Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite
Drosera rotundifolia. Cap. 2.

Ich experimentirte sowohl an den ovalen als an den langköpfigen
Drüsen. Wenn ein Theilchen in dieser Weise auf eine einzige Drüse
gelegt wird, so ist die Bewegung des Tentakels im Gegensatz zu dem
stationären Zustand der umgebenden Tentakeln besonders gut zu sehen.
(Siehe die frühere Fig. 6.) In vier Fällen veranlaszten kleine Stück-
chen rohen Fleisches, dasz die Tentakeln in einer Zeit von 5 bis 6 Mi-
nuten stark eingebogen wurden. Ein anderer Tentakel, der ebenso be-
handelt und mit besonderer Sorgfalt beobachtet wurde, änderte in
10 Secunden zwar schwach aber deutlich seine Stellung; und dies ist
die schnellste Bewegung, die von mir gesehen wurde. In 2 Minuten
und 30 Secunden hatte er sich durch einen Winkel von ungefähr 45°
bewegt. Diese Bewegung glich, durch die Loupe gesehen, der des
Zeigers einer groszen Uhr. In 5 Minuten hatte er sich durch 90°
bewegt, und als ich nach 10 Minuten wieder hinsah, hatte das Stück-
chen die Mitte des Blattes erreicht, so dasz die ganze Bewegung in
weniger als 17 Minuten 30 Secunden vollendet war. Im Laufe einiger
Stunden wirkte dieses kleine Stück Fleisch in Folge davon, dasz es
mit einigen der Drüsen der mittleren Scheibe in Berührung gebracht
worden war, centrifugal auf die äuszeren Tentakeln, welche alle dicht
eingebogen wurden. Bruchstückchen von Fliegen wurden auf die Drü-
sen von vier der äuszeren Tentakeln gelegt, welche in derselben Ebene
wie die Blattscheibe ausgestreckt lagen, und drei dieser Stückchen
waren in 35 Minuten durch einen Winkel von 180° nach der Mitte
getragen worden. Das Stückchen auf dem vierten Tentakel war sehr
klein und wurde nicht eher, als bis 3 Stunden verflossen waren, nach
der Mitte gebracht. In drei andern Fällen wurden kleine Fliegen oder
Theilchen von gröszeren in 1 Stunde 30 Secunden nach der Mitte ge-
schafft. In diesen sieben Fällen waren die Stückchen oder die kleinen
Fliegen, welche von einem einzigen Tentakel nach den mittleren Drü-
sen hin gebracht worden waren, nach einem Verlauf von 4 bis 10 Stun-
den fest umschlossen.

Ich legte auch in der oben beschriebenen Weise sechs kleine Ku-
geln von Schreibpapier (mit Hülfe von Pincetten zusammen gedreht,
so dasz sie nicht von meinen Fingern berührt worden waren) auf die
Drüsen von sechs äuszeren Tentakeln an verschiedenen Blättern; drei
derselben wurden in ungefähr 1 Stunde nach der Mitte gebracht und
die andern drei in etwas mehr als 4 Stunden; aber nach 24 Stunden
waren blosz zwei der sechs Kugeln fest von den andern Tentakeln

Drosera rotundifolia. Cap. 2.

