Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.Denkmalschutz und Denkmalpflege in einem alten Text kann man jederzeit wieder ausstreichen; einverpfuschtes Denkmal bleibt verpfuscht. Re- staurationen auf dem Papier sind lehrreich; in die Wirklichkeit übertragen schneiden sie die Debatte für immer ab. Unsere heutigen Künstler sind die ersten, die vor 40 oder 70 Jahren ausgeführten Restaurationen samt und sonders für mangelhaft zu erklären; wo- her haben sie die Gewißheit, daß nach 40 oder 70 Jahren die ihrigen die Kritik aushalten werden? Überschlage ich das für das 19. Jahrhundert vorliegende An der Sache ist nichts zu beschönigen, gegen die Personen Denkmalschutz und Denkmalpflege in einem alten Text kann man jederzeit wieder ausstreichen; einverpfuschtes Denkmal bleibt verpfuscht. Re- staurationen auf dem Papier sind lehrreich; in die Wirklichkeit übertragen schneiden sie die Debatte für immer ab. Unsere heutigen Künstler sind die ersten, die vor 40 oder 70 Jahren ausgeführten Restaurationen samt und sonders für mangelhaft zu erklären; wo- her haben sie die Gewißheit, daß nach 40 oder 70 Jahren die ihrigen die Kritik aushalten werden? Überschlage ich das für das 19. Jahrhundert vorliegende An der Sache ist nichts zu beschönigen, gegen die Personen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0341" n="279"/><fw place="top" type="header">Denkmalschutz und Denkmalpflege</fw><lb/> in einem alten Text kann man jederzeit wieder ausstreichen; <hi rendition="#g">ein<lb/> verpfuschtes Denkmal bleibt verpfuscht</hi>. Re-<lb/> staurationen auf dem Papier sind lehrreich; in die Wirklichkeit<lb/> übertragen schneiden sie die Debatte für immer ab. Unsere heutigen<lb/> Künstler sind die ersten, die vor 40 oder 70 Jahren ausgeführten<lb/> Restaurationen samt und sonders für mangelhaft zu erklären; wo-<lb/> her haben sie die Gewißheit, daß <hi rendition="#g">nach</hi> 40 oder 70 Jahren die<lb/><hi rendition="#g">ihrigen</hi> die Kritik aushalten werden?</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Überschlage ich das für das 19. Jahrhundert vorliegende<lb/> Resultat, so kann ich denen nicht widersprechen, die behaupten,<lb/> der durch übereifrige Liebe mit dem Restaurationswesen ange-<lb/> richtete Schaden sei für die Denkmäler größer, als er je durch ein-<lb/> faches Gehenlassen hätte werden können. Es ist nicht anders: die<lb/> Ärzte sind gefährlicher geworden als die Krankheit selbst; sie haben<lb/><cit><quote><hi rendition="#et">»mit ihren höllischen Latwergen<lb/> In unsern Tälern, unsern Bergen<lb/> Weit schlimmer als die Pest getobt«.</hi></quote><bibl/></cit></p><lb/> <p>An der Sache ist nichts zu beschönigen, gegen die Personen<lb/> wird man deshalb nicht hart im Urteil sein. Jene Denkmälerärzte<lb/> handelten gerade ebenso in gutem Glauben, wie Fausts Vater, der<lb/> dunkle Ehrenmann. Wenn nach der Schuld gefragt werden soll,<lb/> so wird man finden, daß sie sich auf sehr viele und verschieden-<lb/> artige Faktoren verteilt hat. Möchte man endlich einsehen, daß es<lb/> gar nicht anders kommen konnte, als es gekommen ist. Deshalb<lb/> nicht anders konnte, weil die öffentliche Meinung, in Unklarheit<lb/> über das wahre Wesen des Denkmals, dem Irrtum verfiel, es handle<lb/> sich hier um eine Aufgabe für Künstler, während sie doch wesent-<lb/> lich im Bereich des historisch-kritischen Denkens liegt. Heißt<lb/> Denkmalpflege soviel als Denkmalverschönerung — wie es tat-<lb/> sächlich lange die Meinung war — dann ist ohne Zweifel der Künstler<lb/> der rechte Mann für sie; legt man aber den Schwerpunkt der Auf-<lb/> gabe in die Erhaltung, dann hat der Künstler nur mitzusprechen,<lb/> insofern er einerseits Techniker, anderseits Stilkenner, d. h. Archäo-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [279/0341]
Denkmalschutz und Denkmalpflege
in einem alten Text kann man jederzeit wieder ausstreichen; ein
verpfuschtes Denkmal bleibt verpfuscht. Re-
staurationen auf dem Papier sind lehrreich; in die Wirklichkeit
übertragen schneiden sie die Debatte für immer ab. Unsere heutigen
Künstler sind die ersten, die vor 40 oder 70 Jahren ausgeführten
Restaurationen samt und sonders für mangelhaft zu erklären; wo-
her haben sie die Gewißheit, daß nach 40 oder 70 Jahren die
ihrigen die Kritik aushalten werden?
Überschlage ich das für das 19. Jahrhundert vorliegende
Resultat, so kann ich denen nicht widersprechen, die behaupten,
der durch übereifrige Liebe mit dem Restaurationswesen ange-
richtete Schaden sei für die Denkmäler größer, als er je durch ein-
faches Gehenlassen hätte werden können. Es ist nicht anders: die
Ärzte sind gefährlicher geworden als die Krankheit selbst; sie haben
»mit ihren höllischen Latwergen
In unsern Tälern, unsern Bergen
Weit schlimmer als die Pest getobt«.
An der Sache ist nichts zu beschönigen, gegen die Personen
wird man deshalb nicht hart im Urteil sein. Jene Denkmälerärzte
handelten gerade ebenso in gutem Glauben, wie Fausts Vater, der
dunkle Ehrenmann. Wenn nach der Schuld gefragt werden soll,
so wird man finden, daß sie sich auf sehr viele und verschieden-
artige Faktoren verteilt hat. Möchte man endlich einsehen, daß es
gar nicht anders kommen konnte, als es gekommen ist. Deshalb
nicht anders konnte, weil die öffentliche Meinung, in Unklarheit
über das wahre Wesen des Denkmals, dem Irrtum verfiel, es handle
sich hier um eine Aufgabe für Künstler, während sie doch wesent-
lich im Bereich des historisch-kritischen Denkens liegt. Heißt
Denkmalpflege soviel als Denkmalverschönerung — wie es tat-
sächlich lange die Meinung war — dann ist ohne Zweifel der Künstler
der rechte Mann für sie; legt man aber den Schwerpunkt der Auf-
gabe in die Erhaltung, dann hat der Künstler nur mitzusprechen,
insofern er einerseits Techniker, anderseits Stilkenner, d. h. Archäo-
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