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Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859.

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dem Sinne nach gleichwohl die unverkennbarste Verwandt-
schaft in's Auge leuchtet. Es ist der nämliche Prozeß des
Herabsteigens aus einer höheren Region, eines daraus sich
ergebenden Zustandes der Erniedrigung und des Leidens,
einer dabei entwickelten gottmenschlichen Berufsthätigkeit,
eines qualvollen irdischen Untergangs und eines siegreichen
Wiederauflebens und Aufsteigens daraus zu um so größe-
rer Herrlichkeit innerhalb des höheren Gebietes, aus dem
sich das Göttliche herabgelassen, um diesen Prozeß durch-
zumachen. Gehen wir in die Sache specieller ein, so wer-
den wir uns um so mehr überzeugen, wie groß und be-
deutsam der nicht äußere, wohl aber innere Zusammen-
hang und Aehnlichkeitsgrund der beiden zu vergleichenden
Seiten ist.

Ich habe hiebei den Vortheil, eine Arbeit des scharf-
sinnigen Philologen und Mythologen Buttmann be-
nutzen zu können, der eine Abhandlung "über den Mythus
des Herakles" geliefert, worin er "aus inneren Gründen"
wahrscheinlich zu machen sucht, daß die Geschichte des Hel-
den durchaus nicht historischen, sondern rein nur poetischen
Grundes und Ursprunges, eine sinnvolle moralisch-allego-
rische Dichtung sei. "Eine solche Wahrscheinlichkeit ent-
steht", sagt Buttmann, "wenn in einer Erzählung ein
so deutlicher poetischer Zusammenhang ist, eine so sichtbare
Einheit zu einem gewissen Zwecke herrscht, die Data, welche
offenbar die Haupt- und Grundzüge bilden, sich dermaßen
zusammenrunden und in Beziehung auf den poetischen Zweck
so vollständig sind, wie es die wirkliche Geschichte niemals
zusammen darbietet. Wir erkennen die Hand eines Dich-
ters, wie ich sie in der Geschichte des Herakles von An-
fang bis zu Ende erkenne." Weiterhin heißt es: "Eine
so vollendete, runde Schilderung, die Eins ist von An-
fang bis zu Ende, durch und durch von moralischer Ten-

dem Sinne nach gleichwohl die unverkennbarſte Verwandt-
ſchaft in’s Auge leuchtet. Es iſt der nämliche Prozeß des
Herabſteigens aus einer höheren Region, eines daraus ſich
ergebenden Zuſtandes der Erniedrigung und des Leidens,
einer dabei entwickelten gottmenſchlichen Berufsthätigkeit,
eines qualvollen irdiſchen Untergangs und eines ſiegreichen
Wiederauflebens und Aufſteigens daraus zu um ſo größe-
rer Herrlichkeit innerhalb des höheren Gebietes, aus dem
ſich das Göttliche herabgelaſſen, um dieſen Prozeß durch-
zumachen. Gehen wir in die Sache ſpecieller ein, ſo wer-
den wir uns um ſo mehr überzeugen, wie groß und be-
deutſam der nicht äußere, wohl aber innere Zuſammen-
hang und Aehnlichkeitsgrund der beiden zu vergleichenden
Seiten iſt.

Ich habe hiebei den Vortheil, eine Arbeit des ſcharf-
ſinnigen Philologen und Mythologen Buttmann be-
nutzen zu können, der eine Abhandlung „über den Mythus
des Herakles“ geliefert, worin er „aus inneren Gründen“
wahrſcheinlich zu machen ſucht, daß die Geſchichte des Hel-
den durchaus nicht hiſtoriſchen, ſondern rein nur poetiſchen
Grundes und Urſprunges, eine ſinnvolle moraliſch-allego-
riſche Dichtung ſei. „Eine ſolche Wahrſcheinlichkeit ent-
ſteht“, ſagt Buttmann, „wenn in einer Erzählung ein
ſo deutlicher poetiſcher Zuſammenhang iſt, eine ſo ſichtbare
Einheit zu einem gewiſſen Zwecke herrſcht, die Data, welche
offenbar die Haupt- und Grundzüge bilden, ſich dermaßen
zuſammenrunden und in Beziehung auf den poetiſchen Zweck
ſo vollſtändig ſind, wie es die wirkliche Geſchichte niemals
zuſammen darbietet. Wir erkennen die Hand eines Dich-
ters, wie ich ſie in der Geſchichte des Herakles von An-
fang bis zu Ende erkenne.“ Weiterhin heißt es: „Eine
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[27/0049] dem Sinne nach gleichwohl die unverkennbarſte Verwandt- ſchaft in’s Auge leuchtet. Es iſt der nämliche Prozeß des Herabſteigens aus einer höheren Region, eines daraus ſich ergebenden Zuſtandes der Erniedrigung und des Leidens, einer dabei entwickelten gottmenſchlichen Berufsthätigkeit, eines qualvollen irdiſchen Untergangs und eines ſiegreichen Wiederauflebens und Aufſteigens daraus zu um ſo größe- rer Herrlichkeit innerhalb des höheren Gebietes, aus dem ſich das Göttliche herabgelaſſen, um dieſen Prozeß durch- zumachen. Gehen wir in die Sache ſpecieller ein, ſo wer- den wir uns um ſo mehr überzeugen, wie groß und be- deutſam der nicht äußere, wohl aber innere Zuſammen- hang und Aehnlichkeitsgrund der beiden zu vergleichenden Seiten iſt. Ich habe hiebei den Vortheil, eine Arbeit des ſcharf- ſinnigen Philologen und Mythologen Buttmann be- nutzen zu können, der eine Abhandlung „über den Mythus des Herakles“ geliefert, worin er „aus inneren Gründen“ wahrſcheinlich zu machen ſucht, daß die Geſchichte des Hel- den durchaus nicht hiſtoriſchen, ſondern rein nur poetiſchen Grundes und Urſprunges, eine ſinnvolle moraliſch-allego- riſche Dichtung ſei. „Eine ſolche Wahrſcheinlichkeit ent- ſteht“, ſagt Buttmann, „wenn in einer Erzählung ein ſo deutlicher poetiſcher Zuſammenhang iſt, eine ſo ſichtbare Einheit zu einem gewiſſen Zwecke herrſcht, die Data, welche offenbar die Haupt- und Grundzüge bilden, ſich dermaßen zuſammenrunden und in Beziehung auf den poetiſchen Zweck ſo vollſtändig ſind, wie es die wirkliche Geſchichte niemals zuſammen darbietet. Wir erkennen die Hand eines Dich- ters, wie ich ſie in der Geſchichte des Herakles von An- fang bis zu Ende erkenne.“ Weiterhin heißt es: „Eine ſo vollendete, runde Schilderung, die Eins iſt von An- fang bis zu Ende, durch und durch von moraliſcher Ten-

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Zitationshilfe: Daumer, Georg Friedrich: Die dreifache Krone Rom's. Münster, 1859, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/daumer_krone_1859/49>, abgerufen am 19.04.2024.