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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Denkmalschutz und Denkmalpflege
mitgegeben werde, zumal in den höheren Ständen, deren Leben
nichts als ein ewiger Ortswechsel ist. Ich denke endlich an Er-
ziehung zur Denkmalsfreundschaft mit allen jenen Mitteln von
Wort, Schrift und Bilddruck, die uns heute in so mannigfaltiger
Anwendbarkeit zur Verfügung stehen. Und indem ich dieses aus-
spreche, kann ich nicht umhin, mit warmem Dankesgefühl dessen
zu gedenken, daß erst kürzlich S. M. der Kaiser durch sein persön-
liches Eingreifen den Wunsch des Denkmalpflegetages nach Her-
stellung eines den ganzen deutschen Denkmälerschatz übersichtlich
zusammenfassenden Handbuchs erfüllbar gemacht hat. In alle
Schichten muß das Gefühl eindringen, daß das Volk, das viele und
alte Denkmäler besitzt, ein vornehmes Volk ist. Wenn das Volk erst
darüber unterrichtet ist, worum es sich handelt, mag es, wo Gegen-
wart und Vergangenheit in Konflikt kommen, die Wahl und Verant-
wortung übernehmen. One Sentimentalität, ohne Pedanterie, ohne
romantische Willkür wollen wir Denkmalpflege üben als eine selbst-
verständliche und natürliche Äußerung der Selbstachtung, als Aner-
kennung des Rechtes der Toten zum Besten der Lebendigen. Nie-
mals zwar werden wir für die Denkmäler der bildenden Kunst die-
selbe Lebensdauer erreichen können wie für die Denkmäler der
Literatur, aber sie über den bisherigen Durchschnitt verlängern,
durch Rechtsschutz und technischen Schutz, das können wir. Und
dieses zuerst gewollt zu haben, wird dem 19. Jahrhundert immer
ein Ruhm bleiben.



Der Historismus des 19. Jahrhunderts hat aber außer seiner
echten Tochter, der Denkmalpflege, auch ein illegitimes Kind ge-
zeugt, das Restaurationswesen. Sie werden oft miteinander ver-
wechselt und sind doch Antipoden. Die Denkmalpflege will Be-
stehendes erhalten, die Restauration will Nichtbestehendes wieder-
herstellen. Der Unterschied ist durchschlagend. Auf der einen
Seite, die vielleicht verkürzte, verblaßte Wirklichkeit, aber immer
Wirklichkeit -- auf der andern die Fiktion. Hier wie überall hat
die Romantik den gesunden Sinn des konservativen Prinzips ver-
fälscht. Man kann eben nur konservieren was noch ist -- "was ver-

Denkmalschutz und Denkmalpflege
mitgegeben werde, zumal in den höheren Ständen, deren Leben
nichts als ein ewiger Ortswechsel ist. Ich denke endlich an Er-
ziehung zur Denkmalsfreundschaft mit allen jenen Mitteln von
Wort, Schrift und Bilddruck, die uns heute in so mannigfaltiger
Anwendbarkeit zur Verfügung stehen. Und indem ich dieses aus-
spreche, kann ich nicht umhin, mit warmem Dankesgefühl dessen
zu gedenken, daß erst kürzlich S. M. der Kaiser durch sein persön-
liches Eingreifen den Wunsch des Denkmalpflegetages nach Her-
stellung eines den ganzen deutschen Denkmälerschatz übersichtlich
zusammenfassenden Handbuchs erfüllbar gemacht hat. In alle
Schichten muß das Gefühl eindringen, daß das Volk, das viele und
alte Denkmäler besitzt, ein vornehmes Volk ist. Wenn das Volk erst
darüber unterrichtet ist, worum es sich handelt, mag es, wo Gegen-
wart und Vergangenheit in Konflikt kommen, die Wahl und Verant-
wortung übernehmen. One Sentimentalität, ohne Pedanterie, ohne
romantische Willkür wollen wir Denkmalpflege üben als eine selbst-
verständliche und natürliche Äußerung der Selbstachtung, als Aner-
kennung des Rechtes der Toten zum Besten der Lebendigen. Nie-
mals zwar werden wir für die Denkmäler der bildenden Kunst die-
selbe Lebensdauer erreichen können wie für die Denkmäler der
Literatur, aber sie über den bisherigen Durchschnitt verlängern,
durch Rechtsschutz und technischen Schutz, das können wir. Und
dieses zuerst gewollt zu haben, wird dem 19. Jahrhundert immer
ein Ruhm bleiben.



