Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

Drosera rotundifolia. Cap. 10.
Tentakeln leichter und wirksamer in einer Längs- als in einer Quer-
Richtung übermittelt wird.

So lange die Drüsen erregt bleiben, und dies kann viele Tage
lang andauern, selbst elf Tage, so z. B. wenn sie mit phosphorsaurem
Kalk in Berührung sind, übermitteln sie beständig einen motorischen
Impuls den basalen und sich biegenden Theilen ihrer eigenen Stiele,
denn sonst würden sie sich ja wieder ausbreiten. Der grosze Unter-
schied in der Länge der Zeit, während welcher Tentakeln über anor-
ganischen Körpern und über Gegenständen derselben Grösze, welche
lösliche stickstoffhaltige Substanzen enthalten, eingebogen bleiben,
beweist die nämliche Thatsache. Aber die Intensität des von einer
gereizten Drüse ausgesandten Impulses, welche angefangen hat, ihr
saures Secret zu ergieszen, und zu gleicher Zeit absorbirt, scheint
sehr gering zu sein im Vergleich zu dem Impuls, den sie übermittelt,
wenn sie zuerst gereizt wird. So z. B., wenn mäszig grosze Stück-
chen Fleisch auf eine Seite der Scheibe gelegt wurden, und die
scheiben- und halbrandständigen Tentakeln auf der entgegengesetzten
Seite wurden eingebogen, so dasz ihre Drüsen zuletzt das Fleisch be-
rührten und Substanz aus ihm aufsaugten, so übersandten sie keinen
motorischen Impuls an die äuszeren Reihen von Tentakeln auf der-
selben Seite; denn diese wurden niemals eingebogen. Wenn indessen
Fleisch auf die Drüsen dieser nämlichen Tentakeln gelegt worden
wäre, ehe sie angefangen hatten, reichlich abzusondern und zu absor-
biren, so würden sie unzweifelhaft auch die äuszeren Reihen afficirt
haben. Trotzdem, wenn ich etwas phosphorsauren Kalk, welcher ein
äuszerst wirksames Reizmittel ist, mehreren halbrandständigen Ten-
takeln gab, welche bereits beträchtlich eingebogen, aber noch nicht
in Berührung waren mit etwas Phosphat, was vorher auf zwei Drü-
sen in dem Centrum der Scheibe gelegt worden war, so trat doch
eine Wirkung auf die äuszeren Tentakeln auf derselben Seite ein.

Wenn eine Drüse zuerst gereizt wird, wird der motorische Im-
puls innerhalb weniger Secunden entladen, wie wir aus dem Biegen
der Tentakeln erkennen; und er scheint zuerst mit viel gröszerer Kraft
entladen zu werden als später. So wurde in dem oben angeführten
Falle, wo eine kleine Fliege von einigen wenigen Drüsen auf einer
Seite des Blattes auf natürliche Weise gefangen worden war, ein
Impuls langsam von jenen aus quer durch die ganze Breite des Blattes
ausgesandt, welcher die entgegengesetzten Tentakeln zeitweilig sich

Drosera rotundifolia. Cap. 10.
Tentakeln leichter und wirksamer in einer Längs- als in einer Quer-
Richtung übermittelt wird.

