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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Zur Geschichte der Buchstaben-Reform in der Renaissance
en vulgar Italien un livre intitule Divina proportione, et qui a
voulu figurer lesdictes lettres Attiques, n'en a point aussi parle
ne baille raison: et je ne m'en esbays point, car j'ay ententu
par aulcuns Italiens qu'il a desrobe sesdictes lettres, et
prinses de feu messire Leonard Vince
, qui est trespasse a
Amboise et estait tresexcellent Philosophe et admirable painctre
et quasi un aultre Archimedes. Cedict frere Lucas a faict imprimer
ses lettres Attiques comme siennes. De vray, elles peuvent bien
estre a luy, car il ne les a pas faictes en leur deve proportion."
Und weiter Fol. 71v: ... qu'A veult avoir sa jambe droite grosse
de la dixiesme partie de sa hauteur ... et non pas de la neufi-
eusme partie, comme dict frere Lucas Paciolus ... J'ay entendu
que tout ce qu'il en a faict il a prins secretement de feu messire
Leonard Vince, qui estait grand Mathemacien, paintre et imageur."

Maistre Tory zeigt sich in seinem Buche mit Vitruv und dessen
italienischen Auslegern wohlvertraut; er hatte während eines zwei-
maligen Aufenthaltes in Italien, namentlich in Rom und Bologna,
grammatische, antiquarische und artistische Studien betrieben,
bevor er sich, im Jahr 1518, in Paris niederließ; mithin ist er ein
der Zeit und den Personen unmittelbar nahestehender Gewährs-
mann, und seine gegen Pacioli erhobene Anklage wird, wäre es nötig,
dadurch noch glaubwürdiger, daß Fra Luca jüngst schon eines
ähnlichen plagiatorischen Vergehens, an einem anderen Freunde
verübt, unwiderleglich überwiesen ist. Es handelt sich um den gleich-
falls der Divina proportione angehängten "libellus de quinque
corporibus regularibus". Da hat nun die Behauptung Vasaris
und Dantis, er habe diese von seinem Lehrer Piero della Francesca
herrührende Schrift betrügerischerweise unter seinem eigenen Namen
drucken lassen, lange zugunsten Lucas bestritten, durch Max
Jordans Entdeckung von Pieros Original in vollem Umfange
sich bewahrheitet. Und jetzt folgt auch der zweiten Anklage
der Beweis auf dem Fuße nach! Denn sollen wir mit dem Schlusse,
zu dem die Enthüllung Torys berechtigt, seitdem das Verhältnis Fra
Lucas zu dem hinter Schedel stehenden Unbekannten an den Tag ge-
kommen ist, ja logischerweise uns nötigt, noch länger zurückhalten?
Er kann nur lauten: dieser Unbekannte ist Lionardo da Vinci.

Zur Geschichte der Buchstaben-Reform in der Renaissance
en vulgar Italien un livre intitulé Divina proportione, et qui a
voulu figurer lesdictes lettres Attiques, n'en a point aussi parlé
ne baillé raison: et je ne m'en esbays point, car j'ay ententu
par aulcuns Italiens qu'il a desrobé sesdictes lettres, et
prinses de feu messire Leonard Vince
, qui est trespassé à
Amboise et estait tresexcellent Philosophe et admirable painctre
et quasi un aultre Archimedes. Cedict frere Lucas a faict imprimer
ses lettres Attiques comme siennes. De vray, elles peuvent bien
estre à luy, car il ne les a pas faictes en leur deve proportion.«
Und weiter Fol. 71v: ... qu'A veult avoir sa jambe droite grosse
de la dixiesme partie de sa hauteur ... et non pas de la neufi-
eusme partie, comme dict frere Lucas Paciolus ... J'ay entendu
que tout ce qu'il en a faict il a prins secretement de feu messire
Leonard Vince, qui estait grand Mathemacien, paintre et imageur.«

