Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.Zur Geschichte der Buchstaben-Reform in der Renaissance fluß der Vorlage zu erkennen; über die Zeichnungen später. Sehrsonderbar auf den ersten Blick erscheint dagegen das Verhältnis zwischen der Schedelschen Version und Pacioli: Schedel verweist überall auf Hilfspunkte und -linien, nach denen man in seiner Zeichnung vergeblich sucht; und umgekehrt Pacioli gibt die kom- pliziertesten Konstruktionen, ohne daß ihr Zweck aus seinen kurzen Anmerkungen ersichtlich würde: ein verständliches Ganzes erhalten wir erst durch die wechselseitige Zuhilfenahme des Textes von jenem, der Figuren von diesem. Beide zusammengenommen ergeben die mutmaßliche Gestalt des Archytypus. Für die Richtigkeit dieses Fazits liefert der Vergleich mit Dürer die Probe. Während die Be- schaffenheit seines Textes die Möglichkeit ausschließt, daß er aus Pacioli geschöpft habe, beweist anderseits, verglichen mit Schedel, die größere Vollständigkeit seiner Konstruktionen und deren re- lative Ähnlichkeit mit den Paciolischen, daß ein der Urschrift näher- stehendes Exemplar, und zwar eben in der von uns angenommenen Gestalt, ihm vorgelegen haben muß. Er hat seine Quelle voll- ständiger ausgenutzt wie die beiden anderen, und doch zugleich mit größerer Selbständigkeit; namentlich geht sein Bestreben auf Vereinfachung des unnötig komplizierten Konstruktions- verfahrens. Man betrachte z. B. die oben mitgeteilte Littera c. Die Diagonalen m n und p q, welche nach dem Schedel-Pacioli- schen Schema außerdem noch für die Buchstaben D, G, O, Q in Anwendung kommen, hat er in allen diesen Fällen ausfallen lassen; andere Abweichungen kann ich ohne Zeichnung nicht deutlich machen. Dagegen ist es bei Pacioli bloße Vergeßlichkeit, daß er die Linie g h wegläßt, denn sie wird durch den Konstruktionsgedanken gefordert. -- Um auch dieses schließlich nicht unbemerkt zu lassen: Pacioli gibt nur das lateinische Alphabet, Schedel dazu noch das griechische und hebräische. In dem Widmungsbrief an seine Schüler aber nimmt Pacioli ausdrücklich auch auf die beiden letz- teren Bezug, woraus wieder der Schluß auf den Archytyp sich von selbst ergibt. Viel schwerer als bei den bisher betrachteten ist es, über den Zur Geschichte der Buchstaben-Reform in der Renaissance fluß der Vorlage zu erkennen; über die Zeichnungen später. Sehrsonderbar auf den ersten Blick erscheint dagegen das Verhältnis zwischen der Schedelschen Version und Pacioli: Schedel verweist überall auf Hilfspunkte und -linien, nach denen man in seiner Zeichnung vergeblich sucht; und umgekehrt Pacioli gibt die kom- pliziertesten Konstruktionen, ohne daß ihr Zweck aus seinen kurzen Anmerkungen ersichtlich würde: ein verständliches Ganzes erhalten wir erst durch die wechselseitige Zuhilfenahme des Textes von jenem, der Figuren von diesem. Beide zusammengenommen ergeben die mutmaßliche Gestalt des Archytypus. Für die Richtigkeit dieses Fazits liefert der Vergleich mit Dürer die Probe. Während die Be- schaffenheit seines Textes die Möglichkeit ausschließt, daß er aus Pacioli geschöpft habe, beweist anderseits, verglichen mit Schedel, die größere Vollständigkeit seiner Konstruktionen und deren re- lative Ähnlichkeit mit den Paciolischen, daß ein der Urschrift näher- stehendes Exemplar, und zwar eben in der von uns angenommenen Gestalt, ihm vorgelegen haben muß. Er hat seine Quelle voll- ständiger ausgenutzt wie die beiden anderen, und doch zugleich mit größerer Selbständigkeit; namentlich geht sein Bestreben auf Vereinfachung