Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom qual, Maria und Johannes in feierlich gemessener Trauergebärde.Hier Christus strack und gerade, er allein in Ruhe, um ihn her die Aufregung. Es ist der Gegensatz des Andachtbildes, das unmittelbar auf Gefühlserregung des Beschauers hinzielt, und der in sich ge- schlossenen dramatischen Szene. Die Darstellung auf dem Grabmal ist ihrem Gegenstande nach 1) Der von der Mitte des XVI. Jahrhunderts ab so überaus beliebte Gegenstand war damals ungewöhnlich. Er scheint aus der Malerei auf dem Wege durch das Votivrelief in die Grabmalsplastik eingedrungen zu sein. (Vgl. in Mainz das nach 1485 ausgeführte Relief im Kreuzgang von St. Stephan.) Das früheste künstlerisch bedeutende Beispiel, an das ich mich erinnern kann, ist das große Hohenzollerndenkmal von 1505 im Dom zu Augsburg. Besteller des Gemmingendenkmals war Albrecht von Bran- denburg. Also ein auf die Stellung des Programms einwirkender persön- licher Zusammenhang wohl möglich. 2) Der Kopf neu.
Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom qual, Maria und Johannes in feierlich gemessener Trauergebärde.Hier Christus strack und gerade, er allein in Ruhe, um ihn her die Aufregung. Es ist der Gegensatz des Andachtbildes, das unmittelbar auf Gefühlserregung des Beschauers hinzielt, und der in sich ge- schlossenen dramatischen Szene. Die Darstellung auf dem Grabmal ist ihrem Gegenstande nach 1) Der von der Mitte des XVI. Jahrhunderts ab so überaus beliebte Gegenstand war damals ungewöhnlich. Er scheint aus der Malerei auf dem Wege durch das Votivrelief in die Grabmalsplastik eingedrungen zu sein. (Vgl. in Mainz das nach 1485 ausgeführte Relief im Kreuzgang von St. Stephan.) Das früheste künstlerisch bedeutende Beispiel, an das ich mich erinnern kann, ist das große Hohenzollerndenkmal von 1505 im Dom zu Augsburg. Besteller des Gemmingendenkmals war Albrecht von Bran- denburg. Also ein auf die Stellung des Programms einwirkender persön- licher Zusammenhang wohl möglich. 2) Der Kopf neu.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0167" n="135"/><fw place="top" type="header">Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom</fw><lb/> qual, Maria und Johannes in feierlich gemessener Trauergebärde.<lb/> Hier Christus strack und gerade, er allein in Ruhe, um ihn her die<lb/> Aufregung. Es ist der Gegensatz des Andachtbildes, das unmittelbar<lb/> auf Gefühlserregung des Beschauers hinzielt, und der in sich ge-<lb/> schlossenen dramatischen Szene.</p><lb/> <p>Die Darstellung auf dem Grabmal ist ihrem Gegenstande nach<lb/> undramatisch. Der Kurfürst kniet in ritueller Andacht vor dem<lb/> Kreuze, neben ihm stehen zwei heilige Bischöfe (Martin und Bonifaz?)<lb/> als Patrone<note place="foot" n="1)">Der von der Mitte des XVI. Jahrhunderts ab so überaus beliebte<lb/> Gegenstand war damals ungewöhnlich. Er scheint aus der Malerei auf<lb/> dem Wege durch das Votivrelief in die Grabmalsplastik eingedrungen zu<lb/> sein. (Vgl. in Mainz das nach 1485 ausgeführte Relief im Kreuzgang von<lb/> St. Stephan.) Das früheste künstlerisch bedeutende Beispiel, an das ich<lb/> mich erinnern kann, ist das große Hohenzollerndenkmal von 1505 im Dom<lb/> zu Augsburg. Besteller des Gemmingendenkmals war Albrecht von Bran-<lb/> denburg. Also ein auf die Stellung des Programms einwirkender persön-<lb/> licher Zusammenhang wohl möglich.</note>. Und doch werden wir alles eher als feierliche Ruhe<lb/> auf uns übergehen fühlen. Die Heiligen sind ins Heroische gesteigert,<lb/> in weiser Gegensätzlichkeit zu der dem Alltäglichen sich nähernden,<lb/> immer noch würdevollen Bildung des Kurfürsten<note place="foot" n="2)">Der Kopf neu.