Engel: vnter sich die Thier vnd alle Creaturen: neben sich das Paradis den Garten Eden/ darin eitel Frewd vnd Wollust gewesen/ Summa er war vnd hatte/ was sein Hertz ziemender Weiß wünschen möchte: was jener Heyd Seneca von der Tugend schreibt/ wann man sie mit leiblichen Augen sehen könte/ jederman müste sich in jhrer Schöne verlieben; das ist vielmehr von diesem Ebenbilde war.
Seneca ep. 115.Si nobis boni viri animum liceret inspicere; o quam pulchram fa- ciem, quam sanctam, quam ex magnifico placidoque fulgentem videre- mus? hinc justitia, illinc fortitudine, hinc temperantia, prudentiaque lu- centibus. Praeter has frugalitas, & continentia, & tolerantia, & libertas comitasque & (quis credat?) in homine rarum humanitas bonum, splen- dorem illi suum affunderent, tum providentia, tum elegantia, & ex istis magnanimitas eminentissima, quantum, dii boni, decoris illi, quantum ponderis gravitatisque adderent? quanta esset cum gratia auctoritas? Nemo illam amabilem, qui non simul venerabilem diceret. Si quis vide- rit hanc faciem altiorem fulgentioremque, quam cerni inter humana consuevit, nonne velut numimis Occursu obstupefactus resistat, & ut fas sit vidisse, tacitus precetur?
Aber ach Adam was hastu gethan? Ach Eva was hastu gedacht/ daß du dich vnd vns vmb solchen schönen Krantz/ vmb solchen hohen Adel/ vmb solch köstlich Kleinod gebracht/ vnnd gemacht/ daß wir anietzo als Banditen verjagt in diesem Jammer- vnnd Thränenthal zusammen schreyen vnd heulen müssen: Durch Adams Fall ist gantz verderbt/ menschlich Natur vnd Wesen; dasselb Gifft ist auff vns geerbt/ daß wir nicht konten genesen/ etc. Vor dem Fall war der Mensch Gottes Augenlust; was ist er ietzt? ein garstiger Wust. Zuvor war er der Engel Gesell; was ietz? jhr Grewel. Zuvor war er ein Herr über die wilden Thier; was ietz? jhr Raub vnd Aaß: vorhin musten die Thier/ von jhm lernen; ietz lernet er von den Thieren/ wie dann viel Künst vnd Wissen- schafft durch die vnvernünfftigen Thier geoffenbaret worden. David gehet 2. Sam. 15, 23. 30. c. 13, 19.über den Bach Kidron/ vnd beweinet seinen Sturtz vom Königreich; Tha- mar beweinet jhren verschertzten Ehrenkrantz; Ein Blinder betraurt sein verlohren Gesicht; der Krancke die entflogene Gesundheit; wie viel mehr ha- ben wir Adams Söhne vnd Evae Kinder zu klagen vnd zu jammern/ daß wir das schöne Ebenbild Gottes/ das güldene Stuck/ den vnwiderbringli- chen Schatz verlohren haben: vmb so viel mehr soll vns angelegen seyn die Sorge der Widererstattung deß verlustigten Schmucks. Wir mögen wol
wehe-
Die Dreyzehende
Engel: vnter ſich die Thier vnd alle Creaturen: neben ſich das Paradis den Garten Eden/ darin eitel Frewd vnd Wolluſt geweſen/ Sum̃a er war vnd hatte/ was ſein Hertz ziemender Weiß wuͤnſchen moͤchte: was jener Heyd Seneca von der Tugend ſchreibt/ wann man ſie mit leiblichen Augen ſehen koͤnte/ jederman muͤſte ſich in jhrer Schoͤne verlieben; das iſt vielmehr von dieſem Ebenbilde war.
Seneca ep. 115.Si nobis boni viri animum liceret inſpicere; o quam pulchram fa- ciem, quam ſanctam, quam ex magnifico placidoque fulgentem videre- mus? hinc juſtitia, illinc fortitudine, hinc temperantia, prudentiaque lu- centibus. Præter has frugalitas, & continentia, & tolerantia, & libertas comitaſque & (quis credat?) in homine rarum humanitas bonum, ſplen- dorem illi ſuum affunderent, tum providentia, tum elegantia, & ex iſtis magnanimitas eminentiſſima, quantum, dii boni, decoris illi, quantum ponderis gravitatiſque adderent? quanta eſſet cum gratia auctoritas? Nemo illam amabilem, qui non ſimul venerabilem diceret. Si quis vide- rit hanc faciem altiorem fulgentioremque, quam cerni inter humana conſuevit, nonne velut numimis Occurſu obſtupefactus reſiſtat, & ut fas ſit vidiſſe, tacitus precetur?
