Renaissance, wofür man sie öfters ausgegeben hat. Es ist nur in sehr untergeordnetem Sinne wahr, daß sie nach rückwärts schaute; in ihr wirkte noch ohne Unterbrechung der von der Antike kom- mende Stoß fort, mit dem sich dann die neuen, bald als die stär- keren sich erweisenden Kräfte verbanden.
Vermittlerin war, wie schon gesagt, die christliche Kirche. Von ihr wurde die Rezeption verlangt, zugleich deren Maß vor- geschrieben. Nur soviel, wie die Kirche von der antiken Kunst- welt unter ihr rettendes Dach aufgenommen hatte, gewann Ein- fluß auf die werdende mittelalterliche Kunst; was außerhalb dieses Überlieferungsrahmens stand, war allerdings tot. Die römischen Baudenkmäler, die in nicht geringer Zahl in den deut- schen Rheinlanden, in größerer in verschiedenen Teilen Galliens -- von Italien nicht zu reden -- sich erhalten hatten, sind kein Faktor in der neuen Bewegung; nach wie vor sah der Barbar sie mit blöden, verständnislosen Augen an; erst auf einer viel weiter vorgerückten Stufe der mittelalterlichen Entwicklung haben sie an einigen Orten etwas Renaissanceähnliches hervorgerufen. In Betracht kommt für die Grundlegung nun: was brachte die christ- liche Kirche von Kunstformen mit? Ein genaues Inventar davon vermögen wir nach jetzigem Stande der Kenntnis nicht aufzu- stellen. Sicher war der lateinische Okzident nicht die einzige Quelle; jene große Transformation, in der die Antike im Orient begriffen war, hatte frühzeitig, vor Karl dem Großen, ihre Wir- kungen bis in die keltisch-germanische Welt, soweit sie christlich wurde, hineinerstreckt. So ist denn nicht weniges von dem, was uns als neu und unantik entgegentritt, gar nicht germanische, sondern orientalische, dem Westen importierte Prägung. Die Barbaren des Westens fühlten sich denen des Ostens in vielen Punkten näher als beide der klassischen Antike.
So sehr die germanischen Völker zunächst als der bloß empfangende, der anzutreibende und zu belehrende Teil erschienen, lag doch bei ihnen die positive Kraft der Neubildung. Die irischen Kelten, früher als die Germanen mit einer eigentümlich gefärbten Kunst auftretend, erreichten sehr bald die Grenze ihrer Leistungs- fähigkeit. In Frankreich zeigte sich anfänglich der Süden und
Die Kunst des Mittelalters
Renaissance, wofür man sie öfters ausgegeben hat. Es ist nur in sehr untergeordnetem Sinne wahr, daß sie nach rückwärts schaute; in ihr wirkte noch ohne Unterbrechung der von der Antike kom- mende Stoß fort, mit dem sich dann die neuen, bald als die stär- keren sich erweisenden Kräfte verbanden.
Vermittlerin war, wie schon gesagt, die christliche Kirche. Von ihr wurde die Rezeption verlangt, zugleich deren Maß vor- geschrieben. Nur soviel, wie die Kirche von der antiken Kunst- welt unter ihr rettendes Dach aufgenommen hatte, gewann Ein- fluß auf die werdende mittelalterliche Kunst; was außerhalb dieses Überlieferungsrahmens stand, war allerdings tot. Die römischen Baudenkmäler, die in nicht geringer Zahl in den deut- schen Rheinlanden, in größerer in verschiedenen Teilen Galliens — von Italien nicht zu reden — sich erhalten hatten, sind kein Faktor in der neuen Bewegung; nach wie vor sah der Barbar sie mit blöden, verständnislosen Augen an; erst auf einer viel weiter vorgerückten Stufe der mittelalterlichen Entwicklung haben sie an einigen Orten etwas Renaissanceähnliches hervorgerufen. In Betracht kommt für die Grundlegung nun: was brachte die christ- liche Kirche von Kunstformen mit? Ein genaues Inventar davon vermögen wir nach jetzigem Stande der Kenntnis nicht aufzu- stellen. Sicher war der lateinische Okzident nicht die einzige Quelle; jene große Transformation, in der die Antike im Orient begriffen war, hatte frühzeitig, vor Karl dem Großen, ihre Wir- kungen bis in die keltisch-germanische Welt, soweit sie christlich wurde, hineinerstreckt. So ist denn nicht weniges von dem, was uns als neu und unantik entgegentritt, gar nicht germanische, sondern orientalische, dem Westen importierte Prägung. Die Barbaren des Westens fühlten sich denen des Ostens in vielen Punkten näher als beide der klassischen Antike.
