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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert
grab durchsetzte, wuchsen Verschwendung wie Prunksucht, aber
in umgekehrtem Verhältnis zur künstlerischen Gestaltungskraft.
Der Schwerpunkt liegt bei diesem Typus im architektonischen
Aufbau und seiner Ornamentierung, das Figürliche aber verfällt
öder Banalität, die Porträtgestalten sind selten mehr als fleißige
Kostümbilder, die überreichen Reliefs biblischen und allegorischen
Inhalts Virtuosenstücke ohne Leben, ohne Liebe.

An den wenigen Höfen, an denen die nordische Renaissance-
bildung je tiefer und feiner aufgefaßt wurde, entstand alsbald das
Verlangen nach Berufung künstlerischer Kräfte aus dem Heimat-
lande der neuen Kunst. Das ist ein Neues in der deutschen Kunst-
geschichte. Zwar schon früher einmal, im 12. Jahrhundert, waren
Italiener in ziemlicher Menge in Deutschland beschäftigt worden,
aber ohne den Gang der deutschen Kunst tiefer zu beeinflussen.
Im 13. Jahrhundert, als es darauf ankam, das in Frankreich ent-
standene gotische Bausystem kennen zu lernen, wanderten deutsche
Bauleute in Scharen dorthin; nach Hause zurückgekehrt, opferten
sie in der Reproduktion der fremden Formen doch nicht den eigenen
Willen. Jetzt aber galt zum erstenmal der fremde Künstler als
solcher und grundsätzlich für den besseren. Dies Vorurteil behielt
von nun ab an den deutschen Höfen, wie man weiß, mehrere Jahr-
hunderte hindurch Bestand. Dagegen war die Zahl der Deut-
schen, die im 16. Jahrhundert die Renaissancekunst an der Quelle
studierten, verhältnismäßig klein, man begnügte sich mit abge-
leiteten Erkenntnissen zweiter Hand. Jener bairische Herzog, der
im Jahre 1537 einen großen Trupp von Bauhandwerkern aus
Mantua nach Landshut berief, tat nur, was die meisten seiner
Standesgenossen gern getan hätten, aber nicht oft erreichen konn-
ten. Die meisten dieser als Ratgeber und Entwerfer berufenen
italienischen Künstler waren mediokre Leute. Aber sie besaßen
die geistige Geschmeidigkeit, mit der deutschen Tradition Kom-
promisse einzugehen, gerade wie ihre nach Frankreich berufenen
-- übrigens im künstlerischen Range durchgehend höher stehen-
den -- Landsleute es für das beste hielten. Seitdem wir wissen,
daß das Schloß von Chambord, das wir immer als ein besonders
bezeichnendes Abbild französischen Wesens angesehen hatten, von


Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert
grab durchsetzte, wuchsen Verschwendung wie Prunksucht, aber
in umgekehrtem Verhältnis zur künstlerischen Gestaltungskraft.
Der Schwerpunkt liegt bei diesem Typus im architektonischen
Aufbau und seiner Ornamentierung, das Figürliche aber verfällt
öder Banalität, die Porträtgestalten sind selten mehr als fleißige
Kostümbilder, die überreichen Reliefs biblischen und allegorischen
Inhalts Virtuosenstücke ohne Leben, ohne Liebe.

