Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite
Drittes Capitel.

73. Die Prälaten und großen Barone saßen in des
Königs Rath, parlement; sie bildeten den Gerichtshof
des Königs, curia regis, theils versammelt, theils die
Grafschaften durchreisend. Wenn Steuern noth sind, und
sie sind überall noth, wo nicht Provinzen, in der Römer
Art, aushelfen, bringen die reisenden Richter sie in den
einzelnen Grafschaften und Städten auf. Ausnahmsweise
wurden Deputirte aus den Grafschaften (Ritter von den
Einwohnern gewählt im J. 1254.) etwa zum Könige be-
rufen, um in Zeiten des Dranges Beisteuern zu geben.
Die Regel war eine Reihe von Privat-Verträgen. Es
gab noch keine steuerbewilligende Versammlung.

Im Jahre 1264 aber führten die großen Baronen
Krieg mit ihrem auf Ausländer bauenden Könige Hein-
rich III. wegen gekränkter Freiheit; der schwache König
fiel mit seinem Erben gefangen in des Grafen von Lei-
cesier, Simon von Montfort, Hände. Da beruft im
nächsten Jahre der Sieger, um die usurpirte Macht zu
sichern, Deputirte aus Grafschaften, Städten und Flecken
zur Parlaments-Versammlung. Diese Anordnung ward
dauernd, nachdem der aus der Gefangenschaft befreite
Königssohn die Krone wiederhergestellt hatte und als
Eduard I. herrschte.

Die neue Versammlung ward um der Steuern Willen
berufen, welche die Gemeinden, deren Organ die De-
putirten waren, bewilligen sollten. Sie erschienen nicht
aus persönlichem Rechte, wie die Mitglieder alter Volks-
versammlungen, und die Versammlung ihrer geistlichen und
weltlichen Lords. Kein Zweifel auch, daß sie an Aufträge
ihrer Wähler gebunden, erst im Verlaufe der Jahrhunderte
zu Vertretern, nach eigner freier Einsicht handelnd,
gediehen. Um so weniger ist es zu verwundern, daß die

Drittes Capitel.

73. Die Praͤlaten und großen Barone ſaßen in des
Koͤnigs Rath, parlement; ſie bildeten den Gerichtshof
des Koͤnigs, curia regis, theils verſammelt, theils die
Grafſchaften durchreiſend. Wenn Steuern noth ſind, und
ſie ſind uͤberall noth, wo nicht Provinzen, in der Roͤmer
Art, aushelfen, bringen die reiſenden Richter ſie in den
einzelnen Grafſchaften und Staͤdten auf. Ausnahmsweiſe
wurden Deputirte aus den Grafſchaften (Ritter von den
Einwohnern gewaͤhlt im J. 1254.) etwa zum Koͤnige be-
rufen, um in Zeiten des Dranges Beiſteuern zu geben.
Die Regel war eine Reihe von Privat-Vertraͤgen. Es
gab noch keine ſteuerbewilligende Verſammlung.

Im Jahre 1264 aber fuͤhrten die großen Baronen
Krieg mit ihrem auf Auslaͤnder bauenden Koͤnige Hein-
rich III. wegen gekraͤnkter Freiheit; der ſchwache Koͤnig
fiel mit ſeinem Erben gefangen in des Grafen von Lei-
ceſier, Simon von Montfort, Haͤnde. Da beruft im
naͤchſten Jahre der Sieger, um die uſurpirte Macht zu
ſichern, Deputirte aus Grafſchaften, Staͤdten und Flecken
zur Parlaments-Verſammlung. Dieſe Anordnung ward
dauernd, nachdem der aus der Gefangenſchaft befreite
Koͤnigsſohn die Krone wiederhergeſtellt hatte und als
Eduard I. herrſchte.

