Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Schluszbemerkungen Cap. 15.
mit feinen Fasern, andere durch Berührung mit Borsten, andere mit
einer ebenen oder gefurchten Oberfläche am meisten gereizt. Die em-
pfindlichen Organe der Drosera und Dionaea sind auch in sofern spe-
cialisirt, als sie nicht durch das Gewicht oder das Auffallen von Regen-
tropfen oder Luftstöszen nutzlos afficirt werden. Dies kann man so
erklären dasz man annimmt, diese Pflanzen und ihre Erzeuger seien
an die wiederholte Einwirkung von Regen und Wind gewöhnt worden,
so dasz keine molecularen Veränderungen dadurch veranlaszt werden;
während sie mittelst natürlicher Zuchtwahl gegen den seltneren Auf-
fall oder Druck fester Körper empfindlicher gemacht worden sind.
Obgleich die Absorption verschiedener Flüssigkeiten durch die Drüsen
der Drosera Bewegung erregt, so besteht doch ein groszer Unterschied
zwischen der Wirkung verwandter Flüssigkeiten, so beispielsweise
zwischen gewissen vegetabilischen Säuren und zwischen citronensaurem
und phosphorsaurem Ammoniak. Die specialisirte Natur und Vollkom-
menheit der Empfindlichkeit bei diesen zwei Pflanzen ist um so über-
raschender, als Niemand vermuthet, dasz sie Nerven besitzen; und
aus Versuchen an Drosera mit Substanzen, welche kraftvoll auf das
Nervensystem von Thieren wirken, geht nicht hervor, dasz sie irgend
eine dem Nervengewebe analoge Substanz durch den Körper diffundirt
enthalten.

Obgleich die Zellen der Drosera und Dionaea vollständig so em-
pfindlich gegen gewisse Reizmittel sind, wie die Gewebe, welche die
Endigungen der Nerven in den höheren Thieren umgeben, so stehen
diese Pflanzen doch niedriger als selbst tief auf der Stufenleiter
stehende Thiere, und zwar darin, dasz sie nicht afficirt werden, aus-
genommen durch Reize in Berührung mit ihren empfindlichen Theilen.
Sie werden indessen wahrscheinlich durch strahlende Wärme beein-
fluszt, denn warmes Wasser erregt energische Bewegung. Wenn eine
Drüse der Drosera oder eines der Filamente der Dionaea gereizt wird,
so strahlt der motorische Impuls nach allen Richtungen hin und wird
nicht, wie es bei Thieren der Fall ist, nach speciellen Punkten oder
Organen hingelenkt. Dies gilt bei Drosera selbst für den Fall, wenn
eine reizende Substanz auf zwei Punkte der Scheibe gelegt worden
ist und wenn alle Tentakeln ringsherum mit wunderbarer Genauig-
keit nach diesen beiden Punkten hin eingebogen werden. Die Schnellig-
keit, mit welcher der motorische Impuls fortgeleitet wird, ist, ob-
schon rapid bei Dionaea, viel geringer als bei den meisten oder allen

Schluszbemerkungen Cap. 15.
mit feinen Fasern, andere durch Berührung mit Borsten, andere mit
einer ebenen oder gefurchten Oberfläche am meisten gereizt. Die em-
pfindlichen Organe der Drosera und Dionaea sind auch in sofern spe-
cialisirt, als sie nicht durch das Gewicht oder das Auffallen von Regen-
tropfen oder Luftstöszen nutzlos afficirt werden. Dies kann man so
erklären dasz man annimmt, diese Pflanzen und ihre Erzeuger seien
an die wiederholte Einwirkung von Regen und Wind gewöhnt worden,
so dasz keine molecularen Veränderungen dadurch veranlaszt werden;
während sie mittelst natürlicher Zuchtwahl gegen den seltneren Auf-
fall oder Druck fester Körper empfindlicher gemacht worden sind.
Obgleich die Absorption verschiedener Flüssigkeiten durch die Drüsen
der Drosera Bewegung erregt, so besteht doch ein groszer Unterschied
zwischen der Wirkung verwandter Flüssigkeiten, so beispielsweise
zwischen gewissen vegetabilischen Säuren und zwischen citronensaurem
und phosphorsaurem Ammoniak. Die specialisirte Natur und Vollkom-
menheit der Empfindlichkeit bei diesen zwei Pflanzen ist um so über-
raschender, als Niemand vermuthet, dasz sie Nerven besitzen; und
aus Versuchen an Drosera mit Substanzen, welche kraftvoll auf das
Nervensystem von Thieren wirken, geht nicht hervor, dasz sie irgend
eine dem Nervengewebe analoge Substanz durch den Körper diffundirt
enthalten.

