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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Denkmalschutz und Denkmalpflege
kurzer Zeit auch hier die Einsicht zu tagen beginnt. Was das
hessische Gesetz generell regeln will, ist hie und da von einzelnen
Stadtverwaltungen schon praktisch in die Hände genommen.
Möchte es nur immer ohne Pedanterie geschehen! Es kommt gar
nicht darauf an, bei Neubauten in altertümlicher Umgebung das
zu wahren, was die Leute "Stil" nennen und was in der Regel nichts
ist als eine künstliche, unwahre Altertümelei: sondern allein darauf,
in den Massenverhältnissen und in der künstlerischen Gesamt-
haltung sich dem überlieferten Straßenbilde anzupassen, was ganz
wohl auch in modernen Formen geschehen kann. Die Institution
des Denkmalsrates, die das hessische Gesetz für das Land im ganzen
anordnet, sollte im kleinen in jeder Stadt von historischem Ge-
präge wiederholt werden als eine Schutzwehr nicht nur für die
einzelnen eingetragenen Denkmäler, sondern für den genius loci
überhaupt.

Ich komme hiermit zu der Erwägung, die sich mir bei Betrach-
tung der Versuche, den Denkmalschutz vom Staate aus zu reali-
sieren, am stärksten aufdrängt: sie ist die, daß der Staat, so uner-
läßlich sein Eingreifen ist, die Aufgabe nur halb lösen kann. Der
Staat hat nicht Augen genug, er kann nicht all das Viele und
Kleine, auf das es ankommt, sehen; seine Organe sind auch nicht
geschmeidig genug, den immer wechselnden örtlichen Verhältnissen
sich prompt anzupassen. Einen ganz wirksamen Schutz wird nur
das Volk selbst ausüben, und nur wenn es selbst es tut, wird aus
den Denkmälern lebendige Kraft in die Gegenwart überströmen.
Das Volk! Möge es nicht scheinen, daß ich das tönende Erz der
Phrase damit in Bewegung setze. Ich denke mir darunter völlig
Bestimmtes. Ich denke zunächst an die kommunalen Verbände,
vor allem die städtischen. Fast möchte ich hier den Schwerpunkt
der praktischen Denkmalpflege suchen. Hier vor allem wird dafür
zu sorgen sein, was ich oben den Schutz des genius loci nannte.
Ich denke an die Vereine. Ich denke besonders auch an die Schule.
Sie sollte von der Volksschule an auf allen Stufen der Denkmal-
kunde von Stadt und Provinz ihre Aufmerksamkeit schenken.
Unsere ruhelose Zeit hat nichts nötiger, als daß der Jugend ein
örtliches Heimatsgefühl in klaren, unvergeßlichen Bildern ins Leben

Dehio, Kunsthistorische Aufsätze 18

Denkmalschutz und Denkmalpflege
kurzer Zeit auch hier die Einsicht zu tagen beginnt. Was das
hessische Gesetz generell regeln will, ist hie und da von einzelnen
Stadtverwaltungen schon praktisch in die Hände genommen.
Möchte es nur immer ohne Pedanterie geschehen! Es kommt gar
nicht darauf an, bei Neubauten in altertümlicher Umgebung das
zu wahren, was die Leute »Stil« nennen und was in der Regel nichts
ist als eine künstliche, unwahre Altertümelei: sondern allein darauf,
in den Massenverhältnissen und in der künstlerischen Gesamt-
haltung sich dem überlieferten Straßenbilde anzupassen, was ganz
wohl auch in modernen Formen geschehen kann. Die Institution
des Denkmalsrates, die das hessische Gesetz für das Land im ganzen
anordnet, sollte im kleinen in jeder Stadt von historischem Ge-
präge wiederholt werden als eine Schutzwehr nicht nur für die
einzelnen eingetragenen Denkmäler, sondern für den genius loci
überhaupt.

