Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.Die Kunst des Mittelalters des einschiffigen Saales, teils das der dreischiffigen Halle mitparallelen Tonnen. Das Holz wurde in dieser Bauart so voll- ständig ausgeschlossen, daß man selbst die Dächer aufgab, mit steinernen Platten über dem Gewölberücken sich begnügte. Die Mauern ungeheuer mächtig, die Fenster über Bedarf klein. Da die letztere Erscheinung sich auch an den Basiliken Italiens und Spaniens wiederholt, muß man annehmen, daß in jenem Zeit- alter dunkle Stimmung der Innenräume von den Menschen des Südens geflissentlich aufgesucht wurde als etwas die Andacht Beförderndes. Das 12. Jahrhundert behielt in Südfrankreich die obengenannten Systeme bei, aber es veredelte sie durch ein Raum- gefühl, von dem man jahrhundertelang nichts gewußt hatte. Diese einfachen, ruhevollen, wohlgestimmten Verhältnisse sind Ergebnis eines neuerwachten Verständnisses für den in jenen Gegenden noch aus zahlreichen Denkmälern sprechenden antiken Kunst- geist; gleichzeitig wird das antike Detail wieder aufgenommen und mit überraschender Feinfühligkeit, zuerst genau, dann freier nachgebildet. Der Schauplatz dieser Protorenaissance ist die Mittel- meerküste und das Rhonetal mit Ausläufern nach Burgund; darf man etwa sagen, das griechische Blut sei hier noch nicht verbraucht gewesen? -- Wesentlich ein anderes Naturell, ein keltisch gefärbtes, gibt sich in Aquitanien und im Poitou zu er- kennen. Hier wird die dreischiffige Hallenanlage, mit gleicher Höhe aller Schiffe, bevorzugt. Im Innenraum bleibt sie bedrückt und dumpf, in einer unbeschreiblich fremdartigen, barbarischen Stimmung; das Äußere prunkt in einem Überschwall von Zier- formen; ihre Bildung ist weichlich und üppig, dabei ein Hang zur Anhäufung spukhaft monströser Tiergestalten, deren Vorbilder, durch Vermittelung sassanidischer Gewebe, aus der altorienta- lischen Vorratskammer der Phantastik herstammten. Eine überaus merkwürdige Umbildung des einschiffigen Saales vollzog sich in der Landschaft Perigord: das Tonnengewölbe wurde durch eine Folge von sphärischen Kuppeln ersetzt. Auch diese sind ein Er- werb aus dem Osten, von den Kreuzfahrern mitgebracht; aber nur als Element; Komposition und Geist der perigordinischen Kunst ist nicht byzantinisch; es entsteht ein Bautypus von hoher Die Kunst des Mittelalters des einschiffigen Saales, teils das der dreischiffigen Halle mitparallelen Tonnen. Das Holz wurde in dieser Bauart so voll- ständig ausgeschlossen, daß man selbst die Dächer aufgab, mit steinernen Platten über dem Gewölberücken sich begnügte. Die Mauern ungeheuer mächtig, die Fenster über Bedarf klein. Da die letztere Erscheinung sich auch an den Basiliken Italiens und Spaniens wiederholt, muß man annehmen, daß in jenem Zeit- alter dunkle Stimmung der Innenräume von den Menschen des Südens geflissentlich aufgesucht wurde als etwas die Andacht Beförderndes. Das 12. Jahrhundert behielt in Südfrankreich die obengenannten Systeme bei, aber es veredelte sie durch ein Raum- gefühl, von dem man jahrhundertelang nichts gewußt hatte. Diese einfachen, ruhevollen, wohlgestimmten Verhältnisse sind Ergebnis eines neuerwachten Verständnisses für den in jenen Gegenden noch aus zahlreichen Denkmälern sprechenden antiken Kunst- geist; gleichzeitig wird das antike Detail wieder aufgenommen und mit überraschender Feinfühligkeit, zuerst genau, dann freier nachgebildet. Der Schauplatz dieser Protorenaissance ist die Mittel- meerküste und das Rhonetal mit Ausläufern nach Burgund; darf man etwa sagen, das griechische Blut sei hier noch nicht verbraucht gewesen? — Wesentlich ein anderes Naturell, ein keltisch gefärbtes, gibt sich in Aquitanien und im Poitou zu er- kennen. Hier wird die dreischiffige Hallenanlage, mit gleicher Höhe aller Schiffe, bevorzugt. Im Innenraum bleibt sie bedrückt und dumpf, in