Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom Massen. Quer durch die Höhenentwicklung dreimal tiefe Schatten-akzente. So nervige Greifhände als die, mit denen Kurfürst Bert- hold sein Gebetbuch umspannt, sucht man bei Riemenschneider überall umsonst. Und nun der uns schon wohlbekannte Bischofs- stab1) in drei Exemplaren, wenn man die Statuetten des Rahmen- werks hinzunimmt, und die ebenso wohlbekannten Putten! Back- ofen hat es uns wirklich nicht schwer gemacht, ihn zu erkennen2). Schließlich erwähne ich, als den drei Denkmälern des Mainzer 1) Die Platte des eigentlichen Grabes ist noch erhalten. Sie gibt noch einmal die Bildnisfigur des Verstorbenen. Aber ganz deutlich nicht von Backofens Hand. Und sogleich hat auch der Hirtenstab ein ganz anderes, spätgotisches Gepräge. 2) Trotzdem war die bisherige Zuschreibung an Riemenschneider, wie
mich dünkt, nicht ganz auf falscher Fährte. Wenn ich mich frage, aus welcher Schule wohl Backofen hervorgegangen sein möchte, so weiß ich keine zu nennen, die besser dazu paßte als die unterfränkische. Auch ein äußerlicher Umstand scheint dies hypothetisch zu bestätigen. Sein Geburtsort war, laut der Testamentsinschrift, Sulzbach. Es gibt in Deutsch- land zwar ein halbes Dutzend Orte dieses Namens. Aber nur einer steht in näherer Beziehung zu Mainz: das Sulzbach bei Aschaffenburg, auf kur- fürstlichem Territorium gelegen. Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom Massen. Quer durch die Höhenentwicklung dreimal tiefe Schatten-akzente. So nervige Greifhände als die, mit denen Kurfürst Bert- hold sein Gebetbuch umspannt, sucht man bei Riemenschneider überall umsonst. Und nun der uns schon wohlbekannte Bischofs- stab1) in drei Exemplaren, wenn man die Statuetten des Rahmen- werks hinzunimmt, und die ebenso wohlbekannten Putten! Back- ofen hat es uns wirklich nicht schwer gemacht, ihn zu erkennen2). Schließlich erwähne ich, als den drei Denkmälern des Mainzer 1) Die Platte des eigentlichen Grabes ist noch erhalten. Sie gibt noch einmal die Bildnisfigur des Verstorbenen. Aber ganz deutlich nicht von Backofens Hand. Und sogleich hat auch der Hirtenstab ein ganz anderes, spätgotisches Gepräge. 2) Trotzdem war die bisherige Zuschreibung an Riemenschneider, wie
mich dünkt, nicht ganz auf falscher Fährte. Wenn ich mich frage, aus welcher Schule wohl Backofen hervorgegangen sein möchte, so weiß ich keine zu nennen, die besser dazu paßte als die unterfränkische. Auch ein äußerlicher Umstand scheint dies hypothetisch zu bestätigen. Sein Geburtsort war, laut der Testamentsinschrift, Sulzbach. Es gibt in Deutsch- land zwar ein halbes Dutzend Orte dieses Namens. Aber nur einer steht in näherer Beziehung zu Mainz: das Sulzbach bei Aschaffenburg, auf kur- fürstlichem Territorium gelegen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0171" n="139"/><fw place="top" type="header">Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom</fw><lb/> Massen. Quer durch die Höhenentwicklung dreimal tiefe Schatten-<lb/> akzente. So nervige Greifhände als die, mit denen Kurfürst Bert-<lb/> hold sein Gebetbuch umspannt, sucht man bei Riemenschneider<lb/> überall umsonst. Und nun der uns schon wohlbekannte Bischofs-<lb/> stab<note place="foot" n="1)">Die Platte des eigentlichen Grabes ist noch erhalten. Sie gibt noch<lb/> einmal die Bildnisfigur des Verstorbenen. Aber ganz deutlich nicht von<lb/> Backofens Hand. Und sogleich hat auch der Hirtenstab ein ganz anderes,<lb/> spätgotisches Gepräge.</note> in drei Exemplaren, wenn man die Statuetten des Rahmen-<lb/> werks hinzunimmt, und die ebenso wohlbekannten Putten! Back-<lb/> ofen hat es uns wirklich nicht schwer gemacht, ihn zu erkennen<note place="foot" n="2)">Trotzdem war die bisherige Zuschreibung an Riemenschneider, wie<lb/> mich dünkt, nicht ganz auf falscher Fährte. Wenn ich mich frage, aus<lb/> welcher Schule wohl Backofen hervorgegangen sein möchte, so weiß ich<lb/> keine zu nennen, die besser dazu paßte als die unterfränkische. Auch<lb/> ein äußerlicher Umstand scheint dies hypothetisch zu bestätigen. Sein<lb/> Geburtsort war, laut der Testamentsinschrift, Sulzbach. Es gibt in Deutsch-<lb/> land zwar ein halbes Dutzend Orte dieses Namens. Aber nur einer steht<lb/> in näherer Beziehung zu Mainz: das Sulzbach bei Aschaffenburg, auf kur-<lb/> fürstlichem Territorium gelegen.