des unnötig komplizierten Konstruktions- verfahrens. Man betrachte z. B. die oben mitgeteilte Littera c. Die Diagonalen m n und p q, welche nach dem Schedel-Pacioli- schen Schema außerdem noch für die Buchstaben D, G, O, Q in Anwendung kommen, hat er in allen diesen Fällen ausfallen lassen; andere Abweichungen kann ich ohne Zeichnung nicht deutlich machen. Dagegen ist es bei Pacioli bloße Vergeßlichkeit, daß er die Linie g h wegläßt, denn sie wird durch den Konstruktionsgedanken gefordert. — Um auch dieses schließlich nicht unbemerkt zu lassen: Pacioli gibt nur das lateinische Alphabet, Schedel dazu noch das griechische und hebräische. In dem Widmungsbrief an seine Schüler aber nimmt Pacioli ausdrücklich auch auf die beiden letz- teren Bezug, woraus wieder der Schluß auf den Archytyp sich von selbst ergibt. Viel schwerer als bei den bisher betrachteten ist es, über den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0258" n="206"/><fw place="top" type="header">Zur Geschichte der Buchstaben-Reform in der Renaissance</fw><lb/> fluß der Vorlage zu erkennen; über die Zeichnungen später. 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Zur Geschichte der Buchstaben-Reform in der Renaissance
fluß der Vorlage zu erkennen; über die Zeichnungen später. Sehr
sonderbar auf den ersten Blick erscheint dagegen das Verhältnis
zwischen der Schedelschen Version und Pacioli: Schedel verweist
überall auf Hilfspunkte und -linien, nach denen man in seiner
Zeichnung vergeblich sucht; und umgekehrt Pacioli gibt die kom-
pliziertesten Konstruktionen, ohne daß ihr Zweck aus seinen kurzen
Anmerkungen ersichtlich würde: ein verständliches Ganzes erhalten
wir erst durch die wechselseitige Zuhilfenahme des Textes von jenem,
der Figuren von diesem. Beide zusammengenommen ergeben die
mutmaßliche Gestalt des Archytypus. Für die Richtigkeit dieses
Fazits liefert der Vergleich mit Dürer die Probe. Während die Be-
schaffenheit seines Textes die Möglichkeit ausschließt, daß er aus
Pacioli geschöpft habe, beweist anderseits, verglichen mit Schedel,
die größere Vollständigkeit seiner Konstruktionen und deren re-
lative Ähnlichkeit mit den Paciolischen, daß ein der Urschrift näher-
stehendes Exemplar, und zwar eben in der von uns angenommenen
Gestalt, ihm vorgelegen haben muß. Er hat seine Quelle voll-
ständiger ausgenutzt wie die beiden anderen, und doch zugleich
mit größerer Selbständigkeit; namentlich geht sein Bestreben
auf Vereinfachung des unnötig komplizierten Konstruktions-
verfahrens. Man betrachte z. B. die oben mitgeteilte Littera c.
Die Diagonalen m n und p q, welche nach dem Schedel-Pacioli-
schen Schema außerdem noch für die Buchstaben D, G, O, Q in
Anwendung kommen, hat er in allen diesen Fällen ausfallen lassen;
andere Abweichungen kann ich ohne Zeichnung nicht deutlich
machen. Dagegen ist es bei Pacioli bloße Vergeßlichkeit, daß er die
Linie g h wegläßt, denn sie wird durch den Konstruktionsgedanken
gefordert. — Um auch dieses schließlich nicht unbemerkt zu lassen:
Pacioli gibt nur das lateinische Alphabet, Schedel dazu noch das
griechische und hebräische. In dem Widmungsbrief an seine
Schüler aber nimmt Pacioli ausdrücklich auch auf die beiden letz-
teren Bezug, woraus wieder der Schluß auf den Archytyp sich
von selbst ergibt.
Viel schwerer als bei den bisher betrachteten ist es, über den
Ursprung von Felicianos Schrift eine Ansicht zu gewinnen. Er
bezeichnet das »cavare la littera di tondo e quadro« als eine »usanza
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