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Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859.

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ganz anders ausgedrückt, kommt im Evangelium vor. "Wenn
ein unreiner Geist aus dem Menschen ausgefahren, und
wenn er das Haus, das er bewohnt hat, geleert, gefegt
und geschmückt sieht, so kommt er mit sieben anderen sol-
chen Dämonen wieder, die noch ärger sind, als er, "und
sie fahren ein und wohnen daselbst, und es wird mit dem
Menschen noch schlimmer, als es gewesen war." Matth.
12, 43 ff.

Eines jener Häupter war unsterblich; darauf wälzte
Herakles ein Felsstück. Das scheint diesen Sinn zu ha-
ben. Das Böse ist das selbstische Wesen der Creatur in
der Bestimmtheit des abstrakten Für-sich-seins, der exclusi-
ven Beziehung auf sich. Diese Abstraction und Exclusion
muß überwunden, die Selbstheit in dieser Erscheinungsform
getilgt werden, nicht aber die Selbstheit überhaupt; denn
sie ist der Grund der Individualität und Persönlichkeit,
als welche die Creatur nicht negirt werden soll, sondern
fortzubestehen hat; wäre das selbstische Wesen desselben nicht
nur überwunden und zur Universalität erweitert, sondern
völlig und in jeder Beziehung aufgehoben, so wäre damit
Natur und Creatur nicht bloß moralisch umgewandelt, ge-
bessert, geheiliget, verklärt, sondern vernichtet; und dar-
auf ist es nicht abgesehen.

Das Wunderbarste von Allem ist, daß Herakles hin-
unter in die Todtenwelt steigt und mit dem sonst unbe-
zwinglichen Herrscher dieser finsteren, furchtbaren Region
den schauerlichen Kampf besteht. Daß er den Kerberos auf
die Oberwelt heraufschleppt und dadurch dem Curystheus
beweist, daß er auch diesen Auftrag vollzogen habe, hat
schon Buttmann als einen unbedeutenden Nebenzug be-
trachtet. "Hier hat", sagt er, "der spätere mythische Vor-
trag den Sinn der Fabel etwas geschwächt und die Neben-
sache als Hauptsache hingestellt." Es war bei den Alten

ganz anders ausgedrückt, kommt im Evangelium vor. „Wenn
ein unreiner Geiſt aus dem Menſchen ausgefahren, und
wenn er das Haus, das er bewohnt hat, geleert, gefegt
und geſchmückt ſieht, ſo kommt er mit ſieben anderen ſol-
chen Dämonen wieder, die noch ärger ſind, als er, „und
ſie fahren ein und wohnen daſelbſt, und es wird mit dem
Menſchen noch ſchlimmer, als es geweſen war.“ Matth.
12, 43 ff.

Eines jener Häupter war unſterblich; darauf wälzte
Herakles ein Felsſtück. Das ſcheint dieſen Sinn zu ha-
ben. Das Böſe iſt das ſelbſtiſche Weſen der Creatur in
der Beſtimmtheit des abſtrakten Für-ſich-ſeins, der excluſi-
ven Beziehung auf ſich. Dieſe Abſtraction und Excluſion
muß überwunden, die Selbſtheit in dieſer Erſcheinungsform
getilgt werden, nicht aber die Selbſtheit überhaupt; denn
ſie iſt der Grund der Individualität und Perſönlichkeit,
als welche die Creatur nicht negirt werden ſoll, ſondern
fortzubeſtehen hat; wäre das ſelbſtiſche Weſen deſſelben nicht
nur überwunden und zur Univerſalität erweitert, ſondern
völlig und in jeder Beziehung aufgehoben, ſo wäre damit
Natur und Creatur nicht bloß moraliſch umgewandelt, ge-
beſſert, geheiliget, verklärt, ſondern vernichtet; und dar-
auf iſt es nicht abgeſehen.

Das Wunderbarſte von Allem iſt, daß Herakles hin-
unter in die Todtenwelt ſteigt und mit dem ſonſt unbe-
zwinglichen Herrſcher dieſer finſteren, furchtbaren Region
den ſchauerlichen Kampf beſteht. Daß er den Kerberos auf
die Oberwelt heraufſchleppt und dadurch dem Curyſtheus
beweiſt, daß er auch dieſen Auftrag vollzogen habe, hat
ſchon Buttmann als einen unbedeutenden Nebenzug be-
trachtet. „Hier hat“, ſagt er, „der ſpätere mythiſche Vor-
trag den Sinn der Fabel etwas geſchwächt und die Neben-
ſache als Hauptſache hingeſtellt.“ Es war bei den Alten

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[34/0056] ganz anders ausgedrückt, kommt im Evangelium vor. „Wenn ein unreiner Geiſt aus dem Menſchen ausgefahren, und wenn er das Haus, das er bewohnt hat, geleert, gefegt und geſchmückt ſieht, ſo kommt er mit ſieben anderen ſol- chen Dämonen wieder, die noch ärger ſind, als er, „und ſie fahren ein und wohnen daſelbſt, und es wird mit dem Menſchen noch ſchlimmer, als es geweſen war.“ Matth. 12, 43 ff. Eines jener Häupter war unſterblich; darauf wälzte Herakles ein Felsſtück. Das ſcheint dieſen Sinn zu ha- ben. Das Böſe iſt das ſelbſtiſche Weſen der Creatur in der Beſtimmtheit des abſtrakten Für-ſich-ſeins, der excluſi- ven Beziehung auf ſich. Dieſe Abſtraction und Excluſion muß überwunden, die Selbſtheit in dieſer Erſcheinungsform getilgt werden, nicht aber die Selbſtheit überhaupt; denn ſie iſt der Grund der Individualität und Perſönlichkeit, als welche die Creatur nicht negirt werden ſoll, ſondern fortzubeſtehen hat; wäre das ſelbſtiſche Weſen deſſelben nicht nur überwunden und zur Univerſalität erweitert, ſondern völlig und in jeder Beziehung aufgehoben, ſo wäre damit Natur und Creatur nicht bloß moraliſch umgewandelt, ge- beſſert, geheiliget, verklärt, ſondern vernichtet; und dar- auf iſt es nicht abgeſehen. Das Wunderbarſte von Allem iſt, daß Herakles hin- unter in die Todtenwelt ſteigt und mit dem ſonſt unbe- zwinglichen Herrſcher dieſer finſteren, furchtbaren Region den ſchauerlichen Kampf beſteht. Daß er den Kerberos auf die Oberwelt heraufſchleppt und dadurch dem Curyſtheus beweiſt, daß er auch dieſen Auftrag vollzogen habe, hat ſchon Buttmann als einen unbedeutenden Nebenzug be- trachtet. „Hier hat“, ſagt er, „der ſpätere mythiſche Vor- trag den Sinn der Fabel etwas geſchwächt und die Neben- ſache als Hauptſache hingeſtellt.“ Es war bei den Alten

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Zitationshilfe: Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/56>, abgerufen am 21.11.2024.