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Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

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Cap. 10. Die leitenden Gewebe.
er auf der Scheibe nach allen Seiten ausstrahlt. Aber abgesehen von
dieser Einschränkung, sind die äuszeren Zellen der Tentakeln völlig
zweimal so lang wie diejenigen der Scheibe, so dasz auf eine ge-
gebene Länge eines Tentakels nur die halbe Anzahl von queren
Scheidewänden kommt, welche zu durchsetzen sind, im Vergleich mit
einem gleich groszen Raum auf der Scheibe; in demselben Verhältnis
wird auch eine geringere Verlangsamung des Impulses eintreten.
Überdies weisen Durchschnitte der äuszeren Tentakeln, welche Dr. War-
ming
mitgetheilt hat5, nach, dasz die parenchymatösen Zellen noch
mehr verlängert sind; und diese würden die allerdirecteste Communi-
cationsbahn von der Drüse nach der Beugungsstelle des Tentakels hin
sein. Wenn der Impuls die äuszeren Zellen hinabgeht, so würde er
zwischen zwanzig und dreiszig Zellscheidewände zu durchsetzen haben,
dagegen etwas weniger, wenn er durch das innere parenchymatöse
Gewebe hinabläuft. In beiden Fällen ist es merkwürdig, dasz der
Impuls im Stande ist, in zehn Secunden durch so viele Scheidewände
nahezu die ganze Länge des Stiels hinabzugehen und auf die Beugungs-
stelle zu wirken. Warum der Impuls, nachdem er einen der äuszer-
sten randständigen Tentakeln (von ungefähr Zoll Länge) so schnell
hinabgelaufen ist, niemals, so weit ich es gesehen habe, die angren-
zenden Tentakeln afficirt, verstehe ich nicht. Es kann vielleicht zum
Theil dadurch erklärt werden, dasz bei der Schnelligkeit der Über-
mittelung viel Energie verwandt worden ist.

Die meisten Zellen der Scheiben, sowohl die oberflächlichen als
auch die gröszeren Zellen, welche die darunterliegenden fünf oder
sechs Schichten bilden, sind ungefähr viermal so breit wie lang. Sie
sind beinahe longitudinal angeordnet, vom Stiele strahlenförmig aus-
gehend. Wenn daher der motorische Impuls quer über die Scheibe
gesandt wird, so hat er nahezu viermal so viel Zellwandungen zu
durchsetzen, wie wenn er in einer Längsrichtung übermittelt wird; er
wird daher im erstern Falle bedeutend aufgehalten werden. Die Zellen
der Scheibe convergiren nach den Basen der Tentakeln zu und sind
daher geeignet, ihnen den motorischen Impuls von allen Seiten her
zuzuführen. Im Ganzen wirft die Anordnung und die Form der Zellen,
sowohl derjenigen der Scheibe als auch der der Tentakeln, viel Licht
auf die Geschwindigkeit und Verbreitungsweise des motorischen Im-

5 Videnskabelige Meddelelser fra de naturhist. Forening; Kopenhagen, 1872,
Nr. 10--12. Holzschnitt IV und V.

Cap. 10. Die leitenden Gewebe.
er auf der Scheibe nach allen Seiten ausstrahlt. Aber abgesehen von
dieser Einschränkung, sind die äuszeren Zellen der Tentakeln völlig
zweimal so lang wie diejenigen der Scheibe, so dasz auf eine ge-
gebene Länge eines Tentakels nur die halbe Anzahl von queren
Scheidewänden kommt, welche zu durchsetzen sind, im Vergleich mit
einem gleich groszen Raum auf der Scheibe; in demselben Verhältnis
wird auch eine geringere Verlangsamung des Impulses eintreten.
Überdies weisen Durchschnitte der äuszeren Tentakeln, welche Dr. War-
ming
mitgetheilt hat5, nach, dasz die parenchymatösen Zellen noch
mehr verlängert sind; und diese würden die allerdirecteste Communi-
cationsbahn von der Drüse nach der Beugungsstelle des Tentakels hin
sein. Wenn der Impuls die äuszeren Zellen hinabgeht, so würde er
zwischen zwanzig und dreiszig Zellscheidewände zu durchsetzen haben,
dagegen etwas weniger, wenn er durch das innere parenchymatöse
Gewebe hinabläuft. In beiden Fällen ist es merkwürdig, dasz der
Impuls im Stande ist, in zehn Secunden durch so viele Scheidewände
nahezu die ganze Länge des Stiels hinabzugehen und auf die Beugungs-
stelle zu wirken. Warum der Impuls, nachdem er einen der äuszer-
sten randständigen Tentakeln (von ungefähr Zoll Länge) so schnell
hinabgelaufen ist, niemals, so weit ich es gesehen habe, die angren-
zenden Tentakeln afficirt, verstehe ich nicht. Es kann vielleicht zum
Theil dadurch erklärt werden, dasz bei der Schnelligkeit der Über-
mittelung viel Energie verwandt worden ist.

