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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Aus dem Übergang des Mittelalters zur Neuzeit
in die Basler Zunft zum Himmel aufgenommen. 1435 leistete er
den Bürgereid. In einer gerichtlichen Zeugeneintragung zu 1442
erscheint er verschwägert mit dem angesehensten der älteren Basler
Maler, Nikolaus Rüsch, genannt Lawelin aus Tübingen. 1443 kaufte
er das Haus zum Pflug an der Freienstraße. 1444 signierte er
den Genfer Altar. 1447 und 1448 wurde seine Ehefrau als Witwe,
seine Kinder als Waisen bezeichnet.

Das ist nun zwar keine Lebensgeschichte, rund und lebendig
wie eine von Vasari erzählte, aber für den Kunsthistoriker be-
deutet sie doch viel: nichts Geringeres als die Nötigung, für eines
der wichtigsten Kapitel der deutschen Kunstgeschichte, die Wende
vom Mittelalter zur Neuzeit, nach neuen Grundlinien zu suchen.
Und gleichzeitig hat sich ja auch an anderen Punkten der Nebel
zu lichten begonnen. Lukas Moser! Hans Multscher! Sie im
Verein mit unserem Konrad Witz, diese plötzlich und in sehr
unerwarteter Gestalt vor uns aufgetauchte Trias schwäbischer
Meister (der noch Stephan Lochner, der aus Meersburg am Boden-
see kommende Maler des Kölner Dombildes beizugesellen wäre)
sagt uns, daß wir bis dahin allzu bescheiden gewesen sind, wenn
wir vermeinten, die deutsche Kunst hätte in das neue Weltalter
allein durch das von den Niederländern aufgestoßene Tor als
Nachzüglerin unsicheren Schrittes ihren Weg finden können. Man
beachte nur diese Daten nach Gebühr: 1431 der Tiefenbronner
Altar Mosers, 1434 der Beginn der Baseler Tätigkeit Witzens,
1437 der kürzlich aus England nach Berlin gekommene Zyklus
Multschers. Das ist alles nach dem Maße der Zeit modernste Kunst
und als die am weitesten fortgeschrittenen in Deutschland er-
scheinen nicht mehr die Nachbarn der Niederländer, die Kölner,
sondern die Schwaben. Niemanden wird es einfallen, unsere
wackeren Schwabenmeister den van Eyck und Masaccio gleich-
zustellen. Aber doch schwimmen sie mit diesen im selben Strom.
Wir beginnen zu ahnen und hoffen es nach und nach deutlicher
zu sehen, daß der große Umschwung des 15. Jahrhunderts gar
nicht das Werk einiger einsamer Genies gewesen ist, die die Laune
des Schicksals am Arno oder an der Maas geboren werden ließ,
sondern daß ein allgemein verbreiteter Drang ihn emporgenötigt hat.


Aus dem Übergang des Mittelalters zur Neuzeit
in die Basler Zunft zum Himmel aufgenommen. 1435 leistete er
den Bürgereid. In einer gerichtlichen Zeugeneintragung zu 1442
erscheint er verschwägert mit dem angesehensten der älteren Basler
Maler, Nikolaus Rüsch, genannt Lawelin aus Tübingen. 1443 kaufte
er das Haus zum Pflug an der Freienstraße. 1444 signierte er
den Genfer Altar. 1447 und 1448 wurde seine Ehefrau als Witwe,
seine Kinder als Waisen bezeichnet.

