Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.Zur Geschichte der Buchstaben-Reform in der Renaissance Brief des Johannes Lascaris an Piero de Medici ("Cum graecaslitteras etc.") über die Notwendigkeit, der wiederhergestellten griechischen und lateinischen Literatur nun auch die alte, echte, edle Gestalt ihrer Schriftzeichen wiederzugeben. Die Epistel um- faßte zehn Blätter, wovon jedoch nur das erste unversehrt geblieben, die übrigen aber ausgeschnitten sind. -- Mit Fol. 14 beginnt der Traktat, auf den der Titel "ars litteraria" in vorzugsweisem Sinne sich bezieht. Nach einigen einleitenden Sätzen ("Litteras antiquae formae deducturus, quas plerique majusculas appellant" etc.) kommen die ausführlichen Vorschriften für die Konstruktion der einzelnen Buchstaben, zunächst der römischen Kapitale; erläuternde Figuren sind jedesmal beigezeichnet; Fol. 32--40 gibt das griechische, Fol. 46--53 das hebräische Alphabet, diese beiden nur in Zeichnungen, ohne Text. Nach einigen leeren Blät- tern ist dann der ganze Traktat noch einmal wiederholt, Wort für Wort unverändert, mit der gleichen unermüdeten kalligraphi- schen Sorgfalt -- eine Leistung des fast zur Manie gewordenen Abschreibefleißes, dergleichen in den Schedelschen Handschriften mehrfach zu finden ist. Da die dicke Papierlage hiermit aber noch immer nicht aufgebraucht war, so sind die übriggebliebenen Blätter nach und nach, wie der Zufall es brachte, mit Mustern der in Deutsch- land damals noch die Alleinherrschaft genießenden "Textur" ausgefüllt, teils mit der Hand eingezeichnete Alphabete, teils ein- geklebte Holzschnitte und Kupferstiche1), alles ohne erklärende Beischriften. -- Aus dem, wie man deutlich erkennt, allmählichem Anwachsen des Kodex ist zu schließen, daß die erste Eintragung mehr oder minder lange Zeit vor 1514, d. i. dem Todesjahre Schedels, gemacht sein müsse; anderseits die Grenze nach rückwärts ergibt sich aus der Epistel des Lascaris, wie sich gleich zeigen wird. Deren arge Verstümmelung in unserem Kodex ist nämlich ein 1) Unter den letzteren befindet sich ein seltener Schatz, ein voll-
ständiges Exemplar des Figurenalphabetes von 1464. Ich werde es dem- nächst in photographischer Reproduktion herausgeben im Verlage von J. Aumüller in München. Zur Geschichte der Buchstaben-Reform in der Renaissance Brief des Johannes Lascaris an Piero de Medici (»Cum graecaslitteras etc.«) über die Notwendigkeit, der wiederhergestellten griechischen und lateinischen Literatur nun auch die alte, echte, edle Gestalt ihrer Schriftzeichen wiederzugeben. Die Epistel um- faßte zehn Blätter, wovon jedoch nur das erste unversehrt geblieben, die übrigen aber ausgeschnitten sind. — Mit Fol. 14 beginnt der Traktat, auf den der Titel »ars litteraria« in vorzugsweisem Sinne sich bezieht. Nach einigen einleitenden Sätzen (»Litteras antiquae formae deducturus, quas plerique majusculas appellant« etc.) kommen die ausführlichen Vorschriften für die Konstruktion der einzelnen Buchstaben, zunächst der römischen Kapitale; erläuternde Figuren sind jedesmal beigezeichnet; Fol. 32—40 gibt das griechische, Fol. 46—53 das hebräische Alphabet, diese beiden nur in Zeichnungen, ohne Text. Nach einigen leeren Blät- tern ist dann der ganze Traktat noch einmal wiederholt, Wort für Wort unverändert, mit der gleichen unermüdeten kalligraphi- schen Sorgfalt — eine Leistung des fast zur Manie gewordenen Abschreibefleißes, dergleichen in den Schedelschen Handschriften mehrfach zu finden ist. Da die dicke Papierlage hiermit aber noch immer nicht aufgebraucht war, so sind die übriggebliebenen Blätter nach und nach, wie der Zufall es brachte, mit Mustern der in Deutsch- land damals noch die Alleinherrschaft genießenden »Textur« ausgefüllt, teils mit der Hand eingezeichnete Alphabete, teils ein- geklebte Holzschnitte und Kupferstiche1), alles ohne erklärende Beischriften. — Aus dem, wie man deutlich erkennt, allmählichem Anwachsen des Kodex ist zu schließen, daß die erste Eintragung mehr oder minder lange Zeit vor 1514, d. i. dem Todesjahre Schedels, gemacht sein müsse; anderseits die Grenze nach rückwärts ergibt sich aus der Epistel des Lascaris, wie sich gleich zeigen wird. Deren arge Verstümmelung in unserem Kodex ist nämlich ein 1) Unter den letzteren befindet sich ein seltener Schatz, ein voll-