Ich experimentirte sowohl an den ovalen als an den langköpfigen
Drüsen. Wenn ein Theilchen in dieser Weise auf eine einzige Drüse
gelegt wird, so ist die Bewegung des Tentakels im Gegensatz zu dem
stationären Zustand der umgebenden Tentakeln besonders gut zu sehen.
(Siehe die frühere Fig. 6.) In vier Fällen veranlaszten kleine Stück-
chen rohen Fleisches, dasz die Tentakeln in einer Zeit von 5 bis 6 Mi-
nuten stark eingebogen wurden. Ein anderer Tentakel, der ebenso be-
handelt und mit besonderer Sorgfalt beobachtet wurde, änderte in
10 Secunden zwar schwach aber deutlich seine Stellung; und dies ist
die schnellste Bewegung, die von mir gesehen wurde. In 2 Minuten
und 30 Secunden hatte er sich durch einen Winkel von ungefähr 45°
bewegt. Diese Bewegung glich, durch die Loupe gesehen, der des
Zeigers einer groszen Uhr. In 5 Minuten hatte er sich durch 90°
bewegt, und als ich nach 10 Minuten wieder hinsah, hatte das Stück-
chen die Mitte des Blattes erreicht, so dasz die ganze Bewegung in
weniger als 17 Minuten 30 Secunden vollendet war. Im Laufe einiger
Stunden wirkte dieses kleine Stück Fleisch in Folge davon, dasz es
mit einigen der Drüsen der mittleren Scheibe in Berührung gebracht
worden war, centrifugal auf die äuszeren Tentakeln, welche alle dicht
eingebogen wurden. Bruchstückchen von Fliegen wurden auf die Drü-
sen von vier der äuszeren Tentakeln gelegt, welche in derselben Ebene
wie die Blattscheibe ausgestreckt lagen, und drei dieser Stückchen
waren in 35 Minuten durch einen Winkel von 180° nach der Mitte
getragen worden. Das Stückchen auf dem vierten Tentakel war sehr
klein und wurde nicht eher, als bis 3 Stunden verflossen waren, nach
der Mitte gebracht. In drei andern Fällen wurden kleine Fliegen oder
Theilchen von gröszeren in 1 Stunde 30 Secunden nach der Mitte ge-
schafft. In diesen sieben Fällen waren die Stückchen oder die kleinen
Fliegen, welche von einem einzigen Tentakel nach den mittleren Drü-
sen hin gebracht worden waren, nach einem Verlauf von 4 bis 10 Stun-
den fest umschlossen.

Ich legte auch in der oben beschriebenen Weise sechs kleine Ku-
geln von Schreibpapier (mit Hülfe von Pincetten zusammen gedreht,
so dasz sie nicht von meinen Fingern berührt worden waren) auf die
Drüsen von sechs äuszeren Tentakeln an verschiedenen Blättern; drei
derselben wurden in ungefähr 1 Stunde nach der Mitte gebracht und
die andern drei in etwas mehr als 4 Stunden; aber nach 24 Stunden
waren blosz zwei der sechs Kugeln fest von den andern Tentakeln