Die meisten Zellen der Scheiben, sowohl die oberflächlichen als
auch die gröszeren Zellen, welche die darunterliegenden fünf oder
sechs Schichten bilden, sind ungefähr viermal so breit wie lang. Sie
sind beinahe longitudinal angeordnet, vom Stiele strahlenförmig aus-
gehend. Wenn daher der motorische Impuls quer über die Scheibe
gesandt wird, so hat er nahezu viermal so viel Zellwandungen zu
durchsetzen, wie wenn er in einer Längsrichtung übermittelt wird; er
wird daher im erstern Falle bedeutend aufgehalten werden. Die Zellen
der Scheibe convergiren nach den Basen der Tentakeln zu und sind
daher geeignet, ihnen den motorischen Impuls von allen Seiten her
zuzuführen. Im Ganzen wirft die Anordnung und die Form der Zellen,
sowohl derjenigen der Scheibe als auch der der Tentakeln, viel Licht
auf die Geschwindigkeit und Verbreitungsweise des motorischen Im-

5 Videnskabelige Meddelelser fra de naturhist. Forening; Kopenhagen, 1872,
Nr. 10—12. Holzschnitt IV und V.
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[229/0243] Cap. 10. Die leitenden Gewebe. er auf der Scheibe nach allen Seiten ausstrahlt. Aber abgesehen von dieser Einschränkung, sind die äuszeren Zellen der Tentakeln völlig zweimal so lang wie diejenigen der Scheibe, so dasz auf eine ge- gebene Länge eines Tentakels nur die halbe Anzahl von queren Scheidewänden kommt, welche zu durchsetzen sind, im Vergleich mit einem gleich groszen Raum auf der Scheibe; in demselben Verhältnis wird auch eine geringere Verlangsamung des Impulses eintreten. Überdies weisen Durchschnitte der äuszeren Tentakeln, welche Dr. War- ming mitgetheilt hat 5, nach, dasz die parenchymatösen Zellen noch mehr verlängert sind; und diese würden die allerdirecteste Communi- cationsbahn von der Drüse nach der Beugungsstelle des Tentakels hin sein. Wenn der Impuls die äuszeren Zellen hinabgeht, so würde er zwischen zwanzig und dreiszig Zellscheidewände zu durchsetzen haben, dagegen etwas weniger, wenn er durch das innere parenchymatöse Gewebe hinabläuft. In beiden Fällen ist es merkwürdig, dasz der Impuls im Stande ist, in zehn Secunden durch so viele Scheidewände nahezu die ganze Länge des Stiels hinabzugehen und auf die Beugungs- stelle zu wirken. Warum der Impuls, nachdem er einen der äuszer- sten randständigen Tentakeln (von ungefähr [FORMEL] Zoll Länge) so schnell hinabgelaufen ist, niemals, so weit ich es gesehen habe, die angren- zenden Tentakeln afficirt, verstehe ich nicht. Es kann vielleicht zum Theil dadurch erklärt werden, dasz bei der Schnelligkeit der Über- mittelung viel Energie verwandt worden ist. Die meisten Zellen der Scheiben, sowohl die oberflächlichen als auch die gröszeren Zellen, welche die darunterliegenden fünf oder sechs Schichten bilden, sind ungefähr viermal so breit wie lang. Sie sind beinahe longitudinal angeordnet, vom Stiele strahlenförmig aus- gehend. Wenn daher der motorische Impuls quer über die Scheibe gesandt wird, so hat er nahezu viermal so viel Zellwandungen zu durchsetzen, wie wenn er in einer Längsrichtung übermittelt wird; er wird daher im erstern Falle bedeutend aufgehalten werden. Die Zellen der Scheibe convergiren nach den Basen der Tentakeln zu und sind daher geeignet, ihnen den motorischen Impuls von allen Seiten her zuzuführen. Im Ganzen wirft die Anordnung und die Form der Zellen, sowohl derjenigen der Scheibe als auch der der Tentakeln, viel Licht auf die Geschwindigkeit und Verbreitungsweise des motorischen Im- 5 Videnskabelige Meddelelser fra de naturhist. Forening; Kopenhagen, 1872, Nr. 10—12. Holzschnitt IV und V.

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Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/243>, abgerufen am 02.05.2024.