ständiges Exemplar des Figurenalphabetes von 1464. Ich werde es dem- nächst in photographischer Reproduktion herausgeben im Verlage von J. Aumüller in München. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0252" n="200"/><fw place="top" type="header">Zur Geschichte der Buchstaben-Reform in der Renaissance</fw><lb/> Brief des Johannes Lascaris an Piero de Medici (»Cum graecas<lb/> litteras etc.«) über die Notwendigkeit, der wiederhergestellten<lb/> griechischen und lateinischen Literatur nun auch die alte, echte,<lb/> edle Gestalt ihrer Schriftzeichen wiederzugeben. Die Epistel um-<lb/> faßte zehn Blätter, wovon jedoch nur das erste unversehrt geblieben,<lb/> die übrigen aber ausgeschnitten sind. — Mit Fol. 14 beginnt der<lb/> Traktat, auf den der Titel »ars litteraria« in vorzugsweisem Sinne<lb/> sich bezieht. Nach einigen einleitenden Sätzen (»Litteras antiquae<lb/> formae deducturus, quas plerique majusculas appellant« etc.)<lb/> kommen die ausführlichen Vorschriften für die Konstruktion<lb/> der einzelnen Buchstaben, zunächst der römischen Kapitale;<lb/> erläuternde Figuren sind jedesmal beigezeichnet; Fol. 32—40<lb/> gibt das griechische, Fol. 46—53 das hebräische Alphabet, diese<lb/> beiden nur in Zeichnungen, ohne Text. Nach einigen leeren Blät-<lb/> tern ist dann der ganze Traktat noch einmal wiederholt, Wort<lb/> für Wort unverändert, mit der gleichen unermüdeten kalligraphi-<lb/> schen Sorgfalt — eine Leistung des fast zur Manie gewordenen<lb/> Abschreibefleißes, dergleichen in den Schedelschen Handschriften<lb/> mehrfach zu finden ist. Da die dicke Papierlage hiermit aber noch<lb/> immer nicht aufgebraucht war, so sind die übriggebliebenen Blätter<lb/> nach und nach, wie der Zufall es brachte, mit Mustern der in Deutsch-<lb/> land damals noch die Alleinherrschaft genießenden »Textur«<lb/> ausgefüllt, teils mit der Hand eingezeichnete Alphabete, teils ein-<lb/> geklebte Holzschnitte und Kupferstiche<note place="foot" n="1)">Unter den letzteren befindet sich ein seltener Schatz, ein voll-<lb/> ständiges Exemplar des Figurenalphabetes von 1464. Ich werde es dem-<lb/> nächst in photographischer Reproduktion herausgeben im Verlage von<lb/> J. Aumüller in München.</note>, alles ohne erklärende<lb/> Beischriften. — Aus dem, wie man deutlich erkennt, allmählichem<lb/> Anwachsen des Kodex ist zu schließen, daß die erste Eintragung<lb/> mehr oder minder lange Zeit vor 1514, d. i. dem Todesjahre Schedels,<lb/> gemacht sein müsse; anderseits die Grenze nach rückwärts ergibt<lb/> sich aus der Epistel des Lascaris, wie sich gleich zeigen wird.</p><lb/> <p>Deren arge Verstümmelung in unserem Kodex ist nämlich ein<lb/> wohl zu verschmerzender Verlust. Ich habe gefunden, daß sie an<lb/> einem anderen Orte vollständig überliefert ist, als Beilage zu einigen,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [200/0252]
Zur Geschichte der Buchstaben-Reform in der Renaissance
Brief des Johannes Lascaris an Piero de Medici (»Cum graecas
litteras etc.«) über die Notwendigkeit, der wiederhergestellten
griechischen und lateinischen Literatur nun auch die alte, echte,
edle Gestalt ihrer Schriftzeichen wiederzugeben. Die Epistel um-
faßte zehn Blätter, wovon jedoch nur das erste unversehrt geblieben,
die übrigen aber ausgeschnitten sind. — Mit Fol. 14 beginnt der
Traktat, auf den der Titel »ars litteraria« in vorzugsweisem Sinne
sich bezieht. Nach einigen einleitenden Sätzen (»Litteras antiquae
formae deducturus, quas plerique majusculas appellant« etc.)
kommen die ausführlichen Vorschriften für die Konstruktion
der einzelnen Buchstaben, zunächst der römischen Kapitale;
erläuternde Figuren sind jedesmal beigezeichnet; Fol. 32—40
gibt das griechische, Fol. 46—53 das hebräische Alphabet, diese
beiden nur in Zeichnungen, ohne Text. Nach einigen leeren Blät-
tern ist dann der ganze Traktat noch einmal wiederholt, Wort
für Wort unverändert, mit der gleichen unermüdeten kalligraphi-
schen Sorgfalt — eine Leistung des fast zur Manie gewordenen
Abschreibefleißes, dergleichen in den Schedelschen Handschriften
mehrfach zu finden ist. Da die dicke Papierlage hiermit aber noch
immer nicht aufgebraucht war, so sind die übriggebliebenen Blätter
nach und nach, wie der Zufall es brachte, mit Mustern der in Deutsch-
land damals noch die Alleinherrschaft genießenden »Textur«
ausgefüllt, teils mit der Hand eingezeichnete Alphabete, teils ein-
geklebte Holzschnitte und Kupferstiche 1), alles ohne erklärende
Beischriften. — Aus dem, wie man deutlich erkennt, allmählichem
Anwachsen des Kodex ist zu schließen, daß die erste Eintragung
mehr oder minder lange Zeit vor 1514, d. i. dem Todesjahre Schedels,
gemacht sein müsse; anderseits die Grenze nach rückwärts ergibt
sich aus der Epistel des Lascaris, wie sich gleich zeigen wird.
Deren arge Verstümmelung in unserem Kodex ist nämlich ein
wohl zu verschmerzender Verlust. Ich habe gefunden, daß sie an
einem anderen Orte vollständig überliefert ist, als Beilage zu einigen,
1) Unter den letzteren befindet sich ein seltener Schatz, ein voll-
ständiges Exemplar des Figurenalphabetes von 1464. Ich werde es dem-
nächst in photographischer Reproduktion herausgeben im Verlage von
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