So lange die Drüsen erregt bleiben, und dies kann viele Tage
lang andauern, selbst elf Tage, so z. B. wenn sie mit phosphorsaurem
Kalk in Berührung sind, übermitteln sie beständig einen motorischen
Impuls den basalen und sich biegenden Theilen ihrer eigenen Stiele,
denn sonst würden sie sich ja wieder ausbreiten. Der grosze Unter-
schied in der Länge der Zeit, während welcher Tentakeln über anor-
ganischen Körpern und über Gegenständen derselben Grösze, welche
lösliche stickstoffhaltige Substanzen enthalten, eingebogen bleiben,
beweist die nämliche Thatsache. Aber die Intensität des von einer
gereizten Drüse ausgesandten Impulses, welche angefangen hat, ihr
saures Secret zu ergieszen, und zu gleicher Zeit absorbirt, scheint
sehr gering zu sein im Vergleich zu dem Impuls, den sie übermittelt,
wenn sie zuerst gereizt wird. So z. B., wenn mäszig grosze Stück-
chen Fleisch auf eine Seite der Scheibe gelegt wurden, und die
scheiben- und halbrandständigen Tentakeln auf der entgegengesetzten
Seite wurden eingebogen, so dasz ihre Drüsen zuletzt das Fleisch be-
rührten und Substanz aus ihm aufsaugten, so übersandten sie keinen
motorischen Impuls an die äuszeren Reihen von Tentakeln auf der-
selben Seite; denn diese wurden niemals eingebogen. Wenn indessen
Fleisch auf die Drüsen dieser nämlichen Tentakeln gelegt worden
wäre, ehe sie angefangen hatten, reichlich abzusondern und zu absor-
biren, so würden sie unzweifelhaft auch die äuszeren Reihen afficirt
haben. Trotzdem, wenn ich etwas phosphorsauren Kalk, welcher ein
äuszerst wirksames Reizmittel ist, mehreren halbrandständigen Ten-
takeln gab, welche bereits beträchtlich eingebogen, aber noch nicht
in Berührung waren mit etwas Phosphat, was vorher auf zwei Drü-
sen in dem Centrum der Scheibe gelegt worden war, so trat doch
eine Wirkung auf die äuszeren Tentakeln auf derselben Seite ein.

