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Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876.

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Cap. 9. Zusammenfassung des Capitels.
Digitalin und Blausäure Einbiegung durch Einwirkung auf Elemente
verursachen, welche in keiner Weise den Nervenzellen der Thiere
analog sind. Wenn Elemente dieser letzteren Natur in den Blättern
vorhanden gewesen wären, so hätte man erwarten können, dasz Mor-
phium, Hyoscyamus, Atropin, Veratrin, Colchicin, Curare und ver-
dünnter Alkohol eine irgendwie ausgesprochene Wirkung hervor-
gebracht haben würden, während diese Substanzen nicht giftig sind
und das Vermögen, Einbiegung zu verursachen, gar nicht oder nur
in einem sehr unbedeutenden Grade besitzen. Es ist indesz zu beach-
ten, dasz Curare, Colchicin und Veratrin Muskelgifte sind, d. h. dasz
sie auf Nerven wirken, welche in irgend einer speciellen Beziehung
zu Muskeln stehn, so dasz man daher nicht erwarten konnte, dasz
sie auf Drosera wirkten. Das Gift der Brillenschlange ist für Thiere
äuszerst tödtlich, dadurch dasz es die Nervencentren lähmt7, für
Drosera ist es aber nicht im mindesten tödtlich, wenngleich es schnell
starke Einbiegung verursacht.

Trotz der vorstehend mitgetheilten Thatsachen, welche zeigen,
wie weit von einander verschieden die Wirkung gewisser Substanzen
auf die Gesundheit oder das Leben von Thieren und von Drosera ist,
so besteht doch ein gewisser Grad von Parallelismus in der Wirkung
gewisser anderer Substanzen. Wir haben gesehen, dasz dies in einer
auffallenden Weise für die Natron- und Kali-Salze gilt. Ferner sind
verschiedene metallische Salze und Säuren, nämlich die von Silber,
Quecksilber, Gold, Zinn, Arsenik, Chrom, Kupfer und Platin, von
denen die meisten oder alle für Thiere in hohem Grade giftig sind,
in gleicher Weise auch für Drosera giftig. Es ist aber eine eigen-
thümliche Thatsache, dasz das Chlorblei und zwei Barytsalze für
diese Pflanze nicht giftig sind. Es ist eine in gleicher Weise befrem-
dende Thatsache, dasz, obgleich Essig- und Propionsäure in hohem
Grade giftig sind, die ihnen verwandte Ameisensäure dies nicht ist,
und dasz, während gewisse vegetabilische Säuren, nämlich Oxalsäure,
Benzoesäure u. s. w. in einem hohen Grade giftig sind, Gallus-, Tan-
nin-, Weinstein- und Äpfelsäure (alle in einem gleichen Grade ver-
dünnt) dies nicht sind. Äpfelsäure veranlaszt Einbiegung, während
die drei andern oben genannten Pflanzensäuren dies Vermögen nicht
besitzen. Es würde aber eine vollständige Pharmacopöe erfordern,

7 Dr. Fayrer, The Thanatophidia of India, 1871. p. 4.

Cap. 9. Zusammenfassung des Capitels.
Digitalin und Blausäure Einbiegung durch Einwirkung auf Elemente
verursachen, welche in keiner Weise den Nervenzellen der Thiere
analog sind. Wenn Elemente dieser letzteren Natur in den Blättern
vorhanden gewesen wären, so hätte man erwarten können, dasz Mor-
phium, Hyoscyamus, Atropin, Veratrin, Colchicin, Curare und ver-
dünnter Alkohol eine irgendwie ausgesprochene Wirkung hervor-
gebracht haben würden, während diese Substanzen nicht giftig sind
und das Vermögen, Einbiegung zu verursachen, gar nicht oder nur
in einem sehr unbedeutenden Grade besitzen. Es ist indesz zu beach-
ten, dasz Curare, Colchicin und Veratrin Muskelgifte sind, d. h. dasz
sie auf Nerven wirken, welche in irgend einer speciellen Beziehung
zu Muskeln stehn, so dasz man daher nicht erwarten konnte, dasz
sie auf Drosera wirkten. Das Gift der Brillenschlange ist für Thiere
äuszerst tödtlich, dadurch dasz es die Nervencentren lähmt7, für
Drosera ist es aber nicht im mindesten tödtlich, wenngleich es schnell
starke Einbiegung verursacht.

