Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert aber sicher sehr beschleunigt, begann die Verschiebung der Ge-wichte in der sozialen Ordnung, die wir alle kennen. Es ist merk- würdig, wie prompt die Kunst darauf reagiert. Ich nenne als leicht zu überschauende Belege die beiden großen populären Gat- tungen der Holzplastik und des Bilddruckes in Gestalt des Holz- schnittes. Wie schnell verfallen sie! Man kann sagen, daß in dem einen Jahrzehnt von 1500 bis 1510 mehr Holzplastik und vor allem unendlich viel besser produziert worden ist als in dem Halb- jahrhundert von 1550 bis 1600. Als Kaiser Maximilian I. auf den Gedanken kam, die Kunst zum Herold seines Ruhmes aufzu- bieten, da war es ihm das natürlichste und zeitgemäßeste, sich dem Holzschnitt anzuvertrauen; Karl V. oder Ferdinand hätten alles eher gewählt als ihn. Im 15. und frühen 16. Jahrhundert hatte zwischen höfischer und bürgerlicher Kunst ein Unterschied der Gesinnung noch nicht bestanden; mit der Renaissance drang von den romanischen Ländern her eine neue Idee von Vornehm- heit ein, bei deren Assimilierung aber, wie wir gestehen müssen, die Deutschen über die äußerste Schale nicht vordrangen. Diese derben Genußmenschen, die an den damaligen Höfen jagten, tur- nierten und zechten; wie viel oder wenig sie an der höheren Ge- dankenwelt ihrer Zeit Anteil hatten, ist doch genugsam bekannt Die Kunst, die in diesen Kreisen begehrt und befördert wurde, war eine sinnlich kräftige, einigermaßen prahlerische Repräsen- tationskunst ohne Mitklingen der tieferen Gemütslagen, hierin das vollendete Gegenteil zu dem, was am Anfang des Jahrhunderts den Deutschen als Wertvollstes erschienen war. Ihr bestes Teil bleibt die unverwüstliche Tüchtigkeit und Gewissenhaftigkeit der handwerklichen Faktur. Ich will nur ein einziges Beispiel aus einer langen Reihe ähnlicher Erscheinungen herausheben: die Wand- lung im Typus des Grabmals. Schon in den ersten Dezennien des Jahrhunderts war die Grabkunst stark beschäftigt gewesen, aber das einzelne Denkmal war in der Regel noch von beschei- denem Umfang; es herrschte der Typus des Bildnisepitaphs; die Fähigkeit, kraftvoll und geschmackvoll zu charakterisieren, war verbreitet, ungezählte namenlose Handwerksmeister hatten teil an ihr. Im zweiten Drittel des Jahrhunderts, als sich das Renaissance- Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert aber sicher sehr beschleunigt, begann die Verschiebung der Ge-wichte in der sozialen Ordnung, die wir alle kennen. Es ist merk- würdig, wie prompt die Kunst darauf reagiert. Ich nenne als leicht zu überschauende Belege die beiden großen populären Gat- tungen der Holzplastik und des Bilddruckes in Gestalt des Holz- schnittes. Wie schnell verfallen sie! Man kann sagen, daß in dem einen Jahrzehnt von 1500 bis 1510 mehr Holzplastik und vor allem unendlich viel besser produziert worden ist als in dem Halb- jahrhundert von 1550 bis 1600. Als Kaiser Maximilian I. auf den Gedanken kam, die Kunst zum Herold seines Ruhmes aufzu- bieten, da war es ihm das natürlichste und zeitgemäßeste, sich dem Holzschnitt anzuvertrauen; Karl V. oder Ferdinand hätten alles eher gewählt als ihn. Im 15. und frühen 16. Jahrhundert hatte zwischen höfischer und bürgerlicher Kunst ein Unterschied der Gesinnung noch nicht bestanden; mit der Renaissance drang von den romanischen Ländern her eine neue Idee von Vornehm- heit ein, bei deren Assimilierung aber, wie wir gestehen müssen, die Deutschen über die äußerste Schale nicht vordrangen. Diese derben Genußmenschen, die an den damaligen Höfen jagten, tur- nierten und zechten; wie viel oder wenig sie an der höheren Ge- dankenwelt ihrer Zeit Anteil hatten, ist doch genugsam bekannt Die Kunst, die in diesen Kreisen begehrt und befördert wurde, war eine sinnlich kräftige, einigermaßen prahlerische Repräsen- tationskunst ohne Mitklingen der tieferen Gemütslagen, hierin das vollendete Gegenteil zu dem, was am Anfang des Jahrhunderts den Deutschen als Wertvollstes erschienen war. Ihr bestes Teil bleibt die unverwüstliche Tüchtigkeit und Gewissenhaftigkeit der handwerklichen Faktur. Ich will nur ein einziges Beispiel aus einer langen Reihe ähnlicher Erscheinungen herausheben: die Wand- lung im Typus des Grabmals. Schon in den ersten Dezennien des Jahrhunderts war die Grabkunst stark beschäftigt gewesen, aber das einzelne Denkmal war in der Regel noch von beschei- denem Umfang; es herrschte der Typus des Bildnisepitaphs; die Fähigkeit, kraftvoll und geschmackvoll zu charakterisieren, war verbreitet, ungezählte namenlose Handwerksmeister hatten teil an ihr. Im zweiten Drittel des Jahrhunderts, als