Ich komme hiermit zu der Erwägung, die sich mir bei Betrach-
tung der Versuche, den Denkmalschutz vom Staate aus zu reali-
sieren, am stärksten aufdrängt: sie ist die, daß der Staat, so uner-
läßlich sein Eingreifen ist, die Aufgabe nur halb lösen kann. Der
Staat hat nicht Augen genug, er kann nicht all das Viele und
Kleine, auf das es ankommt, sehen; seine Organe sind auch nicht
geschmeidig genug, den immer wechselnden örtlichen Verhältnissen
sich prompt anzupassen. Einen ganz wirksamen Schutz wird nur
das Volk selbst ausüben, und nur wenn es selbst es tut, wird aus
den Denkmälern lebendige Kraft in die Gegenwart überströmen.
Das Volk! Möge es nicht scheinen, daß ich das tönende Erz der
Phrase damit in Bewegung setze. Ich denke mir darunter völlig
Bestimmtes. Ich denke zunächst an die kommunalen Verbände,
vor allem die städtischen. Fast möchte ich hier den Schwerpunkt
der praktischen Denkmalpflege suchen. Hier vor allem wird dafür
zu sorgen sein, was ich oben den Schutz des genius loci nannte.
Ich denke an die Vereine. Ich denke besonders auch an die Schule.
Sie sollte von der Volksschule an auf allen Stufen der Denkmal-
kunde von Stadt und Provinz ihre Aufmerksamkeit schenken.
Unsere ruhelose Zeit hat nichts nötiger, als daß der Jugend ein
örtliches Heimatsgefühl in klaren, unvergeßlichen Bildern ins Leben

Dehio, Kunsthistorische Aufsätze 18
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[273/0335] Denkmalschutz und Denkmalpflege kurzer Zeit auch hier die Einsicht zu tagen beginnt. Was das hessische Gesetz generell regeln will, ist hie und da von einzelnen Stadtverwaltungen schon praktisch in die Hände genommen. Möchte es nur immer ohne Pedanterie geschehen! Es kommt gar nicht darauf an, bei Neubauten in altertümlicher Umgebung das zu wahren, was die Leute »Stil« nennen und was in der Regel nichts ist als eine künstliche, unwahre Altertümelei: sondern allein darauf, in den Massenverhältnissen und in der künstlerischen Gesamt- haltung sich dem überlieferten Straßenbilde anzupassen, was ganz wohl auch in modernen Formen geschehen kann. Die Institution des Denkmalsrates, die das hessische Gesetz für das Land im ganzen anordnet, sollte im kleinen in jeder Stadt von historischem Ge- präge wiederholt werden als eine Schutzwehr nicht nur für die einzelnen eingetragenen Denkmäler, sondern für den genius loci überhaupt. Ich komme hiermit zu der Erwägung, die sich mir bei Betrach- tung der Versuche, den Denkmalschutz vom Staate aus zu reali- sieren, am stärksten aufdrängt: sie ist die, daß der Staat, so uner- läßlich sein Eingreifen ist, die Aufgabe nur halb lösen kann. Der Staat hat nicht Augen genug, er kann nicht all das Viele und Kleine, auf das es ankommt, sehen; seine Organe sind auch nicht geschmeidig genug, den immer wechselnden örtlichen Verhältnissen sich prompt anzupassen. Einen ganz wirksamen Schutz wird nur das Volk selbst ausüben, und nur wenn es selbst es tut, wird aus den Denkmälern lebendige Kraft in die Gegenwart überströmen. Das Volk! Möge es nicht scheinen, daß ich das tönende Erz der Phrase damit in Bewegung setze. Ich denke mir darunter völlig Bestimmtes. Ich denke zunächst an die kommunalen Verbände, vor allem die städtischen. Fast möchte ich hier den Schwerpunkt der praktischen Denkmalpflege suchen. Hier vor allem wird dafür zu sorgen sein, was ich oben den Schutz des genius loci nannte. Ich denke an die Vereine. Ich denke besonders auch an die Schule. Sie sollte von der Volksschule an auf allen Stufen der Denkmal- kunde von Stadt und Provinz ihre Aufmerksamkeit schenken. Unsere ruhelose Zeit hat nichts nötiger, als daß der Jugend ein örtliches Heimatsgefühl in klaren, unvergeßlichen Bildern ins Leben Dehio, Kunsthistorische Aufsätze 18

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/335>, abgerufen am 24.11.2024.