Der Historismus des 19. Jahrhunderts hat aber außer seiner
echten Tochter, der Denkmalpflege, auch ein illegitimes Kind ge-
zeugt, das Restaurationswesen. Sie werden oft miteinander ver-
wechselt und sind doch Antipoden. Die Denkmalpflege will Be-
stehendes erhalten, die Restauration will Nichtbestehendes wieder-
herstellen. Der Unterschied ist durchschlagend. Auf der einen
Seite, die vielleicht verkürzte, verblaßte Wirklichkeit, aber immer
Wirklichkeit — auf der andern die Fiktion. Hier wie überall hat
die Romantik den gesunden Sinn des konservativen Prinzips ver-
fälscht. Man kann eben nur konservieren was noch ist — »was ver-

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[274/0336] Denkmalschutz und Denkmalpflege mitgegeben werde, zumal in den höheren Ständen, deren Leben nichts als ein ewiger Ortswechsel ist. Ich denke endlich an Er- ziehung zur Denkmalsfreundschaft mit allen jenen Mitteln von Wort, Schrift und Bilddruck, die uns heute in so mannigfaltiger Anwendbarkeit zur Verfügung stehen. Und indem ich dieses aus- spreche, kann ich nicht umhin, mit warmem Dankesgefühl dessen zu gedenken, daß erst kürzlich S. M. der Kaiser durch sein persön- liches Eingreifen den Wunsch des Denkmalpflegetages nach Her- stellung eines den ganzen deutschen Denkmälerschatz übersichtlich zusammenfassenden Handbuchs erfüllbar gemacht hat. In alle Schichten muß das Gefühl eindringen, daß das Volk, das viele und alte Denkmäler besitzt, ein vornehmes Volk ist. Wenn das Volk erst darüber unterrichtet ist, worum es sich handelt, mag es, wo Gegen- wart und Vergangenheit in Konflikt kommen, die Wahl und Verant- wortung übernehmen. One Sentimentalität, ohne Pedanterie, ohne romantische Willkür wollen wir Denkmalpflege üben als eine selbst- verständliche und natürliche Äußerung der Selbstachtung, als Aner- kennung des Rechtes der Toten zum Besten der Lebendigen. Nie- mals zwar werden wir für die Denkmäler der bildenden Kunst die- selbe Lebensdauer erreichen können wie für die Denkmäler der Literatur, aber sie über den bisherigen Durchschnitt verlängern, durch Rechtsschutz und technischen Schutz, das können wir. Und dieses zuerst gewollt zu haben, wird dem 19. Jahrhundert immer ein Ruhm bleiben. Der Historismus des 19. Jahrhunderts hat aber außer seiner echten Tochter, der Denkmalpflege, auch ein illegitimes Kind ge- zeugt, das Restaurationswesen. Sie werden oft miteinander ver- wechselt und sind doch Antipoden. Die Denkmalpflege will Be- stehendes erhalten, die Restauration will Nichtbestehendes wieder- herstellen. Der Unterschied ist durchschlagend. Auf der einen Seite, die vielleicht verkürzte, verblaßte Wirklichkeit, aber immer Wirklichkeit — auf der andern die Fiktion. Hier wie überall hat die Romantik den gesunden Sinn des konservativen Prinzips ver- fälscht. Man kann eben nur konservieren was noch ist — »was ver-

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/336>, abgerufen am 24.11.2024.