Das ist nun zwar keine Lebensgeschichte, rund und lebendig
wie eine von Vasari erzählte, aber für den Kunsthistoriker be-
deutet sie doch viel: nichts Geringeres als die Nötigung, für eines
der wichtigsten Kapitel der deutschen Kunstgeschichte, die Wende
vom Mittelalter zur Neuzeit, nach neuen Grundlinien zu suchen.
Und gleichzeitig hat sich ja auch an anderen Punkten der Nebel
zu lichten begonnen. Lukas Moser! Hans Multscher! Sie im
Verein mit unserem Konrad Witz, diese plötzlich und in sehr
unerwarteter Gestalt vor uns aufgetauchte Trias schwäbischer
Meister (der noch Stephan Lochner, der aus Meersburg am Boden-
see kommende Maler des Kölner Dombildes beizugesellen wäre)
sagt uns, daß wir bis dahin allzu bescheiden gewesen sind, wenn
wir vermeinten, die deutsche Kunst hätte in das neue Weltalter
allein durch das von den Niederländern aufgestoßene Tor als
Nachzüglerin unsicheren Schrittes ihren Weg finden können. Man
beachte nur diese Daten nach Gebühr: 1431 der Tiefenbronner
Altar Mosers, 1434 der Beginn der Baseler Tätigkeit Witzens,
1437 der kürzlich aus England nach Berlin gekommene Zyklus
Multschers. Das ist alles nach dem Maße der Zeit modernste Kunst
und als die am weitesten fortgeschrittenen in Deutschland er-
scheinen nicht mehr die Nachbarn der Niederländer, die Kölner,
sondern die Schwaben. Niemanden wird es einfallen, unsere
wackeren Schwabenmeister den van Eyck und Masaccio gleich-
zustellen. Aber doch schwimmen sie mit diesen im selben Strom.
Wir beginnen zu ahnen und hoffen es nach und nach deutlicher
zu sehen, daß der große Umschwung des 15. Jahrhunderts gar
nicht das Werk einiger einsamer Genies gewesen ist, die die Laune
des Schicksals am Arno oder an der Maas geboren werden ließ,
sondern daß ein allgemein verbreiteter Drang ihn emporgenötigt hat.

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[122/0144] Aus dem Übergang des Mittelalters zur Neuzeit in die Basler Zunft zum Himmel aufgenommen. 1435 leistete er den Bürgereid. In einer gerichtlichen Zeugeneintragung zu 1442 erscheint er verschwägert mit dem angesehensten der älteren Basler Maler, Nikolaus Rüsch, genannt Lawelin aus Tübingen. 1443 kaufte er das Haus zum Pflug an der Freienstraße. 1444 signierte er den Genfer Altar. 1447 und 1448 wurde seine Ehefrau als Witwe, seine Kinder als Waisen bezeichnet. Das ist nun zwar keine Lebensgeschichte, rund und lebendig wie eine von Vasari erzählte, aber für den Kunsthistoriker be- deutet sie doch viel: nichts Geringeres als die Nötigung, für eines der wichtigsten Kapitel der deutschen Kunstgeschichte, die Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, nach neuen Grundlinien zu suchen. Und gleichzeitig hat sich ja auch an anderen Punkten der Nebel zu lichten begonnen. Lukas Moser! Hans Multscher! Sie im Verein mit unserem Konrad Witz, diese plötzlich und in sehr unerwarteter Gestalt vor uns aufgetauchte Trias schwäbischer Meister (der noch Stephan Lochner, der aus Meersburg am Boden- see kommende Maler des Kölner Dombildes beizugesellen wäre) sagt uns, daß wir bis dahin allzu bescheiden gewesen sind, wenn wir vermeinten, die deutsche Kunst hätte in das neue Weltalter allein durch das von den Niederländern aufgestoßene Tor als Nachzüglerin unsicheren Schrittes ihren Weg finden können. Man beachte nur diese Daten nach Gebühr: 1431 der Tiefenbronner Altar Mosers, 1434 der Beginn der Baseler Tätigkeit Witzens, 1437 der kürzlich aus England nach Berlin gekommene Zyklus Multschers. Das ist alles nach dem Maße der Zeit modernste Kunst und als die am weitesten fortgeschrittenen in Deutschland er- scheinen nicht mehr die Nachbarn der Niederländer, die Kölner, sondern die Schwaben. Niemanden wird es einfallen, unsere wackeren Schwabenmeister den van Eyck und Masaccio gleich- zustellen. Aber doch schwimmen sie mit diesen im selben Strom. Wir beginnen zu ahnen und hoffen es nach und nach deutlicher zu sehen, daß der große Umschwung des 15. Jahrhunderts gar nicht das Werk einiger einsamer Genies gewesen ist, die die Laune des Schicksals am Arno oder an der Maas geboren werden ließ, sondern daß ein allgemein verbreiteter Drang ihn emporgenötigt hat.

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/144>, abgerufen am 21.11.2024.