einer unbeschreiblich fremdartigen, barbarischen Stimmung; das Äußere prunkt in einem Überschwall von Zier- formen; ihre Bildung ist weichlich und üppig, dabei ein Hang zur Anhäufung spukhaft monströser Tiergestalten, deren Vorbilder, durch Vermittelung sassanidischer Gewebe, aus der altorienta- lischen Vorratskammer der Phantastik herstammten. Eine überaus merkwürdige Umbildung des einschiffigen Saales vollzog sich in der Landschaft Périgord: das Tonnengewölbe wurde durch eine Folge von sphärischen Kuppeln ersetzt. Auch diese sind ein Er- werb aus dem Osten, von den Kreuzfahrern mitgebracht; aber nur als Element; Komposition und Geist der perigordinischen Kunst ist nicht byzantinisch; es entsteht ein Bautypus von hoher <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0029" n="15"/><fw place="top" type="header">Die Kunst des Mittelalters</fw><lb/> des einschiffigen Saales, teils das der dreischiffigen Halle mit<lb/> parallelen Tonnen. Das Holz wurde in dieser Bauart so voll-<lb/> ständig ausgeschlossen, daß man selbst die Dächer aufgab, mit<lb/> steinernen Platten über dem Gewölberücken sich begnügte. Die<lb/> Mauern ungeheuer mächtig, die Fenster über Bedarf klein. Da<lb/> die letztere Erscheinung sich auch an den Basiliken Italiens und<lb/> Spaniens wiederholt, muß man annehmen, daß in jenem Zeit-<lb/> alter dunkle Stimmung der Innenräume von den Menschen des<lb/> Südens geflissentlich aufgesucht wurde als etwas die Andacht<lb/> Beförderndes. Das 12. 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Die Kunst des Mittelalters
des einschiffigen Saales, teils das der dreischiffigen Halle mit
parallelen Tonnen. Das Holz wurde in dieser Bauart so voll-
ständig ausgeschlossen, daß man selbst die Dächer aufgab, mit
steinernen Platten über dem Gewölberücken sich begnügte. Die
Mauern ungeheuer mächtig, die Fenster über Bedarf klein. Da
die letztere Erscheinung sich auch an den Basiliken Italiens und
Spaniens wiederholt, muß man annehmen, daß in jenem Zeit-
alter dunkle Stimmung der Innenräume von den Menschen des
Südens geflissentlich aufgesucht wurde als etwas die Andacht
Beförderndes. Das 12. Jahrhundert behielt in Südfrankreich die
obengenannten Systeme bei, aber es veredelte sie durch ein Raum-
gefühl, von dem man jahrhundertelang nichts gewußt hatte. Diese
einfachen, ruhevollen, wohlgestimmten Verhältnisse sind Ergebnis
eines neuerwachten Verständnisses für den in jenen Gegenden
noch aus zahlreichen Denkmälern sprechenden antiken Kunst-
geist; gleichzeitig wird das antike Detail wieder aufgenommen
und mit überraschender Feinfühligkeit, zuerst genau, dann freier
nachgebildet. Der Schauplatz dieser Protorenaissance ist die Mittel-
meerküste und das Rhonetal mit Ausläufern nach Burgund;
darf man etwa sagen, das griechische Blut sei hier noch nicht
verbraucht gewesen? — Wesentlich ein anderes Naturell, ein
keltisch gefärbtes, gibt sich in Aquitanien und im Poitou zu er-
kennen. Hier wird die dreischiffige Hallenanlage, mit gleicher
Höhe aller Schiffe, bevorzugt. Im Innenraum bleibt sie bedrückt
und dumpf, in einer unbeschreiblich fremdartigen, barbarischen
Stimmung; das Äußere prunkt in einem Überschwall von Zier-
formen; ihre Bildung ist weichlich und üppig, dabei ein Hang zur
Anhäufung spukhaft monströser Tiergestalten, deren Vorbilder,
durch Vermittelung sassanidischer Gewebe, aus der altorienta-
lischen Vorratskammer der Phantastik herstammten. Eine überaus
merkwürdige Umbildung des einschiffigen Saales vollzog sich in
der Landschaft Périgord: das Tonnengewölbe wurde durch eine
Folge von sphärischen Kuppeln ersetzt. Auch diese sind ein Er-
werb aus dem Osten, von den Kreuzfahrern mitgebracht; aber
nur als Element; Komposition und Geist der perigordinischen
Kunst ist nicht byzantinisch; es entsteht ein Bautypus von hoher
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