Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

sondern anhaltend. Denn nichts ist schädlicher, verderblicher
für den Charakter in's Leben tretender, ihrer Selbstständigkeit
sich bewußt werdender junger Männer, als wenn sie erfahren
und lernen, daß zwar Gesetze bestehen, dieselben aber nicht
gehalten werden, weder von den Lehrern noch von den Schü-
lern. Diese Erfahrung und die Meisterschaft, die Einige oder
Viele darin erlangen, wirkt auf die Gesinnung und den Cha-
rakter junger Leute wie ein Gift. Die, welche dergleichen
dulden, laden eine schwere Verantwortung auf sich. Sie un-
tergraben das Fundament der Achtung gegen die gesetzgebenden
Behörden und den Staat.

2.
Pädagogische Bildung oder Erziehung.

Ich komme nun zum zweiten Requisit an eine Anstalt,
welche die Blüthe der Nation zu erziehen die Aufgabe hat.
Ich sage zu erziehen. Eine Universität ist eine pädago-
gische
Anstalt, und alle ihre Maßregeln müssen von dem
pädagogischen, nicht von dem polizeilichen, juridischen, finan-
ziellen oder anderm Standpunkte aus beurtheilt werden. Wir
verlangen daher von der Hochschule nicht bloß Entwickelung
der Intelligenz in den ihr Uebergebenen, Wissenschaftlichkeit
und Ausbildung der Selbstthätigkeit im Denken, sondern in
höherem und umfassenderem Sinne Vollendung der Erziehung
der zu Männern heranreifenden Jünglinge. Diese Anforde-
rung wird Jedermann gerecht und nothwendig finden. Sie ist
die höchste, umfassendste, und die Förderung der Wissenschaft-
lichkeit ist nur ein Zweig derselben, nur in dem Maße schätz-
bar, als sie die allgemeine Aufgabe der Hochschule, Vollen-
dung der Erziehung der künftigen ersten Männer des Staats,
einleitet und begünstigt.

ſondern anhaltend. Denn nichts iſt ſchaͤdlicher, verderblicher
fuͤr den Charakter in’s Leben tretender, ihrer Selbſtſtaͤndigkeit
ſich bewußt werdender junger Maͤnner, als wenn ſie erfahren
und lernen, daß zwar Geſetze beſtehen, dieſelben aber nicht
gehalten werden, weder von den Lehrern noch von den Schuͤ-
lern. Dieſe Erfahrung und die Meiſterſchaft, die Einige oder
Viele darin erlangen, wirkt auf die Geſinnung und den Cha-
rakter junger Leute wie ein Gift. Die, welche dergleichen
dulden, laden eine ſchwere Verantwortung auf ſich. Sie un-
tergraben das Fundament der Achtung gegen die geſetzgebenden
Behoͤrden und den Staat.

