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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Die Bauprojekte Nikolaus V. und L. B. Alberti
der Peterskirche zum Spiegel der Wandlung, welche sich in der
Weltanschauung vollzogen hatte. Das Werk Bramantes und
Michelangelos muß mißhandelt, die Zentralanlage, das höchste
Bauideal der Renaissance, muß verfälscht werden durch die Vor-
schiebung eines Langhauses, das den ganzen von der alten
Basilika eingenommenen Flächenraum umschließen soll, "damit
der heilige Ort nicht durch einen profanen Zweck entweiht werde
und um die Spuren der heiligen Reliquien, das Andenken S. Syl-
vesters und die Ehrfurcht für Konstantin den Großen zu be-
wahren". So strafte das zum rechten Kirchensinn zurückgekehrte
Papsttum des restaurierten Katholizismus die heidnische Schön-
heitsfreudigkeit der Renaissancepäpste Nikolaus und Julius.

Doch will ich nicht länger bei der kulturgeschichtlichen Seite
unseres Themas verweilen; denn nicht nur hier sondern eben-
sosehr im speziellen baukünstlerischen Gedankengehalt liegt das
Neue im Projekte des Papstes. Im Vergleich zum Mittelalter ist
es einer der erheblichsten Schritte nach vorwärts, der von der
Renaissance getan wird, daß sie das Bauwerk nicht mehr, wie jenes
Zeitalter es tat, als ein allein und bloß für sich bestehendes nimmt,
sondern daß sie es mit ausgesprochener Beziehung auf seine Um-
gebung konzipiert. Die nicht ohne gewaltsame Anstrengung von
der diesseitigen Welt sich abkehrende Sinnesart des Mittelalters
hatte es sozusagen verachtet, ihre hoch über den irdischen Dunst
hinausstrebenden Kathedralen mit den kleinen Menschenbehau-
sungen zu deren Füßen in ein künstlerisches Wechselverhältnis
zu setzen; sie hatte kein Bedürfnis verspürt, die Anlage der Straßen
und Plätze einer höheren Ordnung und Symmetrie zu unter-
werfen. In Italien, wo an manchen Orten Spuren antiker Grund-
risse zu Hilfe kamen, stand es damit allerdings etwas besser; man
denke an den (nach Burckhardt übrigens schon den Stempel der
Protorenaissance tragenden) Domplatz zu Pisa oder die Piazza
del Campo zu Siena. Von solchen hier und da auftretenden Vor-
boten indes abgesehen, war es doch erst die Renaissance, welche,
wo immer es gestattet war, ins Ganze komponierte, welche in
dieselben Harmoniegesetze, die für das einzelne Bauwerk maß-
gebend waren, die ganze natürliche und bauliche Umgebung ein-

Die Bauprojekte Nikolaus V. und L. B. Alberti
der Peterskirche zum Spiegel der Wandlung, welche sich in der
Weltanschauung vollzogen hatte. Das Werk Bramantes und
Michelangelos muß mißhandelt, die Zentralanlage, das höchste
Bauideal der Renaissance, muß verfälscht werden durch die Vor-
schiebung eines Langhauses, das den ganzen von der alten
Basilika eingenommenen Flächenraum umschließen soll, »damit
der heilige Ort nicht durch einen profanen Zweck entweiht werde
und um die Spuren der heiligen Reliquien, das Andenken S. Syl-
vesters und die Ehrfurcht für Konstantin den Großen zu be-
wahren«. So strafte das zum rechten Kirchensinn zurückgekehrte
Papsttum des restaurierten Katholizismus die heidnische Schön-
heitsfreudigkeit der Renaissancepäpste Nikolaus und Julius.