Wenn eine Drüse zuerst gereizt wird, wird der motorische Im-
puls innerhalb weniger Secunden entladen, wie wir aus dem Biegen
der Tentakeln erkennen; und er scheint zuerst mit viel gröszerer Kraft
entladen zu werden als später. So wurde in dem oben angeführten
Falle, wo eine kleine Fliege von einigen wenigen Drüsen auf einer
Seite des Blattes auf natürliche Weise gefangen worden war, ein
Impuls langsam von jenen aus quer durch die ganze Breite des Blattes
ausgesandt, welcher die entgegengesetzten Tentakeln zeitweilig sich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0232" n="218"/><fw place="top" type="header">Drosera rotundifolia. Cap. 10.</fw><lb/>
Tentakeln leichter und wirksamer in einer Längs- als in einer Quer-<lb/>
Richtung übermittelt wird.</p><lb/>
        <p>So lange die Drüsen erregt bleiben, und dies kann viele Tage<lb/>
lang andauern, selbst elf Tage, so z. B. wenn sie mit phosphorsaurem<lb/>
Kalk in Berührung sind, übermitteln sie beständig einen motorischen<lb/>
Impuls den basalen und sich biegenden Theilen ihrer eigenen Stiele,<lb/>
denn sonst würden sie sich ja wieder ausbreiten. Der grosze Unter-<lb/>
schied in der Länge der Zeit, während welcher Tentakeln über anor-<lb/>
ganischen Körpern und über Gegenständen derselben Grösze, welche<lb/>
lösliche stickstoffhaltige Substanzen enthalten, eingebogen bleiben,<lb/>
beweist die nämliche Thatsache. Aber die Intensität des von einer<lb/>
gereizten Drüse ausgesandten Impulses, welche angefangen hat, ihr<lb/>
saures Secret zu ergieszen, und zu gleicher Zeit absorbirt, scheint<lb/>
sehr gering zu sein im Vergleich zu dem Impuls, den sie übermittelt,<lb/>
wenn sie zuerst gereizt wird. So z. B., wenn mäszig grosze Stück-<lb/>
chen Fleisch auf eine Seite der Scheibe gelegt wurden, und die<lb/>
scheiben- und halbrandständigen Tentakeln auf der entgegengesetzten<lb/>
Seite wurden eingebogen, so dasz ihre Drüsen zuletzt das Fleisch be-<lb/>
rührten und Substanz aus ihm aufsaugten, so übersandten sie keinen<lb/>
motorischen Impuls an die äuszeren Reihen von Tentakeln auf der-<lb/>
selben Seite; denn diese wurden niemals eingebogen. Wenn indessen<lb/>
Fleisch auf die Drüsen dieser nämlichen Tentakeln gelegt worden<lb/>
wäre, ehe sie angefangen hatten, reichlich abzusondern und zu absor-<lb/>
biren, so würden sie unzweifelhaft auch die äuszeren Reihen afficirt<lb/>
haben. Trotzdem, wenn ich etwas phosphorsauren Kalk, welcher ein<lb/>
äuszerst wirksames Reizmittel ist, mehreren halbrandständigen Ten-<lb/>
takeln gab, welche bereits beträchtlich eingebogen, aber noch nicht<lb/>
in Berührung waren mit etwas Phosphat, was vorher auf zwei Drü-<lb/>
sen in dem Centrum der Scheibe gelegt worden war, so trat doch<lb/>
eine Wirkung auf die äuszeren Tentakeln auf derselben Seite ein.</p><lb/>
        <p>Wenn eine Drüse zuerst gereizt wird, wird der motorische Im-<lb/>
puls innerhalb weniger Secunden entladen, wie wir aus dem Biegen<lb/>
der Tentakeln erkennen; und er scheint zuerst mit viel gröszerer Kraft<lb/>
entladen zu werden als später. So wurde in dem oben angeführten<lb/>
Falle, wo eine kleine Fliege von einigen wenigen Drüsen auf einer<lb/>
Seite des Blattes auf natürliche Weise gefangen worden war, ein<lb/>
Impuls langsam von jenen aus quer durch die ganze Breite des Blattes<lb/>
ausgesandt, welcher die entgegengesetzten Tentakeln zeitweilig sich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[218/0232] Drosera rotundifolia. Cap. 10. Tentakeln leichter und wirksamer in einer Längs- als in einer Quer- Richtung übermittelt wird. So lange die Drüsen erregt bleiben, und dies kann viele Tage lang andauern, selbst elf Tage, so z. B. wenn sie mit phosphorsaurem Kalk in Berührung sind, übermitteln sie beständig einen motorischen Impuls den basalen und sich biegenden Theilen ihrer eigenen Stiele, denn sonst würden sie sich ja wieder ausbreiten. Der grosze Unter- schied in der Länge der Zeit, während welcher Tentakeln über anor- ganischen Körpern und über Gegenständen derselben Grösze, welche lösliche stickstoffhaltige Substanzen enthalten, eingebogen bleiben, beweist die nämliche Thatsache. Aber die Intensität des von einer gereizten Drüse ausgesandten Impulses, welche angefangen hat, ihr saures Secret zu ergieszen, und zu gleicher Zeit absorbirt, scheint sehr gering zu sein im Vergleich zu dem Impuls, den sie übermittelt, wenn sie zuerst gereizt wird. So z. B., wenn mäszig grosze Stück- chen Fleisch auf eine Seite der Scheibe gelegt wurden, und die scheiben- und halbrandständigen Tentakeln auf der entgegengesetzten Seite wurden eingebogen, so dasz ihre Drüsen zuletzt das Fleisch be- rührten und Substanz aus ihm aufsaugten, so übersandten sie keinen motorischen Impuls an die äuszeren Reihen von Tentakeln auf der- selben Seite; denn diese wurden niemals eingebogen. Wenn indessen Fleisch auf die Drüsen dieser nämlichen Tentakeln gelegt worden wäre, ehe sie angefangen hatten, reichlich abzusondern und zu absor- biren, so würden sie unzweifelhaft auch die äuszeren Reihen afficirt haben. Trotzdem, wenn ich etwas phosphorsauren Kalk, welcher ein äuszerst wirksames Reizmittel ist, mehreren halbrandständigen Ten- takeln gab, welche bereits beträchtlich eingebogen, aber noch nicht in Berührung waren mit etwas Phosphat, was vorher auf zwei Drü- sen in dem Centrum der Scheibe gelegt worden war, so trat doch eine Wirkung auf die äuszeren Tentakeln auf derselben Seite ein. Wenn eine Drüse zuerst gereizt wird, wird der motorische Im- puls innerhalb weniger Secunden entladen, wie wir aus dem Biegen der Tentakeln erkennen; und er scheint zuerst mit viel gröszerer Kraft entladen zu werden als später. So wurde in dem oben angeführten Falle, wo eine kleine Fliege von einigen wenigen Drüsen auf einer Seite des Blattes auf natürliche Weise gefangen worden war, ein Impuls langsam von jenen aus quer durch die ganze Breite des Blattes ausgesandt, welcher die entgegengesetzten Tentakeln zeitweilig sich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/232
Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/232>, abgerufen am 03.05.2024.