Obgleich die Zellen der Drosera und Dionaea vollständig so em-
pfindlich gegen gewisse Reizmittel sind, wie die Gewebe, welche die
Endigungen der Nerven in den höheren Thieren umgeben, so stehen
diese Pflanzen doch niedriger als selbst tief auf der Stufenleiter
stehende Thiere, und zwar darin, dasz sie nicht afficirt werden, aus-
genommen durch Reize in Berührung mit ihren empfindlichen Theilen.
Sie werden indessen wahrscheinlich durch strahlende Wärme beein-
fluszt, denn warmes Wasser erregt energische Bewegung. Wenn eine
Drüse der Drosera oder eines der Filamente der Dionaea gereizt wird,
so strahlt der motorische Impuls nach allen Richtungen hin und wird
nicht, wie es bei Thieren der Fall ist, nach speciellen Punkten oder
Organen hingelenkt. Dies gilt bei Drosera selbst für den Fall, wenn
eine reizende Substanz auf zwei Punkte der Scheibe gelegt worden
ist und wenn alle Tentakeln ringsherum mit wunderbarer Genauig-
keit nach diesen beiden Punkten hin eingebogen werden. Die Schnellig-
keit, mit welcher der motorische Impuls fortgeleitet wird, ist, ob-
schon rapid bei Dionaea, viel geringer als bei den meisten oder allen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0344" n="330"/><fw place="top" type="header">Schluszbemerkungen Cap. 15.</fw><lb/>
mit feinen Fasern, andere durch Berührung mit Borsten, andere mit<lb/>
einer ebenen oder gefurchten Oberfläche am meisten gereizt. Die em-<lb/>
pfindlichen Organe der <hi rendition="#i">Drosera</hi> und <hi rendition="#i">Dionaea</hi> sind auch in sofern spe-<lb/>
cialisirt, als sie nicht durch das Gewicht oder das Auffallen von Regen-<lb/>
tropfen oder Luftstöszen nutzlos afficirt werden. Dies kann man so<lb/>
erklären dasz man annimmt, diese Pflanzen und ihre Erzeuger seien<lb/>
an die wiederholte Einwirkung von Regen und Wind gewöhnt worden,<lb/>
so dasz keine molecularen Veränderungen dadurch veranlaszt werden;<lb/>
während sie mittelst natürlicher Zuchtwahl gegen den seltneren Auf-<lb/>
fall oder Druck fester Körper empfindlicher gemacht worden sind.<lb/>
Obgleich die Absorption verschiedener Flüssigkeiten durch die Drüsen<lb/>
der <hi rendition="#i">Drosera</hi> Bewegung erregt, so besteht doch ein groszer Unterschied<lb/>
zwischen der Wirkung verwandter Flüssigkeiten, so beispielsweise<lb/>
zwischen gewissen vegetabilischen Säuren und zwischen citronensaurem<lb/>
und phosphorsaurem Ammoniak. Die specialisirte Natur und Vollkom-<lb/>
menheit der Empfindlichkeit bei diesen zwei Pflanzen ist um so über-<lb/>
raschender, als Niemand vermuthet, dasz sie Nerven besitzen; und<lb/>
aus Versuchen an <hi rendition="#i">Drosera</hi> mit Substanzen, welche kraftvoll auf das<lb/>
Nervensystem von Thieren wirken, geht nicht hervor, dasz sie irgend<lb/>
eine dem Nervengewebe analoge Substanz durch den Körper diffundirt<lb/>
enthalten.</p><lb/>
          <p>Obgleich die Zellen der <hi rendition="#i">Drosera</hi> und <hi rendition="#i">Dionaea</hi> vollständig so em-<lb/>
pfindlich gegen gewisse Reizmittel sind, wie die Gewebe, welche die<lb/>
Endigungen der Nerven in den höheren Thieren umgeben, so stehen<lb/>
diese Pflanzen doch niedriger als selbst tief auf der Stufenleiter<lb/>
stehende Thiere, und zwar darin, dasz sie nicht afficirt werden, aus-<lb/>
genommen durch Reize in Berührung mit ihren empfindlichen Theilen.<lb/>
Sie werden indessen wahrscheinlich durch strahlende Wärme beein-<lb/>
fluszt, denn warmes Wasser erregt energische Bewegung. Wenn eine<lb/>
