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Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

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Was die Lehrer nicht haben, fehlt auch den Schülern.
Und wenn etliche von diesen, in reinerer Luft aufgewachsen,
ihrer lauteren Gesinnung folgen wollen, aber keinen Führer,
kein Vorbild finden, und darum vielleicht sich verirren, wen
nimmt Solches Wunder, der die Zeit kennt und die Menschen!

Kenntnisse besitzen wir in Ueberfluß, es fehlen die Ideen.
Dieß ist die Klage, die ich erhebe.

Es giebt Professoren, welche diesen Mangel durch einen
sogenannten geistreichen Vortrag, durch augenblicklich rei-
zende, die Einbildungskraft erregende, pikante Darstellungs-
weise zu ersetzen suchen; aber vergebens und verkehrter Weise.
Dadurch, wie ich schon einmal bemerkt, verdirbt der Sinn
für das Einfache, Gerade, Natürliche, Tiefe, Klassische,
kurz der wahrhaft wissenschaftliche Geist, der an dem Ernst,
der Strenge, der Schärfe seine Freude hat. Es ist ein ganz
verderblicher Wahn, zu meinen, das von der Wahrheit und
Schärfe des Gedankens entblößte Geistreiche habe noch irgend
welchen Werth; es ruinirt den Geist, verdirbt ihn für die
Wissenschaft, wie Marzipan den Magen verdirbt. Wo findet
man in den Werken, die aus den alt-klassischen Zeiten stam-
men und die mit Recht für alle Zeiten als Muster gelten,
wo findet sich in Lessing's oder Kant's geistvollen Schrif-
ten auch nur eine Spur von der gerühmten geistreichen Art,
selbst unserer poetischen Naturphilosophen, ihrem Haschen nach
Gegensätzen, witzigen Combinationen und frappanten Verglei-
chungen, die den Beweis eines geistreichen Kopfes liefern
sollen, und alles Andere enthalten, nur keine Wahrheit! Nim-
mermehr verträgt sich dieses eitle Streben mit dem Tiefen und
Hohen. Diese sogenannten Geistreichen verderben den Ge-
schmack der jungen Männer, die zu ihren Füßen sitzen. Diese
verlieren, an das künstliche Leuchten der Blitze in schwarzer

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Was die Lehrer nicht haben, fehlt auch den Schuͤlern.
Und wenn etliche von dieſen, in reinerer Luft aufgewachſen,
ihrer lauteren Geſinnung folgen wollen, aber keinen Fuͤhrer,
kein Vorbild finden, und darum vielleicht ſich verirren, wen
nimmt Solches Wunder, der die Zeit kennt und die Menſchen!

Kenntniſſe beſitzen wir in Ueberfluß, es fehlen die Ideen.
Dieß iſt die Klage, die ich erhebe.

Es giebt Profeſſoren, welche dieſen Mangel durch einen
ſogenannten geiſtreichen Vortrag, durch augenblicklich rei-
zende, die Einbildungskraft erregende, pikante Darſtellungs-
weiſe zu erſetzen ſuchen; aber vergebens und verkehrter Weiſe.
Dadurch, wie ich ſchon einmal bemerkt, verdirbt der Sinn
fuͤr das Einfache, Gerade, Natuͤrliche, Tiefe, Klaſſiſche,
kurz der wahrhaft wiſſenſchaftliche Geiſt, der an dem Ernſt,
der Strenge, der Schaͤrfe ſeine Freude hat. Es iſt ein ganz
verderblicher Wahn, zu meinen, das von der Wahrheit und
Schaͤrfe des Gedankens entbloͤßte Geiſtreiche habe noch irgend
welchen Werth; es ruinirt den Geiſt, verdirbt ihn fuͤr die
Wiſſenſchaft, wie Marzipan den Magen verdirbt. Wo findet
man in den Werken, die aus den alt-klaſſiſchen Zeiten ſtam-
men und die mit Recht fuͤr alle Zeiten als Muſter gelten,
wo findet ſich in Leſſing’s oder Kant’s geiſtvollen Schrif-
ten auch nur eine Spur von der geruͤhmten geiſtreichen Art,
ſelbſt unſerer poetiſchen Naturphiloſophen, ihrem Haſchen nach
Gegenſaͤtzen, witzigen Combinationen und frappanten Verglei-
chungen, die den Beweis eines geiſtreichen Kopfes liefern
ſollen, und alles Andere enthalten, nur keine Wahrheit! Nim-
mermehr vertraͤgt ſich dieſes eitle Streben mit dem Tiefen und
Hohen. Dieſe ſogenannten Geiſtreichen verderben den Ge-
ſchmack der jungen Maͤnner, die zu ihren Fuͤßen ſitzen. Dieſe
verlieren, an das kuͤnſtliche Leuchten der Blitze in ſchwarzer

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[55/0073] Was die Lehrer nicht haben, fehlt auch den Schuͤlern. Und wenn etliche von dieſen, in reinerer Luft aufgewachſen, ihrer lauteren Geſinnung folgen wollen, aber keinen Fuͤhrer, kein Vorbild finden, und darum vielleicht ſich verirren, wen nimmt Solches Wunder, der die Zeit kennt und die Menſchen! Kenntniſſe beſitzen wir in Ueberfluß, es fehlen die Ideen. Dieß iſt die Klage, die ich erhebe. Es giebt Profeſſoren, welche dieſen Mangel durch einen ſogenannten geiſtreichen Vortrag, durch augenblicklich rei- zende, die Einbildungskraft erregende, pikante Darſtellungs- weiſe zu erſetzen ſuchen; aber vergebens und verkehrter Weiſe. Dadurch, wie ich ſchon einmal bemerkt, verdirbt der Sinn fuͤr das Einfache, Gerade, Natuͤrliche, Tiefe, Klaſſiſche, kurz der wahrhaft wiſſenſchaftliche Geiſt, der an dem Ernſt, der Strenge, der Schaͤrfe ſeine Freude hat. Es iſt ein ganz verderblicher Wahn, zu meinen, das von der Wahrheit und Schaͤrfe des Gedankens entbloͤßte Geiſtreiche habe noch irgend welchen Werth; es ruinirt den Geiſt, verdirbt ihn fuͤr die Wiſſenſchaft, wie Marzipan den Magen verdirbt. Wo findet man in den Werken, die aus den alt-klaſſiſchen Zeiten ſtam- men und die mit Recht fuͤr alle Zeiten als Muſter gelten, wo findet ſich in Leſſing’s oder Kant’s geiſtvollen Schrif- ten auch nur eine Spur von der geruͤhmten geiſtreichen Art, ſelbſt unſerer poetiſchen Naturphiloſophen, ihrem Haſchen nach Gegenſaͤtzen, witzigen Combinationen und frappanten Verglei- chungen, die den Beweis eines geiſtreichen Kopfes liefern ſollen, und alles Andere enthalten, nur keine Wahrheit! Nim- mermehr vertraͤgt ſich dieſes eitle Streben mit dem Tiefen und Hohen. Dieſe ſogenannten Geiſtreichen verderben den Ge- ſchmack der jungen Maͤnner, die zu ihren Fuͤßen ſitzen. Dieſe verlieren, an das kuͤnſtliche Leuchten der Blitze in ſchwarzer 5*

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Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/73>, abgerufen am 23.11.2024.