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0036" n="22"/>
          <fw place="top" type="header">Drosera rotundifolia. Cap. 2.</fw><lb/>
          <p>Ich experimentirte sowohl an den ovalen als an den langköpfigen<lb/>
Drüsen. Wenn ein Theilchen in dieser Weise auf eine einzige Drüse<lb/>
gelegt wird, so ist die Bewegung des Tentakels im Gegensatz zu dem<lb/>
stationären Zustand der umgebenden Tentakeln besonders gut zu sehen.<lb/>
(Siehe die frühere Fig. 6.) In vier Fällen veranlaszten kleine Stück-<lb/>
chen rohen Fleisches, dasz die Tentakeln in einer Zeit von 5 bis 6 Mi-<lb/>
nuten stark eingebogen wurden. Ein anderer Tentakel, der ebenso be-<lb/>
handelt und mit besonderer Sorgfalt beobachtet wurde, änderte in<lb/>
10 Secunden zwar schwach aber deutlich seine Stellung; und dies ist<lb/>
die schnellste Bewegung, die von mir gesehen wurde. In 2 Minuten<lb/>
und 30 Secunden hatte er sich durch einen Winkel von ungefähr 45°<lb/>
bewegt. Diese Bewegung glich, durch die Loupe gesehen, der des<lb/>
Zeigers einer groszen Uhr. In 5 Minuten hatte er sich durch 90°<lb/>
bewegt, und als ich nach 10 Minuten wieder hinsah, hatte das Stück-<lb/>
chen die Mitte des Blattes erreicht, so dasz die ganze Bewegung in<lb/>
weniger als 17 Minuten 30 Secunden vollendet war. Im Laufe einiger<lb/>
Stunden wirkte dieses kleine Stück Fleisch in Folge davon, dasz es<lb/>
mit einigen der Drüsen der mittleren Scheibe in Berührung gebracht<lb/>
worden war, centrifugal auf die äuszeren Tentakeln, welche alle dicht<lb/>
eingebogen wurden. Bruchstückchen von Fliegen wurden auf die Drü-<lb/>
sen von vier der äuszeren Tentakeln gelegt, welche in derselben Ebene<lb/>
wie die Blattscheibe ausgestreckt lagen, und drei dieser Stückchen<lb/>
waren in 35 Minuten durch einen Winkel von 180° nach der Mitte<lb/>
getragen worden. Das Stückchen auf dem vierten Tentakel war sehr<lb/>
klein und wurde nicht eher, als bis 3 Stunden verflossen waren, nach<lb/>
der Mitte gebracht. In drei andern Fällen wurden kleine Fliegen oder<lb/>
Theilchen von gröszeren in 1 Stunde 30 Secunden nach der Mitte ge-<lb/>
schafft. In diesen sieben Fällen waren die Stückchen oder die kleinen<lb/>
Fliegen, welche von einem einzigen Tentakel nach den mittleren Drü-<lb/>
sen hin gebracht worden waren, nach einem Verlauf von 4 bis 10 Stun-<lb/>
den fest umschlossen.</p><lb/>
          <p>Ich legte auch in der oben beschriebenen Weise sechs kleine Ku-<lb/>
geln von Schreibpapier (mit Hülfe von Pincetten zusammen gedreht,<lb/>
so dasz sie nicht von meinen Fingern berührt worden waren) auf die<lb/>
Drüsen von sechs äuszeren Tentakeln an verschiedenen Blättern; drei<lb/>
derselben wurden in ungefähr 1 Stunde nach der Mitte gebracht und<lb/>
die andern drei in etwas mehr als 4 Stunden; aber nach 24 Stunden<lb/>
waren blosz zwei der sechs Kugeln fest von den andern Tentakeln<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0036] Drosera rotundifolia. Cap. 2. Ich experimentirte sowohl an den ovalen als an den langköpfigen Drüsen. Wenn ein Theilchen in dieser Weise auf eine einzige Drüse gelegt wird, so ist die Bewegung des Tentakels im Gegensatz zu dem stationären Zustand der umgebenden Tentakeln besonders gut zu sehen. (Siehe die frühere Fig. 6.) In vier Fällen veranlaszten kleine Stück- chen rohen Fleisches, dasz die Tentakeln in einer Zeit von 5 bis 6 Mi- nuten stark eingebogen wurden. Ein anderer Tentakel, der ebenso be- handelt und mit besonderer Sorgfalt beobachtet wurde, änderte in 10 Secunden zwar schwach aber deutlich seine Stellung; und dies ist die schnellste Bewegung, die von mir gesehen wurde. In 2 Minuten und 30 Secunden hatte er sich durch einen Winkel von ungefähr 45° bewegt. Diese Bewegung glich, durch die Loupe gesehen, der des Zeigers einer groszen Uhr. In 5 Minuten hatte er sich durch 90° bewegt, und als ich nach 10 Minuten wieder hinsah, hatte das Stück- chen die Mitte des Blattes erreicht, so dasz die ganze Bewegung in weniger als 17 Minuten 30 Secunden vollendet war. Im Laufe einiger Stunden wirkte dieses kleine Stück Fleisch in Folge davon, dasz es mit einigen der Drüsen der mittleren Scheibe in Berührung gebracht worden war, centrifugal auf die äuszeren Tentakeln, welche alle dicht eingebogen wurden. Bruchstückchen von Fliegen wurden auf die Drü- sen von vier der äuszeren Tentakeln gelegt, welche in derselben Ebene wie die Blattscheibe ausgestreckt lagen, und drei dieser Stückchen waren in 35 Minuten durch einen Winkel von 180° nach der Mitte getragen worden. Das Stückchen auf dem vierten Tentakel war sehr klein und wurde nicht eher, als bis 3 Stunden verflossen waren, nach der Mitte gebracht. In drei andern Fällen wurden kleine Fliegen oder Theilchen von gröszeren in 1 Stunde 30 Secunden nach der Mitte ge- schafft. In diesen sieben Fällen waren die Stückchen oder die kleinen Fliegen, welche von einem einzigen Tentakel nach den mittleren Drü- sen hin gebracht worden waren, nach einem Verlauf von 4 bis 10 Stun- den fest umschlossen. Ich legte auch in der oben beschriebenen Weise sechs kleine Ku- geln von Schreibpapier (mit Hülfe von Pincetten zusammen gedreht, so dasz sie nicht von meinen Fingern berührt worden waren) auf die Drüsen von sechs äuszeren Tentakeln an verschiedenen Blättern; drei derselben wurden in ungefähr 1 Stunde nach der Mitte gebracht und die andern drei in etwas mehr als 4 Stunden; aber nach 24 Stunden waren blosz zwei der sechs Kugeln fest von den andern Tentakeln

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/36
Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/36>, abgerufen am 24.04.2024.