Aber ach Adam was haſtu gethan? Ach Eva was haſtu gedacht/ daß du dich vnd vns vmb ſolchen ſchoͤnen Krantz/ vmb ſolchen hohen Adel/ vmb ſolch koͤſtlich Kleinod gebracht/ vnnd gemacht/ daß wir anietzo als Banditen verjagt in dieſem Jammer- vnnd Thraͤnenthal zuſammen ſchreyen vnd heulen muͤſſen: Durch Adams Fall iſt gantz verderbt/ menſchlich Natur vnd Weſen; daſſelb Gifft iſt auff vns geerbt/ daß wir nicht konten geneſen/ etc. Vor dem Fall war der Menſch Gottes Augenluſt; was iſt er ietzt? ein garſtiger Wuſt. Zuvor war er der Engel Geſell; was ietz? jhr Grewel. Zuvor war er ein Herr uͤber die wilden Thier; was ietz? jhr Raub vnd Aaß: vorhin muſten die Thier/ von jhm lernen; ietz lernet er von den Thieren/ wie dann viel Kuͤnſt vnd Wiſſen- ſchafft durch die vnvernuͤnfftigen Thier geoffenbaret worden. David gehet 2. Sam. 15, 23. 30. c. 13, 19.uͤber den Bach Kidron/ vnd beweinet ſeinen Sturtz vom Koͤnigreich; Tha- mar beweinet jhren verſchertzten Ehrenkrantz; Ein Blinder betraurt ſein verlohren Geſicht; der Krancke die entflogene Geſundheit; wie viel mehr ha- ben wir Adams Soͤhne vnd Evæ Kinder zu klagen vnd zu jammern/ daß wir das ſchoͤne Ebenbild Gottes/ das guͤldene Stuck/ den vnwiderbringli- chen Schatz verlohren haben: vmb ſo viel mehr ſoll vns angelegen ſeyn die Sorge der Widererſtattung deß verluſtigten Schmucks. Wir moͤgen wol
wehe-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0388"n="370"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Die Dreyzehende</hi></fw><lb/>
Engel: vnter ſich die Thier vnd alle Creaturen: neben ſich das Paradis<lb/>
den Garten Eden/ darin eitel Frewd vnd Wolluſt geweſen/ Sum̃a er war<lb/>
vnd hatte/ was ſein Hertz ziemender Weiß wuͤnſchen moͤchte: was jener<lb/>
Heyd <hirendition="#aq">Seneca</hi> von der Tugend ſchreibt/ wann man ſie mit leiblichen Augen<lb/>ſehen koͤnte/ jederman muͤſte ſich in jhrer Schoͤne verlieben; das iſt vielmehr<lb/>
von dieſem Ebenbilde war.</p><lb/><noteplace="left"><hirendition="#aq">Seneca ep.</hi><lb/>
115.</note><cit><quote><hirendition="#aq">Si nobis boni viri animum liceret inſpicere; o quam pulchram fa-<lb/>
ciem, quam ſanctam, quam ex magnifico placidoque fulgentem videre-<lb/>
mus? hinc juſtitia, illinc fortitudine, hinc temperantia, prudentiaque lu-<lb/>
centibus. Præter has frugalitas, & continentia, & tolerantia, & libertas<lb/>
comitaſque & (quis credat?) in homine rarum humanitas bonum, ſplen-<lb/>
dorem illi ſuum affunderent, tum providentia, tum elegantia, & ex iſtis<lb/>
magnanimitas eminentiſſima, quantum, dii boni, decoris illi, quantum<lb/>
ponderis gravitatiſque adderent? quanta eſſet cum gratia auctoritas?<lb/>
Nemo illam amabilem, qui non ſimul venerabilem diceret. Si quis vide-<lb/>
rit hanc faciem altiorem fulgentioremque, quam cerni inter humana<lb/>
conſuevit, nonne velut numimis Occurſu obſtupefactus reſiſtat, & ut<lb/>
fas ſit vidiſſe, tacitus precetur?</hi></quote><bibl/></cit><lb/><p>Aber ach Adam was haſtu gethan? Ach Eva was haſtu gedacht/<lb/>
daß du dich vnd vns vmb ſolchen ſchoͤnen Krantz/ vmb ſolchen hohen Adel/<lb/>
vmb ſolch koͤſtlich Kleinod gebracht/ vnnd gemacht/ daß wir anietzo als<lb/>
Banditen verjagt in dieſem Jammer- vnnd Thraͤnenthal zuſammen<lb/>ſchreyen vnd heulen muͤſſen: <hirendition="#fr">Durch Adams Fall iſt gantz verderbt/<lb/>
menſchlich Natur vnd Weſen; daſſelb Gifft iſt auff vns geerbt/<lb/>
daß wir nicht konten geneſen/ etc.</hi> Vor dem Fall war der Menſch<lb/>
Gottes Augenluſt; was iſt er ietzt? ein garſtiger Wuſt. Zuvor war er der<lb/>
Engel Geſell; was ietz? jhr Grewel. Zuvor war er ein Herr uͤber die wilden<lb/>
Thier; was ietz? jhr Raub vnd Aaß: vorhin muſten die Thier/ von jhm<lb/>