Trotz der vorstehend mitgetheilten Thatsachen, welche zeigen,
wie weit von einander verschieden die Wirkung gewisser Substanzen
auf die Gesundheit oder das Leben von Thieren und von Drosera ist,
so besteht doch ein gewisser Grad von Parallelismus in der Wirkung
gewisser anderer Substanzen. Wir haben gesehen, dasz dies in einer
auffallenden Weise für die Natron- und Kali-Salze gilt. Ferner sind
verschiedene metallische Salze und Säuren, nämlich die von Silber,
Quecksilber, Gold, Zinn, Arsenik, Chrom, Kupfer und Platin, von
denen die meisten oder alle für Thiere in hohem Grade giftig sind,
in gleicher Weise auch für Drosera giftig. Es ist aber eine eigen-
thümliche Thatsache, dasz das Chlorblei und zwei Barytsalze für
diese Pflanze nicht giftig sind. Es ist eine in gleicher Weise befrem-
dende Thatsache, dasz, obgleich Essig- und Propionsäure in hohem
Grade giftig sind, die ihnen verwandte Ameisensäure dies nicht ist,
und dasz, während gewisse vegetabilische Säuren, nämlich Oxalsäure,
Benzoësäure u. s. w. in einem hohen Grade giftig sind, Gallus-, Tan-
nin-, Weinstein- und Äpfelsäure (alle in einem gleichen Grade ver-
dünnt) dies nicht sind. Äpfelsäure veranlaszt Einbiegung, während
die drei andern oben genannten Pflanzensäuren dies Vermögen nicht
besitzen. Es würde aber eine vollständige Pharmacopöe erfordern,

7 Dr. Fayrer, The Thanatophidia of India, 1871. p. 4.
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[203/0217] Cap. 9. Zusammenfassung des Capitels. Digitalin und Blausäure Einbiegung durch Einwirkung auf Elemente verursachen, welche in keiner Weise den Nervenzellen der Thiere analog sind. Wenn Elemente dieser letzteren Natur in den Blättern vorhanden gewesen wären, so hätte man erwarten können, dasz Mor- phium, Hyoscyamus, Atropin, Veratrin, Colchicin, Curare und ver- dünnter Alkohol eine irgendwie ausgesprochene Wirkung hervor- gebracht haben würden, während diese Substanzen nicht giftig sind und das Vermögen, Einbiegung zu verursachen, gar nicht oder nur in einem sehr unbedeutenden Grade besitzen. Es ist indesz zu beach- ten, dasz Curare, Colchicin und Veratrin Muskelgifte sind, d. h. dasz sie auf Nerven wirken, welche in irgend einer speciellen Beziehung zu Muskeln stehn, so dasz man daher nicht erwarten konnte, dasz sie auf Drosera wirkten. Das Gift der Brillenschlange ist für Thiere äuszerst tödtlich, dadurch dasz es die Nervencentren lähmt 7, für Drosera ist es aber nicht im mindesten tödtlich, wenngleich es schnell starke Einbiegung verursacht. Trotz der vorstehend mitgetheilten Thatsachen, welche zeigen, wie weit von einander verschieden die Wirkung gewisser Substanzen auf die Gesundheit oder das Leben von Thieren und von Drosera ist, so besteht doch ein gewisser Grad von Parallelismus in der Wirkung gewisser anderer Substanzen. Wir haben gesehen, dasz dies in einer auffallenden Weise für die Natron- und Kali-Salze gilt. Ferner sind verschiedene metallische Salze und Säuren, nämlich die von Silber, Quecksilber, Gold, Zinn, Arsenik, Chrom, Kupfer und Platin, von denen die meisten oder alle für Thiere in hohem Grade giftig sind, in gleicher Weise auch für Drosera giftig. Es ist aber eine eigen- thümliche Thatsache, dasz das Chlorblei und zwei Barytsalze für diese Pflanze nicht giftig sind. Es ist eine in gleicher Weise befrem- dende Thatsache, dasz, obgleich Essig- und Propionsäure in hohem Grade giftig sind, die ihnen verwandte Ameisensäure dies nicht ist, und dasz, während gewisse vegetabilische Säuren, nämlich Oxalsäure, Benzoësäure u. s. w. in einem hohen Grade giftig sind, Gallus-, Tan- nin-, Weinstein- und Äpfelsäure (alle in einem gleichen Grade ver- dünnt) dies nicht sind. Äpfelsäure veranlaszt Einbiegung, während die drei andern oben genannten Pflanzensäuren dies Vermögen nicht besitzen. Es würde aber eine vollständige Pharmacopöe erfordern, 7 Dr. Fayrer, The Thanatophidia of India, 1871. p. 4.

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Zitationshilfe: Darwin, Charles: Insectenfressende Pflanzen. Übers. v. Julius Victor Carus. Stuttgart, 1876, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/darwin_pflanzen_1876/217>, abgerufen am 02.05.2024.