</note>. Wie sie ihre<lb/> Bücher, ihre Krummstäbe greifen, den Knienden empfehlend<lb/> vorschieben, das sind nur leichte Aktionen, aber so ausgeführt,<lb/> daß sie an eine gewaltige latente Kraft denken lassen. Wie von<lb/> kurzen, heftigen Windstößen die schweren Gewandfalten durch-<lb/> einander geworfen; schwarze Schattenflecken rasch mit fahrigen<lb/> Lichtern wechselnd; kühn zerklüftet die mächtigen Häupter der<lb/> hl. Bischöfe; endlich der den Sterbenden am Kreuze wehklagend um-<lb/> flatternde Schwarm der Engel. Den Frankfurter Kreuzigungen<lb/> fehlen die Engel, auf der Mainzer sind sie da, in dreister Grenz-<lb/> verletzung des der Plastik Zukömmlichen. Dann ist noch eine<lb/> Spezialität in der Gewandbehandlung zu beachten. Sie ist auf der<lb/> ersten Frankfurter Kreuzigung noch nicht sehr ausgeprägt, schärfer<lb/> auf der zweiten, zunehmend auf dem Gemmingendenkmal, ein<lb/> wenig schon manieristisch an dem posthumen Werk bei St. Ignazius.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [135/0167]
Der Meister des Gemmingendenkmals im Mainzer Dom
qual, Maria und Johannes in feierlich gemessener Trauergebärde.
Hier Christus strack und gerade, er allein in Ruhe, um ihn her die
Aufregung. Es ist der Gegensatz des Andachtbildes, das unmittelbar
auf Gefühlserregung des Beschauers hinzielt, und der in sich ge-
schlossenen dramatischen Szene.
Die Darstellung auf dem Grabmal ist ihrem Gegenstande nach
undramatisch. Der Kurfürst kniet in ritueller Andacht vor dem
Kreuze, neben ihm stehen zwei heilige Bischöfe (Martin und Bonifaz?)
als Patrone 1). Und doch werden wir alles eher als feierliche Ruhe
auf uns übergehen fühlen. Die Heiligen sind ins Heroische gesteigert,
in weiser Gegensätzlichkeit zu der dem Alltäglichen sich nähernden,
immer noch würdevollen Bildung des Kurfürsten 2). Wie sie ihre
Bücher, ihre Krummstäbe greifen, den Knienden empfehlend
vorschieben, das sind nur leichte Aktionen, aber so ausgeführt,
daß sie an eine gewaltige latente Kraft denken lassen. Wie von
kurzen, heftigen Windstößen die schweren Gewandfalten durch-
einander geworfen; schwarze Schattenflecken rasch mit fahrigen
Lichtern wechselnd; kühn zerklüftet die mächtigen Häupter der
hl. Bischöfe; endlich der den Sterbenden am Kreuze wehklagend um-
flatternde Schwarm der Engel. Den Frankfurter Kreuzigungen
fehlen die Engel, auf der Mainzer sind sie da, in dreister Grenz-
verletzung des der Plastik Zukömmlichen. Dann ist noch eine
Spezialität in der Gewandbehandlung zu beachten. Sie ist auf der
ersten Frankfurter Kreuzigung noch nicht sehr ausgeprägt, schärfer
auf der zweiten, zunehmend auf dem Gemmingendenkmal, ein
wenig schon manieristisch an dem posthumen Werk bei St. Ignazius.
1) Der von der Mitte des XVI. Jahrhunderts ab so überaus beliebte
Gegenstand war damals ungewöhnlich. Er scheint aus der Malerei auf
dem Wege durch das Votivrelief in die Grabmalsplastik eingedrungen zu
sein. (Vgl. in Mainz das nach 1485 ausgeführte Relief im Kreuzgang von
St. Stephan.) Das früheste künstlerisch bedeutende Beispiel, an das ich
mich erinnern kann, ist das große Hohenzollerndenkmal von 1505 im Dom
zu Augsburg. Besteller des Gemmingendenkmals war Albrecht von Bran-
denburg. Also ein auf die Stellung des Programms einwirkender persön-
licher Zusammenhang wohl möglich.
2) Der Kopf neu.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-02-21T10:17:23Z)
University of Toronto, Robarts Library of Humanities & Social Sciences: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-02-21T10:17:23Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate für die Seiten 122 und 123
(2012-02-21T10:17:23Z)
Weitere Informationen:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |