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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Deutsche Kunstgeschichte und Deutsche Geschichte
schichte anderer Völker zu beanspruchen; ja es wäre begreiflich,
wenn sie, als Quelle des Genußes angesehen, geringeren Reiz
ausübte.

Dies führt hinüber auf einen zweiten Erklärungsgrund. Die
Sprache der bildenden Kunst ist nicht -- so scheint es wenigstens
-- wie die der Dichtkunst an ein einzelnes Volkstum gebunden,
sie ist international. Es bedarf schon eines viel tieferen Eindringens
in ihr Wesen, um zur Erkenntnis zu gelangen, daß das Wort:
"Wer den Dichter will verstehn, muß in Dichters Lande gehn" --
erst recht für die bildende Kunst eine Wahrheit ist. Wenn jemand
in der Betrachtung der Dichtkunst seinen Interessenkreis weiter
ausdehnt, so hat er doch immer mit der heimischen Dichtung
begonnen, um nach und nach sich den fremden Literaturen zuzu-
wenden. Bei der Beschäftigung mit der bildenden Kunst gehen
aber für jeden von Anfang an alle Nationen durcheinander; ja
praktisch wird es den allermeisten Deutschen noch heute so er-
gehen, daß sie die ältere deutsche Kunst sogar später kennen
lernen als die antike, die italienische, die niederländische (womit
ich nicht urteilen, noch weniger verurteilen, vielmehr nur Tat-
sächliches feststellen will).

Beachten wir dann noch, als Bestätigung des eben Gesagten
die Zurückhaltung des Verlagsbuchhandels. Er hätte, wäre ihm
die Stimmung des Publikums günstig erschienen, längst die Ini-
tiative ergriffen. Daß er es nicht getan hat, darum sind wir ihm
gewiß nicht gram. Denn er hätte nur unreife Früchte vom Baume
geschüttelt.

Nun der wichtigste Punkt: warum man auch in den Reihen
der Kunstwissenschaft zögert? Daß es die Größe und Schwierig-
keit der Aufgabe allein sein sollte, die abschreckt, möchte ich
nicht glauben. Eine gewisse Rolle spielt wohl die Befürchtung,
daß ein so umfassender Gegenstand zu schnell in den Einzel-
heiten überholt sein werde. Gewiß, eine Monographie kann auf
längere Lebensdauer rechnen und ist insofern lohnender. Aber
das ist nichts der Kunstgeschichte Eigentümliches und braucht
deshalb hier nicht weiter erörtert zu werden. Das am ernstlichsten
hemmende Motiv wird folgendes sein:

Deutsche Kunstgeschichte und Deutsche Geschichte
schichte anderer Völker zu beanspruchen; ja es wäre begreiflich,
wenn sie, als Quelle des Genußes angesehen, geringeren Reiz
ausübte.

Dies führt hinüber auf einen zweiten Erklärungsgrund. Die
Sprache der bildenden Kunst ist nicht — so scheint es wenigstens
— wie die der Dichtkunst an ein einzelnes Volkstum gebunden,
sie ist international. Es bedarf schon eines viel tieferen Eindringens
in ihr Wesen, um zur Erkenntnis zu gelangen, daß das Wort:
»Wer den Dichter will verstehn, muß in Dichters Lande gehn« —
erst recht für die bildende Kunst eine Wahrheit ist. Wenn jemand
in der Betrachtung der Dichtkunst seinen Interessenkreis weiter
ausdehnt, so hat er doch immer mit der heimischen Dichtung
begonnen, um nach und nach sich den fremden Literaturen zuzu-
wenden. Bei der Beschäftigung mit der bildenden Kunst gehen
aber für jeden von Anfang an alle Nationen durcheinander; ja
praktisch wird es den allermeisten Deutschen noch heute so er-
gehen, daß sie die ältere deutsche Kunst sogar später kennen
lernen als die antike, die italienische, die niederländische (womit
ich nicht urteilen, noch weniger verurteilen, vielmehr nur Tat-
sächliches feststellen will).

Beachten wir dann noch, als Bestätigung des eben Gesagten
die Zurückhaltung des Verlagsbuchhandels. Er hätte, wäre ihm
die Stimmung des Publikums günstig erschienen, längst die Ini-
tiative ergriffen. Daß er es nicht getan hat, darum sind wir ihm
gewiß nicht gram. Denn er hätte nur unreife Früchte vom Baume
geschüttelt.

Nun der wichtigste Punkt: warum man auch in den Reihen
der Kunstwissenschaft zögert? Daß es die Größe und Schwierig-
keit der Aufgabe allein sein sollte, die abschreckt, möchte ich
nicht glauben. Eine gewisse Rolle spielt wohl die Befürchtung,
daß ein so umfassender Gegenstand zu schnell in den Einzel-
heiten überholt sein werde. Gewiß, eine Monographie kann auf
längere Lebensdauer rechnen und ist insofern lohnender. Aber
das ist nichts der Kunstgeschichte Eigentümliches und braucht
deshalb hier nicht weiter erörtert zu werden. Das am ernstlichsten
hemmende Motiv wird folgendes sein:

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[66/0080] Deutsche Kunstgeschichte und Deutsche Geschichte schichte anderer Völker zu beanspruchen; ja es wäre begreiflich, wenn sie, als Quelle des Genußes angesehen, geringeren Reiz ausübte. Dies führt hinüber auf einen zweiten Erklärungsgrund. Die Sprache der bildenden Kunst ist nicht — so scheint es wenigstens — wie die der Dichtkunst an ein einzelnes Volkstum gebunden, sie ist international. Es bedarf schon eines viel tieferen Eindringens in ihr Wesen, um zur Erkenntnis zu gelangen, daß das Wort: »Wer den Dichter will verstehn, muß in Dichters Lande gehn« — erst recht für die bildende Kunst eine Wahrheit ist. Wenn jemand in der Betrachtung der Dichtkunst seinen Interessenkreis weiter ausdehnt, so hat er doch immer mit der heimischen Dichtung begonnen, um nach und nach sich den fremden Literaturen zuzu- wenden. Bei der Beschäftigung mit der bildenden Kunst gehen aber für jeden von Anfang an alle Nationen durcheinander; ja praktisch wird es den allermeisten Deutschen noch heute so er- gehen, daß sie die ältere deutsche Kunst sogar später kennen lernen als die antike, die italienische, die niederländische (womit ich nicht urteilen, noch weniger verurteilen, vielmehr nur Tat- sächliches feststellen will). Beachten wir dann noch, als Bestätigung des eben Gesagten die Zurückhaltung des Verlagsbuchhandels. Er hätte, wäre ihm die Stimmung des Publikums günstig erschienen, längst die Ini- tiative ergriffen. Daß er es nicht getan hat, darum sind wir ihm gewiß nicht gram. Denn er hätte nur unreife Früchte vom Baume geschüttelt. Nun der wichtigste Punkt: warum man auch in den Reihen der Kunstwissenschaft zögert? Daß es die Größe und Schwierig- keit der Aufgabe allein sein sollte, die abschreckt, möchte ich nicht glauben. Eine gewisse Rolle spielt wohl die Befürchtung, daß ein so umfassender Gegenstand zu schnell in den Einzel- heiten überholt sein werde. Gewiß, eine Monographie kann auf längere Lebensdauer rechnen und ist insofern lohnender. Aber das ist nichts der Kunstgeschichte Eigentümliches und braucht deshalb hier nicht weiter erörtert zu werden. Das am ernstlichsten hemmende Motiv wird folgendes sein:

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/80>, abgerufen am 24.11.2024.