Maistre Tory zeigt sich in seinem Buche mit Vitruv und dessen
italienischen Auslegern wohlvertraut; er hatte während eines zwei-
maligen Aufenthaltes in Italien, namentlich in Rom und Bologna,
grammatische, antiquarische und artistische Studien betrieben,
bevor er sich, im Jahr 1518, in Paris niederließ; mithin ist er ein
der Zeit und den Personen unmittelbar nahestehender Gewährs-
mann, und seine gegen Pacioli erhobene Anklage wird, wäre es nötig,
dadurch noch glaubwürdiger, daß Fra Luca jüngst schon eines
ähnlichen plagiatorischen Vergehens, an einem anderen Freunde
verübt, unwiderleglich überwiesen ist. Es handelt sich um den gleich-
falls der Divina proportione angehängten »libellus de quinque
corporibus regularibus«. Da hat nun die Behauptung Vasaris
und Dantis, er habe diese von seinem Lehrer Piero della Francesca
herrührende Schrift betrügerischerweise unter seinem eigenen Namen
drucken lassen, lange zugunsten Lucas bestritten, durch Max
Jordans Entdeckung von Pieros Original in vollem Umfange
sich bewahrheitet. Und jetzt folgt auch der zweiten Anklage
der Beweis auf dem Fuße nach! Denn sollen wir mit dem Schlusse,
zu dem die Enthüllung Torys berechtigt, seitdem das Verhältnis Fra
Lucas zu dem hinter Schedel stehenden Unbekannten an den Tag ge-
kommen ist, ja logischerweise uns nötigt, noch länger zurückhalten?
Er kann nur lauten: dieser Unbekannte ist Lionardo da Vinci.

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[208/0260] Zur Geschichte der Buchstaben-Reform in der Renaissance en vulgar Italien un livre intitulé Divina proportione, et qui a voulu figurer lesdictes lettres Attiques, n'en a point aussi parlé ne baillé raison: et je ne m'en esbays point, car j'ay ententu par aulcuns Italiens qu'il a desrobé sesdictes lettres, et prinses de feu messire Leonard Vince, qui est trespassé à Amboise et estait tresexcellent Philosophe et admirable painctre et quasi un aultre Archimedes. Cedict frere Lucas a faict imprimer ses lettres Attiques comme siennes. De vray, elles peuvent bien estre à luy, car il ne les a pas faictes en leur deve proportion.« Und weiter Fol. 71v: ... qu'A veult avoir sa jambe droite grosse de la dixiesme partie de sa hauteur ... et non pas de la neufi- eusme partie, comme dict frere Lucas Paciolus ... J'ay entendu que tout ce qu'il en a faict il a prins secretement de feu messire Leonard Vince, qui estait grand Mathemacien, paintre et imageur.« Maistre Tory zeigt sich in seinem Buche mit Vitruv und dessen italienischen Auslegern wohlvertraut; er hatte während eines zwei- maligen Aufenthaltes in Italien, namentlich in Rom und Bologna, grammatische, antiquarische und artistische Studien betrieben, bevor er sich, im Jahr 1518, in Paris niederließ; mithin ist er ein der Zeit und den Personen unmittelbar nahestehender Gewährs- mann, und seine gegen Pacioli erhobene Anklage wird, wäre es nötig, dadurch noch glaubwürdiger, daß Fra Luca jüngst schon eines ähnlichen plagiatorischen Vergehens, an einem anderen Freunde verübt, unwiderleglich überwiesen ist. Es handelt sich um den gleich- falls der Divina proportione angehängten »libellus de quinque corporibus regularibus«. Da hat nun die Behauptung Vasaris und Dantis, er habe diese von seinem Lehrer Piero della Francesca herrührende Schrift betrügerischerweise unter seinem eigenen Namen drucken lassen, lange zugunsten Lucas bestritten, durch Max Jordans Entdeckung von Pieros Original in vollem Umfange sich bewahrheitet. Und jetzt folgt auch der zweiten Anklage der Beweis auf dem Fuße nach! Denn sollen wir mit dem Schlusse, zu dem die Enthüllung Torys berechtigt, seitdem das Verhältnis Fra Lucas zu dem hinter Schedel stehenden Unbekannten an den Tag ge- kommen ist, ja logischerweise uns nötigt, noch länger zurückhalten? Er kann nur lauten: dieser Unbekannte ist Lionardo da Vinci.

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/260>, abgerufen am 25.11.2024.