</note>.</p><lb/> <p>Schließlich erwähne ich, als den drei Denkmälern des Mainzer<lb/> Domes gemeinsam, die gegen das Gotische speziell neue Auffassung<lb/> des Verhältnisses von Körper und Gewand. Alle gotischen Gestalten,<lb/> auch die spätesten und freiesten, wie die Riemenschneiders, sind<lb/> und bleiben Draperiefiguren, d. h. die Gewandung ist das Maß-<lb/> gebende für den Eindruck, und der Körper verschwindet hinter<lb/> ihr, wie etwas vergleichsweise Wesenloses; jedenfalls ist sie das,<lb/> was in der Phantasie des Künstlers zuerst Gestalt gewinnt. Backofen<lb/> ist der erste deutsche Plastiker, der den Körper zuvor fühlt, der<lb/> ihn als das Bedingende, und das Gewand, wie reich immer, als das<lb/> Bedingte darstellt. Im Henneberg rüttelt er noch an der alten<lb/> Schranke; im Liebenstein ist sie gefallen. In heiterer Sicherheit<lb/> steht der Kirchenfürst da, in vollkommen natürlicher, freier, dem<lb/> Beschauer faßlich gemachter Gewichtsausgleichung der Teile.<lb/> Seit langer Zeit zum erstenmal eine deutsche Arbeit ohne jeglichen<lb/> Rest von Spießbürgerlichkeit. Und schließlich, im Gemmingendenk-<lb/> mal, der Schritt ins Heroische.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [139/0171]
Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom
Massen. Quer durch die Höhenentwicklung dreimal tiefe Schatten-
akzente. So nervige Greifhände als die, mit denen Kurfürst Bert-
hold sein Gebetbuch umspannt, sucht man bei Riemenschneider
überall umsonst. Und nun der uns schon wohlbekannte Bischofs-
stab 1) in drei Exemplaren, wenn man die Statuetten des Rahmen-
werks hinzunimmt, und die ebenso wohlbekannten Putten! Back-
ofen hat es uns wirklich nicht schwer gemacht, ihn zu erkennen 2).
Schließlich erwähne ich, als den drei Denkmälern des Mainzer
Domes gemeinsam, die gegen das Gotische speziell neue Auffassung
des Verhältnisses von Körper und Gewand. Alle gotischen Gestalten,
auch die spätesten und freiesten, wie die Riemenschneiders, sind
und bleiben Draperiefiguren, d. h. die Gewandung ist das Maß-
gebende für den Eindruck, und der Körper verschwindet hinter
ihr, wie etwas vergleichsweise Wesenloses; jedenfalls ist sie das,
was in der Phantasie des Künstlers zuerst Gestalt gewinnt. Backofen
ist der erste deutsche Plastiker, der den Körper zuvor fühlt, der
ihn als das Bedingende, und das Gewand, wie reich immer, als das
Bedingte darstellt. Im Henneberg rüttelt er noch an der alten
Schranke; im Liebenstein ist sie gefallen. In heiterer Sicherheit
steht der Kirchenfürst da, in vollkommen natürlicher, freier, dem
Beschauer faßlich gemachter Gewichtsausgleichung der Teile.
Seit langer Zeit zum erstenmal eine deutsche Arbeit ohne jeglichen
Rest von Spießbürgerlichkeit. Und schließlich, im Gemmingendenk-
mal, der Schritt ins Heroische.
1) Die Platte des eigentlichen Grabes ist noch erhalten. Sie gibt noch
einmal die Bildnisfigur des Verstorbenen. Aber ganz deutlich nicht von
Backofens Hand. Und sogleich hat auch der Hirtenstab ein ganz anderes,
spätgotisches Gepräge.
2) Trotzdem war die bisherige Zuschreibung an Riemenschneider, wie
mich dünkt, nicht ganz auf falscher Fährte. Wenn ich mich frage, aus
welcher Schule wohl Backofen hervorgegangen sein möchte, so weiß ich
keine zu nennen, die besser dazu paßte als die unterfränkische. Auch
ein äußerlicher Umstand scheint dies hypothetisch zu bestätigen. Sein
Geburtsort war, laut der Testamentsinschrift, Sulzbach. Es gibt in Deutsch-
land zwar ein halbes Dutzend Orte dieses Namens. Aber nur einer steht
in näherer Beziehung zu Mainz: das Sulzbach bei Aschaffenburg, auf kur-
fürstlichem Territorium gelegen.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-02-21T10:17:23Z)
University of Toronto, Robarts Library of Humanities & Social Sciences: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-02-21T10:17:23Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate für die Seiten 122 und 123
(2012-02-21T10:17:23Z)
Weitere Informationen:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |