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Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

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Cap. 2. Einbiegung der äuszern Tentakeln.
gramm. In diesen verschiedenen Fällen war nicht nur die Einbiegung
der Tentakeln sichtbar, sondern die purpurne Flüssigkeit in ihren
Zellen wurde zu kleinen Massen von Protoplasma zusammengeballt in
der Art und Weise, wie sie im nächsten Capitel beschrieben werden
soll. Und dies Zusammenballen war so deutlich, dasz ich durch diesen
Schlüssel allein leicht alle die Tentakeln unter dem Mikroskop hätte
herausfinden können, welche ihre leichte Bürde nach der Mitte zu ge-
tragen hatten, aus den hunderten von andern Tentakeln an denselben
Blättern heraus, die nicht so gehandelt hatten.

Mein Erstaunen wurde stark erregt nicht nur durch die äuszerste
Kleinheit der Theilchen, welche eine Bewegung verursachten, sondern
auch dadurch, wie sie möglicherweise auf die Drüsen wirken konnten;
denn man musz sich erinnern, dasz sie mit der gröszten Sorgfalt auf
die convexe Oberfläche des Secrets gelegt wurden. Zuerst dachte ich
-- aber irriger Weise, wie ich jetzt weisz --, dasz Theilchen von solch
geringem specifischem Gewicht, wie Kork, Faden und Papier, nie mit
der Oberfläche der Drüsen in Berührung kommen würden. Die Theil-
chen können nicht einfach dadurch wirken, dasz ihr Gewicht dem des
Secrets zugefügt wird, denn kleine Wassertropfen, die viel Mal schwe-
rer als die Theilchen waren, wurden wiederholt hinzugethan und brach-
ten niemals irgend eine Wirkung hervor. Ebenso wenig bringt die
Störung der Absonderung irgend eine Wirkung hervor; denn mit einer
Nadel wurden lange Fäden herausgezogen und an einem sich in der
Nähe befindlichen Gegenstand befestigt und Stunden lang so gelassen;
aber die Tentakeln blieben bewegungslos.

Ich entfernte auch sorgfältig mit einem scharf zugespitztem Stück
Löschpapier das Secret von vier Drüsen, so dasz sie eine Zeit lang
nackt der Luft ausgesetzt waren; aber dies verursachte keine Bewegung,
und doch waren diese Tentakeln in einem functionsfähigen Zustand;
denn nachdem 24 Stunden vorüber waren, wurden sie mit Stückchen
Fleisch versucht und alle wurden schnell eingebogen. Es kam mir
dann der Gedanke, dasz Theilchen, welche auf der Absonderung schwäm-
men, Schatten auf die Drüsen werfen könnten, welche gegen den ge-
hemmten Einflusz des Lichts empfindlich sein könnten. Obgleich dies
sehr unwahrscheinlich schien, da äuszerst kleine und dünne Splitter
von farblosem Glas mächtig wirkten, so that ich doch, nachdem es
dunkel war, beim Lichte eines einzigen Talglichts so schnell als mög-
lich Theilchen Kork und Glas auf die Drüsen von einem Dutzend

Cap. 2. Einbiegung der äuszern Tentakeln.
gramm. In diesen verschiedenen Fällen war nicht nur die Einbiegung
der Tentakeln sichtbar, sondern die purpurne Flüssigkeit in ihren
Zellen wurde zu kleinen Massen von Protoplasma zusammengeballt in
der Art und Weise, wie sie im nächsten Capitel beschrieben werden
soll. Und dies Zusammenballen war so deutlich, dasz ich durch diesen
Schlüssel allein leicht alle die Tentakeln unter dem Mikroskop hätte
herausfinden können, welche ihre leichte Bürde nach der Mitte zu ge-
tragen hatten, aus den hunderten von andern Tentakeln an denselben
Blättern heraus, die nicht so gehandelt hatten.

Mein Erstaunen wurde stark erregt nicht nur durch die äuszerste
Kleinheit der Theilchen, welche eine Bewegung verursachten, sondern
auch dadurch, wie sie möglicherweise auf die Drüsen wirken konnten;
denn man musz sich erinnern, dasz sie mit der gröszten Sorgfalt auf
die convexe Oberfläche des Secrets gelegt wurden. Zuerst dachte ich
— aber irriger Weise, wie ich jetzt weisz —, dasz Theilchen von solch
geringem specifischem Gewicht, wie Kork, Faden und Papier, nie mit
der Oberfläche der Drüsen in Berührung kommen würden. Die Theil-
chen können nicht einfach dadurch wirken, dasz ihr Gewicht dem des
Secrets zugefügt wird, denn kleine Wassertropfen, die viel Mal schwe-
rer als die Theilchen waren, wurden wiederholt hinzugethan und brach-
ten niemals irgend eine Wirkung hervor. Ebenso wenig bringt die
Störung der Absonderung irgend eine Wirkung hervor; denn mit einer
Nadel wurden lange Fäden herausgezogen und an einem sich in der
Nähe befindlichen Gegenstand befestigt und Stunden lang so gelassen;
aber die Tentakeln blieben bewegungslos.