Doch will ich nicht länger bei der kulturgeschichtlichen Seite
unseres Themas verweilen; denn nicht nur hier sondern eben-
sosehr im speziellen baukünstlerischen Gedankengehalt liegt das
Neue im Projekte des Papstes. Im Vergleich zum Mittelalter ist
es einer der erheblichsten Schritte nach vorwärts, der von der
Renaissance getan wird, daß sie das Bauwerk nicht mehr, wie jenes
Zeitalter es tat, als ein allein und bloß für sich bestehendes nimmt,
sondern daß sie es mit ausgesprochener Beziehung auf seine Um-
gebung konzipiert. Die nicht ohne gewaltsame Anstrengung von
der diesseitigen Welt sich abkehrende Sinnesart des Mittelalters
hatte es sozusagen verachtet, ihre hoch über den irdischen Dunst
hinausstrebenden Kathedralen mit den kleinen Menschenbehau-
sungen zu deren Füßen in ein künstlerisches Wechselverhältnis
zu setzen; sie hatte kein Bedürfnis verspürt, die Anlage der Straßen
und Plätze einer höheren Ordnung und Symmetrie zu unter-
werfen. In Italien, wo an manchen Orten Spuren antiker Grund-
risse zu Hilfe kamen, stand es damit allerdings etwas besser; man
denke an den (nach Burckhardt übrigens schon den Stempel der
Protorenaissance tragenden) Domplatz zu Pisa oder die Piazza
del Campo zu Siena. Von solchen hier und da auftretenden Vor-
boten indes abgesehen, war es doch erst die Renaissance, welche,
wo immer es gestattet war, ins Ganze komponierte, welche in
dieselben Harmoniegesetze, die für das einzelne Bauwerk maß-
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[168/0210] Die Bauprojekte Nikolaus V. und L. B. Alberti der Peterskirche zum Spiegel der Wandlung, welche sich in der Weltanschauung vollzogen hatte. Das Werk Bramantes und Michelangelos muß mißhandelt, die Zentralanlage, das höchste Bauideal der Renaissance, muß verfälscht werden durch die Vor- schiebung eines Langhauses, das den ganzen von der alten Basilika eingenommenen Flächenraum umschließen soll, »damit der heilige Ort nicht durch einen profanen Zweck entweiht werde und um die Spuren der heiligen Reliquien, das Andenken S. Syl- vesters und die Ehrfurcht für Konstantin den Großen zu be- wahren«. So strafte das zum rechten Kirchensinn zurückgekehrte Papsttum des restaurierten Katholizismus die heidnische Schön- heitsfreudigkeit der Renaissancepäpste Nikolaus und Julius. Doch will ich nicht länger bei der kulturgeschichtlichen Seite unseres Themas verweilen; denn nicht nur hier sondern eben- sosehr im speziellen baukünstlerischen Gedankengehalt liegt das Neue im Projekte des Papstes. Im Vergleich zum Mittelalter ist es einer der erheblichsten Schritte nach vorwärts, der von der Renaissance getan wird, daß sie das Bauwerk nicht mehr, wie jenes Zeitalter es tat, als ein allein und bloß für sich bestehendes nimmt, sondern daß sie es mit ausgesprochener Beziehung auf seine Um- gebung konzipiert. Die nicht ohne gewaltsame Anstrengung von der diesseitigen Welt sich abkehrende Sinnesart des Mittelalters hatte es sozusagen verachtet, ihre hoch über den irdischen Dunst hinausstrebenden Kathedralen mit den kleinen Menschenbehau- sungen zu deren Füßen in ein künstlerisches Wechselverhältnis zu setzen; sie hatte kein Bedürfnis verspürt, die Anlage der Straßen und Plätze einer höheren Ordnung und Symmetrie zu unter- werfen. In Italien, wo an manchen Orten Spuren antiker Grund- risse zu Hilfe kamen, stand es damit allerdings etwas besser; man denke an den (nach Burckhardt übrigens schon den Stempel der Protorenaissance tragenden) Domplatz zu Pisa oder die Piazza del Campo zu Siena. Von solchen hier und da auftretenden Vor- boten indes abgesehen, war es doch erst die Renaissance, welche, wo immer es gestattet war, ins Ganze komponierte, welche in dieselben Harmoniegesetze, die für das einzelne Bauwerk maß- gebend waren, die ganze natürliche und bauliche Umgebung ein-

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/210>, abgerufen am 25.11.2024.