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Dannhauer, Johann Conrad: Catechismus Milch. Bd. 4. Straßburg, 1653.

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Die Dreyzehende
Engel: vnter sich die Thier vnd alle Creaturen: neben sich das Paradis
den Garten Eden/ darin eitel Frewd vnd Wollust gewesen/ Summa er war
vnd hatte/ was sein Hertz ziemender Weiß wünschen möchte: was jener
Heyd Seneca von der Tugend schreibt/ wann man sie mit leiblichen Augen
sehen könte/ jederman müste sich in jhrer Schöne verlieben; das ist vielmehr
von diesem Ebenbilde war.

Seneca ep.
115.
Si nobis boni viri animum liceret inspicere; o quam pulchram fa-
ciem, quam sanctam, quam ex magnifico placidoque fulgentem videre-
mus? hinc justitia, illinc fortitudine, hinc temperantia, prudentiaque lu-
centibus. Praeter has frugalitas, & continentia, & tolerantia, & libertas
comitasque & (quis credat?) in homine rarum humanitas bonum, splen-
dorem illi suum affunderent, tum providentia, tum elegantia, & ex istis
magnanimitas eminentissima, quantum, dii boni, decoris illi, quantum
ponderis gravitatisque adderent? quanta esset cum gratia auctoritas?
Nemo illam amabilem, qui non simul venerabilem diceret. Si quis vide-
rit hanc faciem altiorem fulgentioremque, quam cerni inter humana
consuevit, nonne velut numimis Occursu obstupefactus resistat, & ut
fas sit vidisse, tacitus precetur?

Aber ach Adam was hastu gethan? Ach Eva was hastu gedacht/
daß du dich vnd vns vmb solchen schönen Krantz/ vmb solchen hohen Adel/
vmb solch köstlich Kleinod gebracht/ vnnd gemacht/ daß wir anietzo als
Banditen verjagt in diesem Jammer- vnnd Thränenthal zusammen
schreyen vnd heulen müssen: Durch Adams Fall ist gantz verderbt/
menschlich Natur vnd Wesen; dasselb Gifft ist auff vns geerbt/
daß wir nicht konten genesen/ etc.
Vor dem Fall war der Mensch
Gottes Augenlust; was ist er ietzt? ein garstiger Wust. Zuvor war er der
Engel Gesell; was ietz? jhr Grewel. Zuvor war er ein Herr über die wilden
Thier; was ietz? jhr Raub vnd Aaß: vorhin musten die Thier/ von jhm
lernen; ietz lernet er von den Thieren/ wie dann viel Künst vnd Wissen-
schafft durch die vnvernünfftigen Thier geoffenbaret worden. David gehet
2. Sam. 15,
23. 30.
c.
13, 19.
über den Bach Kidron/ vnd beweinet seinen Sturtz vom Königreich; Tha-
mar beweinet jhren verschertzten Ehrenkrantz; Ein Blinder betraurt sein
verlohren Gesicht; der Krancke die entflogene Gesundheit; wie viel mehr ha-
ben wir Adams Söhne vnd Evae Kinder zu klagen vnd zu jammern/ daß
wir das schöne Ebenbild Gottes/ das güldene Stuck/ den vnwiderbringli-
chen Schatz verlohren haben: vmb so viel mehr soll vns angelegen seyn die
Sorge der Widererstattung deß verlustigten Schmucks. Wir mögen wol

wehe-

Die Dreyzehende
Engel: vnter ſich die Thier vnd alle Creaturen: neben ſich das Paradis
den Garten Eden/ darin eitel Frewd vnd Wolluſt geweſen/ Sum̃a er war
vnd hatte/ was ſein Hertz ziemender Weiß wuͤnſchen moͤchte: was jener
Heyd Seneca von der Tugend ſchreibt/ wann man ſie mit leiblichen Augen
ſehen koͤnte/ jederman muͤſte ſich in jhrer Schoͤne verlieben; das iſt vielmehr
von dieſem Ebenbilde war.

Seneca ep.
115.
Si nobis boni viri animum liceret inſpicere; o quam pulchram fa-
ciem, quam ſanctam, quam ex magnifico placidoque fulgentem videre-
mus? hinc juſtitia, illinc fortitudine, hinc temperantia, prudentiaque lu-
centibus. Præter has frugalitas, & continentia, & tolerantia, & libertas
comitaſque & (quis credat?) in homine rarum humanitas bonum, ſplen-
dorem illi ſuum affunderent, tum providentia, tum elegantia, & ex iſtis
magnanimitas eminentiſſima, quantum, dii boni, decoris illi, quantum
ponderis gravitatiſque adderent? quanta eſſet cum gratia auctoritas?
Nemo illam amabilem, qui non ſimul venerabilem diceret. Si quis vide-
rit hanc faciem altiorem fulgentioremque, quam cerni inter humana
conſuevit, nonne velut numimis Occurſu obſtupefactus reſiſtat, & ut
fas ſit vidiſſe, tacitus precetur?