So sehr die germanischen Völker zunächst als der bloß empfangende, der anzutreibende und zu belehrende Teil erschienen, lag doch bei ihnen die positive Kraft der Neubildung. Die irischen Kelten, früher als die Germanen mit einer eigentümlich gefärbten Kunst auftretend, erreichten sehr bald die Grenze ihrer Leistungs- fähigkeit. In Frankreich zeigte sich anfänglich der Süden und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0019"n="5"/><fwplace="top"type="header">Die Kunst des Mittelalters</fw><lb/>
Renaissance, wofür man sie öfters ausgegeben hat. Es ist nur in<lb/>
sehr untergeordnetem Sinne wahr, daß sie nach rückwärts schaute;<lb/>
in ihr wirkte noch ohne Unterbrechung der von der Antike kom-<lb/>
mende Stoß fort, mit dem sich dann die neuen, bald als die stär-<lb/>
keren sich erweisenden Kräfte verbanden.</p><lb/><p>Vermittlerin war, wie schon gesagt, die christliche Kirche.<lb/>
Von ihr wurde die Rezeption verlangt, zugleich deren Maß vor-<lb/>
geschrieben. Nur soviel, wie die Kirche von der antiken Kunst-<lb/>
welt unter ihr rettendes Dach aufgenommen hatte, gewann Ein-<lb/>
fluß auf die werdende mittelalterliche Kunst; was außerhalb<lb/>
dieses Überlieferungsrahmens stand, war allerdings tot. Die<lb/>
römischen Baudenkmäler, die in nicht geringer Zahl in den deut-<lb/>
schen Rheinlanden, in größerer in verschiedenen Teilen Galliens<lb/>— von Italien nicht zu reden — sich erhalten hatten, sind kein<lb/>
Faktor in der neuen Bewegung; nach wie vor sah der Barbar sie<lb/>
mit blöden, verständnislosen Augen an; erst auf einer viel weiter<lb/>
vorgerückten Stufe der mittelalterlichen Entwicklung haben sie<lb/>
an einigen Orten etwas Renaissanceähnliches hervorgerufen. In<lb/>
Betracht kommt für die Grundlegung nun: was brachte die christ-<lb/>
liche Kirche von Kunstformen mit? Ein genaues Inventar davon<lb/>
vermögen wir nach jetzigem Stande der Kenntnis nicht aufzu-<lb/>
stellen. Sicher war der lateinische Okzident nicht die einzige<lb/>
Quelle; jene große Transformation, in der die Antike im Orient<lb/>
begriffen war, hatte frühzeitig, vor Karl dem Großen, ihre Wir-<lb/>
kungen bis in die keltisch-germanische Welt, soweit sie christlich<lb/>
wurde, hineinerstreckt. So ist denn nicht weniges von dem, was<lb/>
uns als neu und unantik entgegentritt, gar nicht germanische,<lb/>
sondern orientalische, dem Westen importierte Prägung. Die<lb/>
Barbaren des Westens fühlten sich denen des Ostens in vielen<lb/>
Punkten näher als beide der klassischen Antike.</p><lb/><p>So sehr die germanischen Völker zunächst als der bloß<lb/>
empfangende, der anzutreibende und zu belehrende Teil erschienen,<lb/>
lag doch bei ihnen die positive Kraft der Neubildung. Die irischen<lb/>
Kelten, früher als die Germanen mit einer eigentümlich gefärbten<lb/>
Kunst auftretend, erreichten sehr bald die Grenze ihrer Leistungs-<lb/>
fähigkeit. In Frankreich zeigte sich anfänglich der Süden und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[5/0019]
Die Kunst des Mittelalters
Renaissance, wofür man sie öfters ausgegeben hat. Es ist nur in
sehr untergeordnetem Sinne wahr, daß sie nach rückwärts schaute;
in ihr wirkte noch ohne Unterbrechung der von der Antike kom-
mende Stoß fort, mit dem sich dann die neuen, bald als die stär-
keren sich erweisenden Kräfte verbanden.
Vermittlerin war, wie schon gesagt, die christliche Kirche.
Von ihr wurde die Rezeption verlangt, zugleich deren Maß vor-
geschrieben. Nur soviel, wie die Kirche von der antiken Kunst-
welt unter ihr rettendes Dach aufgenommen hatte, gewann Ein-
fluß auf die werdende mittelalterliche Kunst; was außerhalb
dieses Überlieferungsrahmens stand, war allerdings tot. Die
römischen Baudenkmäler, die in nicht geringer Zahl in den deut-
schen Rheinlanden, in größerer in verschiedenen Teilen Galliens
— von Italien nicht zu reden — sich erhalten hatten, sind kein
Faktor in der neuen Bewegung; nach wie vor sah der Barbar sie
mit blöden, verständnislosen Augen an; erst auf einer viel weiter
vorgerückten Stufe der mittelalterlichen Entwicklung haben sie
an einigen Orten etwas Renaissanceähnliches hervorgerufen. In
Betracht kommt für die Grundlegung nun: was brachte die christ-
liche Kirche von Kunstformen mit? Ein genaues Inventar davon
vermögen wir nach jetzigem Stande der Kenntnis nicht aufzu-
stellen. Sicher war der lateinische Okzident nicht die einzige
Quelle; jene große Transformation, in der die Antike im Orient
begriffen war, hatte frühzeitig, vor Karl dem Großen, ihre Wir-
kungen bis in die keltisch-germanische Welt, soweit sie christlich
wurde, hineinerstreckt. So ist denn nicht weniges von dem, was
uns als neu und unantik entgegentritt, gar nicht germanische,
sondern orientalische, dem Westen importierte Prägung. Die
Barbaren des Westens fühlten sich denen des Ostens in vielen
Punkten näher als beide der klassischen Antike.
So sehr die germanischen Völker zunächst als der bloß
empfangende, der anzutreibende und zu belehrende Teil erschienen,
lag doch bei ihnen die positive Kraft der Neubildung. Die irischen
Kelten, früher als die Germanen mit einer eigentümlich gefärbten
Kunst auftretend, erreichten sehr bald die Grenze ihrer Leistungs-
fähigkeit. In Frankreich zeigte sich anfänglich der Süden und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate für die Seiten 122 und 123
(2012-02-21T10:17:23Z)
Weitere Informationen:
Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.
Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/19>, abgerufen am 27.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.