Drüse der <hi rendition="#i">Drosera</hi> oder eines der Filamente der <hi rendition="#i">Dionaea</hi> gereizt wird,<lb/>
so strahlt der motorische Impuls nach allen Richtungen hin und wird<lb/>
nicht, wie es bei Thieren der Fall ist, nach speciellen Punkten oder<lb/>
Organen hingelenkt. Dies gilt bei <hi rendition="#i">Drosera</hi> selbst für den Fall, wenn<lb/>
eine reizende Substanz auf zwei Punkte der Scheibe gelegt worden<lb/>
ist und wenn alle Tentakeln ringsherum mit wunderbarer Genauig-<lb/>
keit nach diesen beiden Punkten hin eingebogen werden. Die Schnellig-<lb/>
keit, mit welcher der motorische Impuls fortgeleitet wird, ist, ob-<lb/>
schon rapid bei <hi rendition="#i">Dionaea</hi>, viel geringer als bei den meisten oder allen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[330/0344] Schluszbemerkungen Cap. 15. mit feinen Fasern, andere durch Berührung mit Borsten, andere mit einer ebenen oder gefurchten Oberfläche am meisten gereizt. Die em- pfindlichen Organe der Drosera und Dionaea sind auch in sofern spe- cialisirt, als sie nicht durch das Gewicht oder das Auffallen von Regen- tropfen oder Luftstöszen nutzlos afficirt werden. Dies kann man so erklären dasz man annimmt, diese Pflanzen und ihre Erzeuger seien an die wiederholte Einwirkung von Regen und Wind gewöhnt worden, so dasz keine molecularen Veränderungen dadurch veranlaszt werden; während sie mittelst natürlicher Zuchtwahl gegen den seltneren Auf- fall oder Druck fester Körper empfindlicher gemacht worden sind. Obgleich die Absorption verschiedener Flüssigkeiten durch die Drüsen der Drosera Bewegung erregt, so besteht doch ein groszer Unterschied zwischen der Wirkung verwandter Flüssigkeiten, so beispielsweise zwischen gewissen vegetabilischen Säuren und zwischen citronensaurem und phosphorsaurem Ammoniak. Die specialisirte Natur und Vollkom- menheit der Empfindlichkeit bei diesen zwei Pflanzen ist um so über- raschender, als Niemand vermuthet, dasz sie Nerven besitzen; und aus Versuchen an Drosera mit Substanzen, welche kraftvoll auf das Nervensystem von Thieren wirken, geht nicht hervor, dasz sie irgend eine dem Nervengewebe analoge Substanz durch den Körper diffundirt enthalten. Obgleich die Zellen der Drosera und Dionaea vollständig so em- pfindlich gegen gewisse Reizmittel sind, wie die Gewebe, welche die Endigungen der Nerven in den höheren Thieren umgeben, so stehen diese Pflanzen doch niedriger als selbst tief auf der Stufenleiter stehende Thiere, und zwar darin, dasz sie nicht afficirt werden, aus- genommen durch Reize in Berührung mit ihren empfindlichen Theilen. Sie werden indessen wahrscheinlich durch strahlende Wärme beein- fluszt, denn warmes Wasser erregt energische Bewegung. Wenn eine Drüse der Drosera oder eines der Filamente der Dionaea gereizt wird, so strahlt der motorische Impuls nach allen Richtungen hin und wird nicht, wie es bei Thieren der Fall ist, nach speciellen Punkten oder Organen hingelenkt. Dies gilt bei Drosera selbst für den Fall, wenn eine reizende Substanz auf zwei Punkte der Scheibe gelegt worden ist und wenn alle Tentakeln ringsherum mit wunderbarer Genauig- keit nach diesen beiden Punkten hin eingebogen werden. Die Schnellig- keit, mit welcher der motorische Impuls fortgeleitet wird, ist, ob- schon rapid bei Dionaea, viel geringer als bei den meisten oder allen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/344
Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/344>, abgerufen am 18.05.2024.