Aber ach Adam was haſtu gethan? Ach Eva was haſtu gedacht/
daß du dich vnd vns vmb ſolchen ſchoͤnen Krantz/ vmb ſolchen hohen Adel/
vmb ſolch koͤſtlich Kleinod gebracht/ vnnd gemacht/ daß wir anietzo als
Banditen verjagt in dieſem Jammer- vnnd Thraͤnenthal zuſammen
ſchreyen vnd heulen muͤſſen: Durch Adams Fall iſt gantz verderbt/
menſchlich Natur vnd Weſen; daſſelb Gifft iſt auff vns geerbt/
daß wir nicht konten geneſen/ etc.
Vor dem Fall war der Menſch
Gottes Augenluſt; was iſt er ietzt? ein garſtiger Wuſt. Zuvor war er der
Engel Geſell; was ietz? jhr Grewel. Zuvor war er ein Herr uͤber die wilden
Thier; was ietz? jhr Raub vnd Aaß: vorhin muſten die Thier/ von jhm
lernen; ietz lernet er von den Thieren/ wie dann viel Kuͤnſt vnd Wiſſen-
ſchafft durch die vnvernuͤnfftigen Thier geoffenbaret worden. David gehet
2. Sam. 15,
23. 30.
c.
13, 19.
uͤber den Bach Kidron/ vnd beweinet ſeinen Sturtz vom Koͤnigreich; Tha-
mar beweinet jhren verſchertzten Ehrenkrantz; Ein Blinder betraurt ſein
verlohren Geſicht; der Krancke die entflogene Geſundheit; wie viel mehr ha-
ben wir Adams Soͤhne vnd Evæ Kinder zu klagen vnd zu jammern/ daß
wir das ſchoͤne Ebenbild Gottes/ das guͤldene Stuck/ den vnwiderbringli-
chen Schatz verlohren haben: vmb ſo viel mehr ſoll vns angelegen ſeyn die
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[370/0388] Die Dreyzehende Engel: vnter ſich die Thier vnd alle Creaturen: neben ſich das Paradis den Garten Eden/ darin eitel Frewd vnd Wolluſt geweſen/ Sum̃a er war vnd hatte/ was ſein Hertz ziemender Weiß wuͤnſchen moͤchte: was jener Heyd Seneca von der Tugend ſchreibt/ wann man ſie mit leiblichen Augen ſehen koͤnte/ jederman muͤſte ſich in jhrer Schoͤne verlieben; das iſt vielmehr von dieſem Ebenbilde war. Si nobis boni viri animum liceret inſpicere; o quam pulchram fa- ciem, quam ſanctam, quam ex magnifico placidoque fulgentem videre- mus? hinc juſtitia, illinc fortitudine, hinc temperantia, prudentiaque lu- centibus. Præter has frugalitas, & continentia, & tolerantia, & libertas comitaſque & (quis credat?) in homine rarum humanitas bonum, ſplen- dorem illi ſuum affunderent, tum providentia, tum elegantia, & ex iſtis magnanimitas eminentiſſima, quantum, dii boni, decoris illi, quantum ponderis gravitatiſque adderent? quanta eſſet cum gratia auctoritas? Nemo illam amabilem, qui non ſimul venerabilem diceret. Si quis vide- rit hanc faciem altiorem fulgentioremque, quam cerni inter humana conſuevit, nonne velut numimis Occurſu obſtupefactus reſiſtat, & ut fas ſit vidiſſe, tacitus precetur? Aber ach Adam was haſtu gethan? Ach Eva was haſtu gedacht/ daß du dich vnd vns vmb ſolchen ſchoͤnen Krantz/ vmb ſolchen hohen Adel/ vmb ſolch koͤſtlich Kleinod gebracht/ vnnd gemacht/ daß wir anietzo als Banditen verjagt in dieſem Jammer- vnnd Thraͤnenthal zuſammen ſchreyen vnd heulen muͤſſen: Durch Adams Fall iſt gantz verderbt/ menſchlich Natur vnd Weſen; daſſelb Gifft iſt auff vns geerbt/ daß wir nicht konten geneſen/ etc. Vor dem Fall war der Menſch Gottes Augenluſt; was iſt er ietzt? ein garſtiger Wuſt. Zuvor war er der Engel Geſell; was ietz? jhr Grewel. Zuvor war er ein Herr uͤber die wilden Thier; was ietz? jhr Raub vnd Aaß: vorhin muſten die Thier/ von jhm lernen; ietz lernet er von den Thieren/ wie dann viel Kuͤnſt vnd Wiſſen- ſchafft durch die vnvernuͤnfftigen Thier geoffenbaret worden. David gehet uͤber den Bach Kidron/ vnd beweinet ſeinen Sturtz vom Koͤnigreich; Tha- mar beweinet jhren verſchertzten Ehrenkrantz; Ein Blinder betraurt ſein verlohren Geſicht; der Krancke die entflogene Geſundheit; wie viel mehr ha- ben wir Adams Soͤhne vnd Evæ Kinder zu klagen vnd zu jammern/ daß wir das ſchoͤne Ebenbild Gottes/ das guͤldene Stuck/ den vnwiderbringli- chen Schatz verlohren haben: vmb ſo viel mehr ſoll vns angelegen ſeyn die Sorge der Widererſtattung deß verluſtigten Schmucks. Wir moͤgen wol wehe- 2. Sam. 15, 23. 30. c. 13, 19.

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Zitationshilfe: Dannhauer, Johann Conrad: Catechismus Milch. Bd. 4. Straßburg, 1653, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dannhauer_catechismus04_1653/388>, abgerufen am 27.11.2024.