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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert
auf die profane und realistische Seite hindrängte. Die Kunst des
nachreformatorischen 16. Jahrhunderts ist zweifellos am besten
dort, wo sie in rein ornamentaler Phantasie sich ergeht -- und
so könnte man sagen, sie sei wieder auf dem Standpunkte des
deutschen Altertums angelangt.

Nun aber sind Kirche und Religion nicht dasselbe. Hatte
die Reformation das Band zwischen der Kunst und der Kirche
gelöst -- eine religiöse Kunst, die freilich nur noch eine freie,
subjektivistische Kunst der einzelnen sein konnte, war auch im
Protestantismus noch möglich. Das hat schon Dürer mit seinen
ganz aus persönlichen Erlebnissen heraus zu begreifenden Apostel-
bildern für sich in Anspruch genommen. Das hat gewaltig ergrei-
fend Rembrandt dargetan. Aber Rembrandt steht fast allein.

Wenn wir nun doch wissen, daß von den zwei evangelischen
Bekenntnissen der Kalvinismus dogmatisch, ethisch und liturgisch
weit schroffer als das Luthertum die Kunst ablehnte, und wenn
trotzdem im kalvinistischen Holland die große Kunstblüte ein-
trat, während das lutherische Deutschland der Kunst abstarb,
so ist dieser Gegensatz eine Mahnung, nicht alle negativen Posten
der Rechnung dem Protestantismus als solchem aufzubürden. Es
sind auch noch andere Ursachen dagewesen, einige sehr hand-
greifliche, wie die wirtschaftliche Verarmung im Dreißigjährigen
Krieg, andere im Psychischen zu suchen, aber so kompliziert,
daß wir ihnen hier nicht mehr nachgehen können. Es genüge,
das deutliche Ergebnis hinzustellen: die norddeutschen Protestanten
waren keineswegs Menschen ohne künstlerisches Bedürfen und Ver-
langen, aber dasselbe wandte sich bei ihnen mit einseitiger Ent-
schiedenheit vom sinnlichen Bilde weg einer anderen Kunst zu:
die protestantische Kunst wurde die Musik. Die Namen Schütz,
Bach und Händel geben die Antwort auf die Frage, warum der
deutsche Protestantismus keinen Rembrandt hervorgebracht hat.

Allein noch die Baukunst, diese "gefrorene Musik", hätte die
gleiche Bedeutung erlangen können. Und eine Zeitlang schien es
auch so werden zu wollen. Um dieselbe Zeit, als der katholische
Kirchenbau sich aus seiner Lähmung erhob, und als sein erstes
bedeutendes Werk, die Jesuitenkirche St. Michael in München,

Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert
auf die profane und realistische Seite hindrängte. Die Kunst des
nachreformatorischen 16. Jahrhunderts ist zweifellos am besten
dort, wo sie in rein ornamentaler Phantasie sich ergeht — und
so könnte man sagen, sie sei wieder auf dem Standpunkte des
deutschen Altertums angelangt.

Nun aber sind Kirche und Religion nicht dasselbe. Hatte
die Reformation das Band zwischen der Kunst und der Kirche
gelöst — eine religiöse Kunst, die freilich nur noch eine freie,
subjektivistische Kunst der einzelnen sein konnte, war auch im
Protestantismus noch möglich. Das hat schon Dürer mit seinen
ganz aus persönlichen Erlebnissen heraus zu begreifenden Apostel-
bildern für sich in Anspruch genommen. Das hat gewaltig ergrei-
fend Rembrandt dargetan. Aber Rembrandt steht fast allein.