2.
Paͤdagogiſche Bildung oder Erziehung.

Ich komme nun zum zweiten Requiſit an eine Anſtalt,
welche die Bluͤthe der Nation zu erziehen die Aufgabe hat.
Ich ſage zu erziehen. Eine Univerſitaͤt iſt eine paͤdago-
giſche
Anſtalt, und alle ihre Maßregeln muͤſſen von dem
paͤdagogiſchen, nicht von dem polizeilichen, juridiſchen, finan-
ziellen oder anderm Standpunkte aus beurtheilt werden. Wir
verlangen daher von der Hochſchule nicht bloß Entwickelung
der Intelligenz in den ihr Uebergebenen, Wiſſenſchaftlichkeit
und Ausbildung der Selbſtthaͤtigkeit im Denken, ſondern in
hoͤherem und umfaſſenderem Sinne Vollendung der Erziehung
der zu Maͤnnern heranreifenden Juͤnglinge. Dieſe Anforde-
rung wird Jedermann gerecht und nothwendig finden. Sie iſt
die hoͤchſte, umfaſſendſte, und die Foͤrderung der Wiſſenſchaft-
lichkeit iſt nur ein Zweig derſelben, nur in dem Maße ſchaͤtz-
bar, als ſie die allgemeine Aufgabe der Hochſchule, Vollen-
dung der Erziehung der kuͤnftigen erſten Maͤnner des Staats,
einleitet und beguͤnſtigt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0031" n="13"/>
&#x017F;ondern anhaltend. Denn nichts i&#x017F;t &#x017F;cha&#x0364;dlicher, verderblicher<lb/>
fu&#x0364;r den Charakter in&#x2019;s Leben tretender, ihrer Selb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit<lb/>
&#x017F;ich bewußt werdender junger Ma&#x0364;nner, als wenn &#x017F;ie erfahren<lb/>
und lernen, daß zwar Ge&#x017F;etze be&#x017F;tehen, die&#x017F;elben aber nicht<lb/>
gehalten werden, weder von den Lehrern noch von den Schu&#x0364;-<lb/>
lern. Die&#x017F;e Erfahrung und die Mei&#x017F;ter&#x017F;chaft, die Einige oder<lb/>
Viele darin erlangen, wirkt auf die Ge&#x017F;innung und den Cha-<lb/>
rakter junger Leute wie ein Gift. Die, welche dergleichen<lb/>
dulden, laden eine &#x017F;chwere Verantwortung auf &#x017F;ich. Sie un-<lb/>
tergraben das Fundament der Achtung gegen die ge&#x017F;etzgebenden<lb/>
Beho&#x0364;rden und den Staat.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>2.<lb/>
Pa&#x0364;dagogi&#x017F;che Bildung oder Erziehung.</head><lb/>
          <p>Ich komme nun zum zweiten Requi&#x017F;it an eine An&#x017F;talt,<lb/>
welche die Blu&#x0364;the der Nation zu erziehen die Aufgabe hat.<lb/>
Ich &#x017F;age zu <hi rendition="#g">erziehen</hi>. Eine Univer&#x017F;ita&#x0364;t i&#x017F;t eine <hi rendition="#g">pa&#x0364;dago-<lb/>
gi&#x017F;che</hi> An&#x017F;talt, und alle ihre Maßregeln mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en von dem<lb/>
pa&#x0364;dagogi&#x017F;chen, nicht von dem polizeilichen, juridi&#x017F;chen, finan-<lb/>
ziellen oder anderm Standpunkte aus beurtheilt werden. Wir<lb/>
verlangen daher von der Hoch&#x017F;chule nicht bloß Entwickelung<lb/>
der Intelligenz in den ihr Uebergebenen, Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichkeit<lb/>
und Ausbildung der Selb&#x017F;ttha&#x0364;tigkeit im Denken, &#x017F;ondern in<lb/>
ho&#x0364;herem und umfa&#x017F;&#x017F;enderem Sinne Vollendung der Erziehung<lb/>
der zu Ma&#x0364;nnern heranreifenden Ju&#x0364;nglinge. Die&#x017F;e Anforde-<lb/>
rung wird Jedermann gerecht und nothwendig finden. Sie i&#x017F;t<lb/>
die ho&#x0364;ch&#x017F;te, umfa&#x017F;&#x017F;end&#x017F;te, und die Fo&#x0364;rderung der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft-<lb/>
lichkeit i&#x017F;t nur ein Zweig der&#x017F;elben, nur in dem Maße &#x017F;cha&#x0364;tz-<lb/>
bar, als &#x017F;ie die allgemeine Aufgabe der Hoch&#x017F;chule, Vollen-<lb/>
dung der Erziehung der ku&#x0364;nftigen er&#x017F;ten Ma&#x0364;nner des Staats,<lb/>
einleitet und begu&#x0364;n&#x017F;tigt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0031] ſondern anhaltend. Denn nichts iſt ſchaͤdlicher, verderblicher fuͤr den Charakter in’s Leben tretender, ihrer Selbſtſtaͤndigkeit ſich bewußt werdender junger Maͤnner, als wenn ſie erfahren und lernen, daß zwar Geſetze beſtehen, dieſelben aber nicht gehalten werden, weder von den Lehrern noch von den Schuͤ- lern. Dieſe Erfahrung und die Meiſterſchaft, die Einige oder Viele darin erlangen, wirkt auf die Geſinnung und den Cha- rakter junger Leute wie ein Gift. Die, welche dergleichen dulden, laden eine ſchwere Verantwortung auf ſich. Sie un- tergraben das Fundament der Achtung gegen die geſetzgebenden Behoͤrden und den Staat. 2. Paͤdagogiſche Bildung oder Erziehung. Ich komme nun zum zweiten Requiſit an eine Anſtalt, welche die Bluͤthe der Nation zu erziehen die Aufgabe hat. Ich ſage zu erziehen. Eine Univerſitaͤt iſt eine paͤdago- giſche Anſtalt, und alle ihre Maßregeln muͤſſen von dem paͤdagogiſchen, nicht von dem polizeilichen, juridiſchen, finan- ziellen oder anderm Standpunkte aus beurtheilt werden. Wir verlangen daher von der Hochſchule nicht bloß Entwickelung der Intelligenz in den ihr Uebergebenen, Wiſſenſchaftlichkeit und Ausbildung der Selbſtthaͤtigkeit im Denken, ſondern in hoͤherem und umfaſſenderem Sinne Vollendung der Erziehung der zu Maͤnnern heranreifenden Juͤnglinge. Dieſe Anforde- rung wird Jedermann gerecht und nothwendig finden. Sie iſt die hoͤchſte, umfaſſendſte, und die Foͤrderung der Wiſſenſchaft- lichkeit iſt nur ein Zweig derſelben, nur in dem Maße ſchaͤtz- bar, als ſie die allgemeine Aufgabe der Hochſchule, Vollen- dung der Erziehung der kuͤnftigen erſten Maͤnner des Staats, einleitet und beguͤnſtigt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/31
Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/31>, abgerufen am 04.12.2024.