Dietz gewann ein ganz eigenes Verhältnis zu Gott, der ihn niemals verlassen, wenn er ihn brauchte; am Nordpol nicht, und in Ungarn nicht, wo es den Brandenburgern so jämmerlich erging, wo sie hinstarben und hungern mußten, als sie dem Kaiser halfen, den Türken zu verjagen. – So war es damals! – was die Soldaten auf dem Marsche nach Ungarn und im Lager vor Ofen litten, darüber schweigen die Kriegsberichte der Generale. Haben die hohen Offiziere doch alle den weiten Blick des Feldherrn. 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er fuhr als Schiffsarzt mit den Walfischfängern ins Eismeer, und daß er eine Zeitlang, als er schon ausgelernt, in Berlin bei einem ausgezeichneten und erfahrenen Meister, einem sehr berühmten Chirurgen, bei Herrn Andreas Horch, dem Regiments-Chirurgus der kurfürstlich Brandenburgischen Leibgarde zu Fuß, gedient, war sein ganz besonderer Gewinn.
Rund hundert Taler reichten aus, um das Lehrgeld zu zahlen. Dann stand Dietz auf eigenen Füßen. Er hat es zu einer wohlbehäbigen bürgerlichen Existenz gebracht.
Als Meister Dietz das siebzigste Jahr erreicht, fing er an, sein Leben aufzuzeichnen. Ein Erlebnis reihte er ans andere, ohne Sorge um strenge Chronologie. Eine Geschichte rief ihm die zweite ins Gedächtnis zurück, und lässig machte er wieder einen Nachtrag. Aber so alt der Mann geworden – sein Temperament bricht mehr als einmal hervor. Sehr glaublich, daß dieser impulsive Herr mit seiner Umgebung in Konflikt geriet! Dennoch war es ein Mann, der rechtlich dachte und es in keinem Falle vergaß, aufzuzeichnen, wann wieder einmal die Strafe Gottes den Bösen erreicht.
Machte aber Meister Dietz eine Dummheit – was öfters vorkam – er schrieb sie auch auf; und hatte er sich durch die Sucht nach Geld verleiten lassen, war er durch sträflichen Leichtsinn in Lebensgefahr geraten: ihm hat der liebe Gott noch immer geholfen!
Meister Dietz gewann ein ganz eigenes Verhältnis zu Gott, der ihn niemals verlassen, wenn er ihn brauchte; am Nordpol nicht, und in Ungarn nicht, wo es den Brandenburgern so jämmerlich erging, wo sie hinstarben und hungern mußten, als sie dem Kaiser halfen, den Türken zu verjagen. – So war es damals! – was die Soldaten auf dem Marsche nach Ungarn und im Lager vor Ofen litten, darüber schweigen die Kriegsberichte der Generale. Haben die hohen Offiziere doch alle den weiten Blick des Feldherrn. Ihnen verlohnt es nicht, Alltägliches, was eben des Krieges Brauch, noch besonders zu vermelden. Dem gemeinen Mann, dem Meister Dietz, prägten sich nebensächliche
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