Ich entfernte auch sorgfältig mit einem scharf zugespitztem Stück
Löschpapier das Secret von vier Drüsen, so dasz sie eine Zeit lang
nackt der Luft ausgesetzt waren; aber dies verursachte keine Bewegung,
und doch waren diese Tentakeln in einem functionsfähigen Zustand;
denn nachdem 24 Stunden vorüber waren, wurden sie mit Stückchen
Fleisch versucht und alle wurden schnell eingebogen. Es kam mir
dann der Gedanke, dasz Theilchen, welche auf der Absonderung schwäm-
men, Schatten auf die Drüsen werfen könnten, welche gegen den ge-
hemmten Einflusz des Lichts empfindlich sein könnten. Obgleich dies
sehr unwahrscheinlich schien, da äuszerst kleine und dünne Splitter
von farblosem Glas mächtig wirkten, so that ich doch, nachdem es
dunkel war, beim Lichte eines einzigen Talglichts so schnell als mög-
lich Theilchen Kork und Glas auf die Drüsen von einem Dutzend

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[25/0039] Cap. 2. Einbiegung der äuszern Tentakeln. gramm. In diesen verschiedenen Fällen war nicht nur die Einbiegung der Tentakeln sichtbar, sondern die purpurne Flüssigkeit in ihren Zellen wurde zu kleinen Massen von Protoplasma zusammengeballt in der Art und Weise, wie sie im nächsten Capitel beschrieben werden soll. Und dies Zusammenballen war so deutlich, dasz ich durch diesen Schlüssel allein leicht alle die Tentakeln unter dem Mikroskop hätte herausfinden können, welche ihre leichte Bürde nach der Mitte zu ge- tragen hatten, aus den hunderten von andern Tentakeln an denselben Blättern heraus, die nicht so gehandelt hatten. Mein Erstaunen wurde stark erregt nicht nur durch die äuszerste Kleinheit der Theilchen, welche eine Bewegung verursachten, sondern auch dadurch, wie sie möglicherweise auf die Drüsen wirken konnten; denn man musz sich erinnern, dasz sie mit der gröszten Sorgfalt auf die convexe Oberfläche des Secrets gelegt wurden. Zuerst dachte ich — aber irriger Weise, wie ich jetzt weisz —, dasz Theilchen von solch geringem specifischem Gewicht, wie Kork, Faden und Papier, nie mit der Oberfläche der Drüsen in Berührung kommen würden. Die Theil- chen können nicht einfach dadurch wirken, dasz ihr Gewicht dem des Secrets zugefügt wird, denn kleine Wassertropfen, die viel Mal schwe- rer als die Theilchen waren, wurden wiederholt hinzugethan und brach- ten niemals irgend eine Wirkung hervor. Ebenso wenig bringt die Störung der Absonderung irgend eine Wirkung hervor; denn mit einer Nadel wurden lange Fäden herausgezogen und an einem sich in der Nähe befindlichen Gegenstand befestigt und Stunden lang so gelassen; aber die Tentakeln blieben bewegungslos. Ich entfernte auch sorgfältig mit einem scharf zugespitztem Stück Löschpapier das Secret von vier Drüsen, so dasz sie eine Zeit lang nackt der Luft ausgesetzt waren; aber dies verursachte keine Bewegung, und doch waren diese Tentakeln in einem functionsfähigen Zustand; denn nachdem 24 Stunden vorüber waren, wurden sie mit Stückchen Fleisch versucht und alle wurden schnell eingebogen. Es kam mir dann der Gedanke, dasz Theilchen, welche auf der Absonderung schwäm- men, Schatten auf die Drüsen werfen könnten, welche gegen den ge- hemmten Einflusz des Lichts empfindlich sein könnten. Obgleich dies sehr unwahrscheinlich schien, da äuszerst kleine und dünne Splitter von farblosem Glas mächtig wirkten, so that ich doch, nachdem es dunkel war, beim Lichte eines einzigen Talglichts so schnell als mög- lich Theilchen Kork und Glas auf die Drüsen von einem Dutzend

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Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/39>, abgerufen am 28.03.2024.