sich das Renaissance- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0193" n="151"/><fw place="top" type="header">Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert</fw><lb/> aber sicher sehr beschleunigt, begann die Verschiebung der Ge-<lb/> wichte in der sozialen Ordnung, die wir alle kennen. Es ist merk-<lb/> würdig, wie prompt die Kunst darauf reagiert. Ich nenne als<lb/> leicht zu überschauende Belege die beiden großen populären Gat-<lb/> tungen der Holzplastik und des Bilddruckes in Gestalt des Holz-<lb/> schnittes. Wie schnell verfallen sie! Man kann sagen, daß in dem<lb/> einen Jahrzehnt von 1500 bis 1510 mehr Holzplastik und vor<lb/> allem unendlich viel besser produziert worden ist als in dem Halb-<lb/> jahrhundert von 1550 bis 1600. Als Kaiser Maximilian I. auf<lb/> den Gedanken kam, die Kunst zum Herold seines Ruhmes aufzu-<lb/> bieten, da war es ihm das natürlichste und zeitgemäßeste, sich<lb/> dem Holzschnitt anzuvertrauen; Karl V. oder Ferdinand hätten<lb/> alles eher gewählt als ihn. Im 15. und frühen 16. Jahrhundert<lb/> hatte zwischen höfischer und bürgerlicher Kunst ein Unterschied<lb/> der Gesinnung noch nicht bestanden; mit der Renaissance drang<lb/> von den romanischen Ländern her eine neue Idee von Vornehm-<lb/> heit ein, bei deren Assimilierung aber, wie wir gestehen müssen,<lb/> die Deutschen über die äußerste Schale nicht vordrangen. Diese<lb/> derben Genußmenschen, die an den damaligen Höfen jagten, tur-<lb/> nierten und zechten; wie viel oder wenig sie an der höheren Ge-<lb/> dankenwelt ihrer Zeit Anteil hatten, ist doch genugsam bekannt<lb/> Die Kunst, die in diesen Kreisen begehrt und befördert wurde,<lb/> war eine sinnlich kräftige, einigermaßen prahlerische Repräsen-<lb/> tationskunst ohne Mitklingen der tieferen Gemütslagen, hierin das<lb/> vollendete Gegenteil zu dem, was am Anfang des Jahrhunderts<lb/> den Deutschen als Wertvollstes erschienen war. Ihr bestes Teil<lb/> bleibt die unverwüstliche Tüchtigkeit und Gewissenhaftigkeit der<lb/> handwerklichen Faktur. Ich will nur ein einziges Beispiel aus<lb/> einer langen Reihe ähnlicher Erscheinungen herausheben: die Wand-<lb/> lung im Typus des Grabmals. 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Die Krisis der Deutschen Kunst im XVI. Jahrhundert
aber sicher sehr beschleunigt, begann die Verschiebung der Ge-
wichte in der sozialen Ordnung, die wir alle kennen. Es ist merk-
würdig, wie prompt die Kunst darauf reagiert. Ich nenne als
leicht zu überschauende Belege die beiden großen populären Gat-
tungen der Holzplastik und des Bilddruckes in Gestalt des Holz-
schnittes. Wie schnell verfallen sie! Man kann sagen, daß in dem
einen Jahrzehnt von 1500 bis 1510 mehr Holzplastik und vor
allem unendlich viel besser produziert worden ist als in dem Halb-
jahrhundert von 1550 bis 1600. Als Kaiser Maximilian I. auf
den Gedanken kam, die Kunst zum Herold seines Ruhmes aufzu-
bieten, da war es ihm das natürlichste und zeitgemäßeste, sich
dem Holzschnitt anzuvertrauen; Karl V. oder Ferdinand hätten
alles eher gewählt als ihn. Im 15. und frühen 16. Jahrhundert
hatte zwischen höfischer und bürgerlicher Kunst ein Unterschied
der Gesinnung noch nicht bestanden; mit der Renaissance drang
von den romanischen Ländern her eine neue Idee von Vornehm-
heit ein, bei deren Assimilierung aber, wie wir gestehen müssen,
die Deutschen über die äußerste Schale nicht vordrangen. Diese
derben Genußmenschen, die an den damaligen Höfen jagten, tur-
nierten und zechten; wie viel oder wenig sie an der höheren Ge-
dankenwelt ihrer Zeit Anteil hatten, ist doch genugsam bekannt
Die Kunst, die in diesen Kreisen begehrt und befördert wurde,
war eine sinnlich kräftige, einigermaßen prahlerische Repräsen-
tationskunst ohne Mitklingen der tieferen Gemütslagen, hierin das
vollendete Gegenteil zu dem, was am Anfang des Jahrhunderts
den Deutschen als Wertvollstes erschienen war. Ihr bestes Teil
bleibt die unverwüstliche Tüchtigkeit und Gewissenhaftigkeit der
handwerklichen Faktur. Ich will nur ein einziges Beispiel aus
einer langen Reihe ähnlicher Erscheinungen herausheben: die Wand-
lung im Typus des Grabmals. Schon in den ersten Dezennien
des Jahrhunderts war die Grabkunst stark beschäftigt gewesen,
aber das einzelne Denkmal war in der Regel noch von beschei-
denem Umfang; es herrschte der Typus des Bildnisepitaphs; die
Fähigkeit, kraftvoll und geschmackvoll zu charakterisieren, war
verbreitet, ungezählte namenlose Handwerksmeister hatten teil an
ihr. Im zweiten Drittel des Jahrhunderts, als sich das Renaissance-
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