Wenn wir nun doch wissen, daß von den zwei evangelischen
Bekenntnissen der Kalvinismus dogmatisch, ethisch und liturgisch
weit schroffer als das Luthertum die Kunst ablehnte, und wenn
trotzdem im kalvinistischen Holland die große Kunstblüte ein-
trat, während das lutherische Deutschland der Kunst abstarb,
so ist dieser Gegensatz eine Mahnung, nicht alle negativen Posten
der Rechnung dem Protestantismus als solchem aufzubürden. Es
sind auch noch andere Ursachen dagewesen, einige sehr hand-
greifliche, wie die wirtschaftliche Verarmung im Dreißigjährigen
Krieg, andere im Psychischen zu suchen, aber so kompliziert,
daß wir ihnen hier nicht mehr nachgehen können. Es genüge,
das deutliche Ergebnis hinzustellen: die norddeutschen Protestanten
waren keineswegs Menschen ohne künstlerisches Bedürfen und Ver-
langen, aber dasselbe wandte sich bei ihnen mit einseitiger Ent-
schiedenheit vom sinnlichen Bilde weg einer anderen Kunst zu:
die protestantische Kunst wurde die Musik. Die Namen Schütz,
Bach und Händel geben die Antwort auf die Frage, warum der
deutsche Protestantismus keinen Rembrandt hervorgebracht hat.

Allein noch die Baukunst, diese »gefrorene Musik«, hätte die
gleiche Bedeutung erlangen können. Und eine Zeitlang schien es
auch so werden zu wollen. Um dieselbe Zeit, als der katholische
Kirchenbau sich aus seiner Lähmung erhob, und als sein erstes
bedeutendes Werk, die Jesuitenkirche St. Michael in München,

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[156/0198] Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert auf die profane und realistische Seite hindrängte. Die Kunst des nachreformatorischen 16. Jahrhunderts ist zweifellos am besten dort, wo sie in rein ornamentaler Phantasie sich ergeht — und so könnte man sagen, sie sei wieder auf dem Standpunkte des deutschen Altertums angelangt. Nun aber sind Kirche und Religion nicht dasselbe. Hatte die Reformation das Band zwischen der Kunst und der Kirche gelöst — eine religiöse Kunst, die freilich nur noch eine freie, subjektivistische Kunst der einzelnen sein konnte, war auch im Protestantismus noch möglich. Das hat schon Dürer mit seinen ganz aus persönlichen Erlebnissen heraus zu begreifenden Apostel- bildern für sich in Anspruch genommen. Das hat gewaltig ergrei- fend Rembrandt dargetan. Aber Rembrandt steht fast allein. Wenn wir nun doch wissen, daß von den zwei evangelischen Bekenntnissen der Kalvinismus dogmatisch, ethisch und liturgisch weit schroffer als das Luthertum die Kunst ablehnte, und wenn trotzdem im kalvinistischen Holland die große Kunstblüte ein- trat, während das lutherische Deutschland der Kunst abstarb, so ist dieser Gegensatz eine Mahnung, nicht alle negativen Posten der Rechnung dem Protestantismus als solchem aufzubürden. Es sind auch noch andere Ursachen dagewesen, einige sehr hand- greifliche, wie die wirtschaftliche Verarmung im Dreißigjährigen Krieg, andere im Psychischen zu suchen, aber so kompliziert, daß wir ihnen hier nicht mehr nachgehen können. Es genüge, das deutliche Ergebnis hinzustellen: die norddeutschen Protestanten waren keineswegs Menschen ohne künstlerisches Bedürfen und Ver- langen, aber dasselbe wandte sich bei ihnen mit einseitiger Ent- schiedenheit vom sinnlichen Bilde weg einer anderen Kunst zu: die protestantische Kunst wurde die Musik. Die Namen Schütz, Bach und Händel geben die Antwort auf die Frage, warum der deutsche Protestantismus keinen Rembrandt hervorgebracht hat. Allein noch die Baukunst, diese »gefrorene Musik«, hätte die gleiche Bedeutung erlangen können. Und eine Zeitlang schien es auch so werden zu wollen. Um dieselbe Zeit, als der katholische Kirchenbau sich aus seiner Lähmung erhob, und als sein erstes bedeutendes Werk, die Jesuitenkirche St. Michael in München,

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/198>, abgerufen am 22.11.2024.