An den wenigen Höfen, an denen die nordische Renaissance-
bildung je tiefer und feiner aufgefaßt wurde, entstand alsbald das
Verlangen nach Berufung künstlerischer Kräfte aus dem Heimat-
lande der neuen Kunst. Das ist ein Neues in der deutschen Kunst-
geschichte. Zwar schon früher einmal, im 12. Jahrhundert, waren
Italiener in ziemlicher Menge in Deutschland beschäftigt worden,
aber ohne den Gang der deutschen Kunst tiefer zu beeinflussen.
Im 13. Jahrhundert, als es darauf ankam, das in Frankreich ent-
standene gotische Bausystem kennen zu lernen, wanderten deutsche
Bauleute in Scharen dorthin; nach Hause zurückgekehrt, opferten
sie in der Reproduktion der fremden Formen doch nicht den eigenen
Willen. Jetzt aber galt zum erstenmal der fremde Künstler als
solcher und grundsätzlich für den besseren. Dies Vorurteil behielt
von nun ab an den deutschen Höfen, wie man weiß, mehrere Jahr-
hunderte hindurch Bestand. Dagegen war die Zahl der Deut-
schen, die im 16. Jahrhundert die Renaissancekunst an der Quelle
studierten, verhältnismäßig klein, man begnügte sich mit abge-
leiteten Erkenntnissen zweiter Hand. Jener bairische Herzog, der
im Jahre 1537 einen großen Trupp von Bauhandwerkern aus
Mantua nach Landshut berief, tat nur, was die meisten seiner
Standesgenossen gern getan hätten, aber nicht oft erreichen konn-
ten. Die meisten dieser als Ratgeber und Entwerfer berufenen
italienischen Künstler waren mediokre Leute. Aber sie besaßen
die geistige Geschmeidigkeit, mit der deutschen Tradition Kom-
promisse einzugehen, gerade wie ihre nach Frankreich berufenen
— übrigens im künstlerischen Range durchgehend höher stehen-
den — Landsleute es für das beste hielten. Seitdem wir wissen,
daß das Schloß von Chambord, das wir immer als ein besonders
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[152/0194] Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert grab durchsetzte, wuchsen Verschwendung wie Prunksucht, aber in umgekehrtem Verhältnis zur künstlerischen Gestaltungskraft. Der Schwerpunkt liegt bei diesem Typus im architektonischen Aufbau und seiner Ornamentierung, das Figürliche aber verfällt öder Banalität, die Porträtgestalten sind selten mehr als fleißige Kostümbilder, die überreichen Reliefs biblischen und allegorischen Inhalts Virtuosenstücke ohne Leben, ohne Liebe. An den wenigen Höfen, an denen die nordische Renaissance- bildung je tiefer und feiner aufgefaßt wurde, entstand alsbald das Verlangen nach Berufung künstlerischer Kräfte aus dem Heimat- lande der neuen Kunst. Das ist ein Neues in der deutschen Kunst- geschichte. Zwar schon früher einmal, im 12. Jahrhundert, waren Italiener in ziemlicher Menge in Deutschland beschäftigt worden, aber ohne den Gang der deutschen Kunst tiefer zu beeinflussen. Im 13. Jahrhundert, als es darauf ankam, das in Frankreich ent- standene gotische Bausystem kennen zu lernen, wanderten deutsche Bauleute in Scharen dorthin; nach Hause zurückgekehrt, opferten sie in der Reproduktion der fremden Formen doch nicht den eigenen Willen. Jetzt aber galt zum erstenmal der fremde Künstler als solcher und grundsätzlich für den besseren. Dies Vorurteil behielt von nun ab an den deutschen Höfen, wie man weiß, mehrere Jahr- hunderte hindurch Bestand. Dagegen war die Zahl der Deut- schen, die im 16. Jahrhundert die Renaissancekunst an der Quelle studierten, verhältnismäßig klein, man begnügte sich mit abge- leiteten Erkenntnissen zweiter Hand. Jener bairische Herzog, der im Jahre 1537 einen großen Trupp von Bauhandwerkern aus Mantua nach Landshut berief, tat nur, was die meisten seiner Standesgenossen gern getan hätten, aber nicht oft erreichen konn- ten. Die meisten dieser als Ratgeber und Entwerfer berufenen italienischen Künstler waren mediokre Leute. Aber sie besaßen die geistige Geschmeidigkeit, mit der deutschen Tradition Kom- promisse einzugehen, gerade wie ihre nach Frankreich berufenen — übrigens im künstlerischen Range durchgehend höher stehen- den — Landsleute es für das beste hielten. Seitdem wir wissen, daß das Schloß von Chambord, das wir immer als ein besonders bezeichnendes Abbild französischen Wesens angesehen hatten, von

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/194>, abgerufen am 22.11.2024.