lernen; ietz lernet er von den Thieren/ wie dann viel Kuͤnſt vnd Wiſſen-<lb/>ſchafft durch die vnvernuͤnfftigen Thier geoffenbaret worden. David gehet<lb/><noteplace="left">2. <hirendition="#aq">Sam. 15,<lb/>
23. 30.<lb/>
c.</hi> 13, 19.</note>uͤber den Bach Kidron/ vnd beweinet ſeinen Sturtz vom Koͤnigreich; Tha-<lb/>
mar beweinet jhren verſchertzten Ehrenkrantz; Ein Blinder betraurt ſein<lb/>
verlohren Geſicht; der Krancke die entflogene Geſundheit; wie viel mehr ha-<lb/>
ben wir Adams Soͤhne vnd Ev<hirendition="#aq">æ</hi> Kinder zu klagen vnd zu jammern/ daß<lb/>
wir das ſchoͤne Ebenbild Gottes/ das guͤldene Stuck/ den vnwiderbringli-<lb/>
chen Schatz verlohren haben: vmb ſo viel mehr ſoll vns angelegen ſeyn die<lb/>
Sorge der Widererſtattung deß verluſtigten Schmucks. Wir moͤgen wol<lb/><fwplace="bottom"type="catch">wehe-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[370/0388]
Die Dreyzehende
Engel: vnter ſich die Thier vnd alle Creaturen: neben ſich das Paradis
den Garten Eden/ darin eitel Frewd vnd Wolluſt geweſen/ Sum̃a er war
vnd hatte/ was ſein Hertz ziemender Weiß wuͤnſchen moͤchte: was jener
Heyd Seneca von der Tugend ſchreibt/ wann man ſie mit leiblichen Augen
ſehen koͤnte/ jederman muͤſte ſich in jhrer Schoͤne verlieben; das iſt vielmehr
von dieſem Ebenbilde war.
Si nobis boni viri animum liceret inſpicere; o quam pulchram fa-
ciem, quam ſanctam, quam ex magnifico placidoque fulgentem videre-
mus? hinc juſtitia, illinc fortitudine, hinc temperantia, prudentiaque lu-
centibus. Præter has frugalitas, & continentia, & tolerantia, & libertas
comitaſque & (quis credat?) in homine rarum humanitas bonum, ſplen-
dorem illi ſuum affunderent, tum providentia, tum elegantia, & ex iſtis
magnanimitas eminentiſſima, quantum, dii boni, decoris illi, quantum
ponderis gravitatiſque adderent? quanta eſſet cum gratia auctoritas?
Nemo illam amabilem, qui non ſimul venerabilem diceret. Si quis vide-
rit hanc faciem altiorem fulgentioremque, quam cerni inter humana
conſuevit, nonne velut numimis Occurſu obſtupefactus reſiſtat, & ut
fas ſit vidiſſe, tacitus precetur?
Aber ach Adam was haſtu gethan? Ach Eva was haſtu gedacht/
daß du dich vnd vns vmb ſolchen ſchoͤnen Krantz/ vmb ſolchen hohen Adel/
vmb ſolch koͤſtlich Kleinod gebracht/ vnnd gemacht/ daß wir anietzo als
Banditen verjagt in dieſem Jammer- vnnd Thraͤnenthal zuſammen
ſchreyen vnd heulen muͤſſen: Durch Adams Fall iſt gantz verderbt/
menſchlich Natur vnd Weſen; daſſelb Gifft iſt auff vns geerbt/
daß wir nicht konten geneſen/ etc. Vor dem Fall war der Menſch
Gottes Augenluſt; was iſt er ietzt? ein garſtiger Wuſt. Zuvor war er der
Engel Geſell; was ietz? jhr Grewel. Zuvor war er ein Herr uͤber die wilden
Thier; was ietz? jhr Raub vnd Aaß: vorhin muſten die Thier/ von jhm
lernen; ietz lernet er von den Thieren/ wie dann viel Kuͤnſt vnd Wiſſen-
ſchafft durch die vnvernuͤnfftigen Thier geoffenbaret worden. David gehet
uͤber den Bach Kidron/ vnd beweinet ſeinen Sturtz vom Koͤnigreich; Tha-
mar beweinet jhren verſchertzten Ehrenkrantz; Ein Blinder betraurt ſein
verlohren Geſicht; der Krancke die entflogene Geſundheit; wie viel mehr ha-
ben wir Adams Soͤhne vnd Evæ Kinder zu klagen vnd zu jammern/ daß
wir das ſchoͤne Ebenbild Gottes/ das guͤldene Stuck/ den vnwiderbringli-
chen Schatz verlohren haben: vmb ſo viel mehr ſoll vns angelegen ſeyn die
Sorge der Widererſtattung deß verluſtigten Schmucks. Wir moͤgen wol
wehe-
2. Sam. 15,
23. 30.
c. 13, 19.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Dannhauer, Johann Conrad: Catechismus Milch. Bd. 4. Straßburg, 1653, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dannhauer_catechismus04_1653/388>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.