doppeln. Also vollständige Verschiebung der Proportionen, eine total veränderte Bedeu- tung und Wirkung der ganzen Fassade.
Die Freunde des Schäferschen Projekts empfehlen es aus zwei Gründen: 1. es sei das technische beste Mittel zur Erhaltung des Bestehenden; 2. es sei an und für sich von großartiger "Originalität und Schönheit". Lassen wir unsere Verwunderung über das zweite Argument vorläufig beiseite und wenden uns zum ersten, das ge- wiß Anspruch erheben darf, ernstlich geprüft zu werden.
Bei mäßigem Nachdenken drängen sich schon dem Laien einige ungläubige Fragen auf. Wenn die bestehende Fassadenmauer zu mürbe ist, um sich selbst zu halten, wie sollen die großen schweren Giebel, die Schäfer über ihr aufrichten will, ihre Standfestigkeit er- höhen? Und wie soll das Dach, das nirgends überhängen wird, ein Mittel sein, die aus dem Mauergrunde vortretenden plastischen Glie- derungen vor Verwitterung schützen? Weiter: werden nicht die neu aufzubauenden Giebel mit dem die sichtlichen Spuren des Alters tra- genden Unterbau in einen ästhetisch unerträglichen Zwiespalt gera- ten? Die notwendige Folge wird dann sein, daß Schäfer, der schon an dem relativ gut erhaltenen Friedrichsbau ein Drittel aller Steine ausgewechselt hat, in noch viel größerem Umfange hier am Otto- Heinrichsbau die sichtbare Oberhaut des Baukörpers erneuern muß. Das heißt: der Otto-Heinrichsbau, der ist, wird verschwinden, und an seine Stelle wird teils eine Kopie, teils ein Neubau treten. Das sind Erwägungen, die, wie gesagt, schon dem Laienverstande sich aufdrängen und von den Verteidigern des Schäferschen Projektes auch nicht widerlegt sind. Hören wir nun die Techniker. Fritz Seitz, der von 1883 ab die Untersuchung geführt hat, resumierte in seinem, auch durch den Druck veröffentlichten Gutachten von 1891: "Fundament vorzüglich; Geschoßmauerwerk der Ost- und Süd- und Westfassaden, abgesehen von den obersten Teilen, gut; Mauerstärke groß; Hoffassade übersteht im ganzen unbedeutend; Senkungen nirgends bemerkbar." Durch die große Kommission des- selben Jahres wurde sein Urteil bestätigt. Der bei der damaligen
Was wird aus dem Heidelberger Schloß werden?
doppeln. Also vollständige Verschiebung der Proportionen, eine total veränderte Bedeu- tung und Wirkung der ganzen Fassade.
Die Freunde des Schäferschen Projekts empfehlen es aus zwei Gründen: 1. es sei das technische beste Mittel zur Erhaltung des Bestehenden; 2. es sei an und für sich von großartiger »Originalität und Schönheit«. Lassen wir unsere Verwunderung über das zweite Argument vorläufig beiseite und wenden uns zum ersten, das ge- wiß Anspruch erheben darf, ernstlich geprüft zu werden.
Bei mäßigem Nachdenken drängen sich schon dem Laien einige ungläubige Fragen auf. Wenn die bestehende Fassadenmauer zu mürbe ist, um sich selbst zu halten, wie sollen die großen schweren Giebel, die Schäfer über ihr aufrichten will, ihre Standfestigkeit er- höhen? Und wie soll das Dach, das nirgends überhängen wird, ein Mittel sein, die aus dem Mauergrunde vortretenden plastischen Glie- derungen vor Verwitterung schützen? Weiter: werden nicht die neu aufzubauenden Giebel mit dem die sichtlichen Spuren des Alters tra- genden Unterbau in einen ästhetisch unerträglichen Zwiespalt gera- ten? Die notwendige Folge wird dann sein, daß Schäfer, der schon an dem relativ gut erhaltenen Friedrichsbau ein Drittel aller Steine ausgewechselt hat, in noch viel größerem Umfange hier am Otto- Heinrichsbau die sichtbare Oberhaut des Baukörpers erneuern muß. Das heißt: der Otto-Heinrichsbau, der ist, wird verschwinden, und an seine Stelle wird teils eine Kopie, teils ein Neubau treten. Das sind Erwägungen, die, wie gesagt, schon dem Laienverstande sich aufdrängen und von den Verteidigern des Schäferschen Projektes auch nicht widerlegt sind. Hören wir nun die Techniker. Fritz Seitz, der von 1883 ab die Untersuchung geführt hat, resumierte in seinem, auch durch den Druck veröffentlichten Gutachten von 1891: »Fundament vorzüglich; Geschoßmauerwerk der Ost- und Süd- und Westfassaden, abgesehen von den obersten Teilen, gut; Mauerstärke groß; Hoffassade übersteht im ganzen unbedeutend; Senkungen nirgends bemerkbar.« Durch die große Kommission des- selben Jahres wurde sein Urteil bestätigt. Der bei der damaligen
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Was wird aus dem Heidelberger Schloß werden?
doppeln. Also vollständige Verschiebung der
Proportionen, eine total veränderte Bedeu-
tung und Wirkung der ganzen Fassade.
Die Freunde des Schäferschen Projekts empfehlen es aus zwei
Gründen: 1. es sei das technische beste Mittel zur Erhaltung des
Bestehenden; 2. es sei an und für sich von großartiger »Originalität
und Schönheit«. Lassen wir unsere Verwunderung über das zweite
Argument vorläufig beiseite und wenden uns zum ersten, das ge-
wiß Anspruch erheben darf, ernstlich geprüft zu werden.
Bei mäßigem Nachdenken drängen sich schon dem Laien einige
ungläubige Fragen auf. Wenn die bestehende Fassadenmauer zu
mürbe ist, um sich selbst zu halten, wie sollen die großen schweren
Giebel, die Schäfer über ihr aufrichten will, ihre Standfestigkeit er-
höhen? Und wie soll das Dach, das nirgends überhängen wird, ein
Mittel sein, die aus dem Mauergrunde vortretenden plastischen Glie-
derungen vor Verwitterung schützen? Weiter: werden nicht die neu
aufzubauenden Giebel mit dem die sichtlichen Spuren des Alters tra-
genden Unterbau in einen ästhetisch unerträglichen Zwiespalt gera-
ten? Die notwendige Folge wird dann sein, daß Schäfer, der schon
an dem relativ gut erhaltenen Friedrichsbau ein Drittel aller Steine
ausgewechselt hat, in noch viel größerem Umfange hier am Otto-
Heinrichsbau die sichtbare Oberhaut des Baukörpers erneuern muß.
Das heißt: der Otto-Heinrichsbau, der ist, wird verschwinden, und
an seine Stelle wird teils eine Kopie, teils ein Neubau treten. Das
sind Erwägungen, die, wie gesagt, schon dem Laienverstande sich
aufdrängen und von den Verteidigern des Schäferschen Projektes
auch nicht widerlegt sind. Hören wir nun die Techniker. Fritz
Seitz, der von 1883 ab die Untersuchung geführt hat, resumierte in
seinem, auch durch den Druck veröffentlichten Gutachten von
1891: »Fundament vorzüglich; Geschoßmauerwerk der Ost- und
Süd- und Westfassaden, abgesehen von den obersten Teilen, gut;
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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/316>, abgerufen am 22.07.2024.
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