Die neue Verſammlung ward um der Steuern Willen
berufen, welche die Gemeinden, deren Organ die De-
putirten waren, bewilligen ſollten. Sie erſchienen nicht
aus perſoͤnlichem Rechte, wie die Mitglieder alter Volks-
verſammlungen, und die Verſammlung ihrer geiſtlichen und
weltlichen Lords. Kein Zweifel auch, daß ſie an Auftraͤge
ihrer Waͤhler gebunden, erſt im Verlaufe der Jahrhunderte
zu Vertretern, nach eigner freier Einſicht handelnd,
gediehen. Um ſo weniger iſt es zu verwundern, daß die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0068" n="56"/>
              <fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Drittes Capitel</hi>.</fw><lb/>
              <p>73. Die Pra&#x0364;laten und großen Barone &#x017F;aßen in des<lb/>
Ko&#x0364;nigs Rath, <hi rendition="#aq">parlement;</hi> &#x017F;ie bildeten den Gerichtshof<lb/>
des Ko&#x0364;nigs, <hi rendition="#aq">curia regis,</hi> theils ver&#x017F;ammelt, theils die<lb/>
Graf&#x017F;chaften durchrei&#x017F;end. Wenn Steuern noth &#x017F;ind, und<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ind u&#x0364;berall noth, wo nicht Provinzen, in der Ro&#x0364;mer<lb/>
Art, aushelfen, bringen die rei&#x017F;enden Richter &#x017F;ie in den<lb/>
einzelnen Graf&#x017F;chaften und Sta&#x0364;dten auf. Ausnahmswei&#x017F;e<lb/>
wurden Deputirte aus den Graf&#x017F;chaften (Ritter von den<lb/>
Einwohnern gewa&#x0364;hlt im J. 1254.) etwa zum Ko&#x0364;nige be-<lb/>
rufen, um in Zeiten des Dranges Bei&#x017F;teuern zu geben.<lb/>
Die Regel war eine Reihe von Privat-Vertra&#x0364;gen. Es<lb/>
gab noch keine &#x017F;teuerbewilligende Ver&#x017F;ammlung.</p><lb/>
              <p>Im Jahre 1264 aber fu&#x0364;hrten die großen Baronen<lb/>
Krieg mit ihrem auf Ausla&#x0364;nder bauenden Ko&#x0364;nige Hein-<lb/>
rich <hi rendition="#aq">III.</hi> wegen gekra&#x0364;nkter Freiheit; der &#x017F;chwache Ko&#x0364;nig<lb/>
fiel mit &#x017F;einem Erben gefangen in des Grafen von Lei-<lb/>
ce&#x017F;ier, Simon von Montfort, Ha&#x0364;nde. Da beruft im<lb/>
na&#x0364;ch&#x017F;ten Jahre der Sieger, um die u&#x017F;urpirte Macht zu<lb/>
&#x017F;ichern, Deputirte aus Graf&#x017F;chaften, Sta&#x0364;dten und Flecken<lb/>
zur Parlaments-Ver&#x017F;ammlung. Die&#x017F;e Anordnung ward<lb/>
dauernd, nachdem der aus der Gefangen&#x017F;chaft befreite<lb/>
Ko&#x0364;nigs&#x017F;ohn die Krone wiederherge&#x017F;tellt hatte und als<lb/>
Eduard <hi rendition="#aq">I.</hi> herr&#x017F;chte.</p><lb/>
              <p>Die neue Ver&#x017F;ammlung ward um der Steuern Willen<lb/>
berufen, welche die Gemeinden, deren Organ die De-<lb/>
putirten waren, bewilligen &#x017F;ollten. Sie er&#x017F;chienen nicht<lb/>
aus per&#x017F;o&#x0364;nlichem Rechte, wie die Mitglieder alter Volks-<lb/>
ver&#x017F;ammlungen, und die Ver&#x017F;ammlung ihrer gei&#x017F;tlichen und<lb/>
weltlichen Lords. Kein Zweifel auch, daß &#x017F;ie an Auftra&#x0364;ge<lb/>
ihrer Wa&#x0364;hler gebunden, er&#x017F;t im Verlaufe der Jahrhunderte<lb/>
zu <hi rendition="#g">Vertretern</hi>, nach eigner freier Ein&#x017F;icht handelnd,<lb/>
gediehen. Um &#x017F;o weniger i&#x017F;t es zu verwundern, daß die<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0068] Drittes Capitel. 73. Die Praͤlaten und großen Barone ſaßen in des Koͤnigs Rath, parlement; ſie bildeten den Gerichtshof des Koͤnigs, curia regis, theils verſammelt, theils die Grafſchaften durchreiſend. Wenn Steuern noth ſind, und ſie ſind uͤberall noth, wo nicht Provinzen, in der Roͤmer Art, aushelfen, bringen die reiſenden Richter ſie in den einzelnen Grafſchaften und Staͤdten auf. Ausnahmsweiſe wurden Deputirte aus den Grafſchaften (Ritter von den Einwohnern gewaͤhlt im J. 1254.) etwa zum Koͤnige be- rufen, um in Zeiten des Dranges Beiſteuern zu geben. Die Regel war eine Reihe von Privat-Vertraͤgen. Es gab noch keine ſteuerbewilligende Verſammlung. Im Jahre 1264 aber fuͤhrten die großen Baronen Krieg mit ihrem auf Auslaͤnder bauenden Koͤnige Hein- rich III. wegen gekraͤnkter Freiheit; der ſchwache Koͤnig fiel mit ſeinem Erben gefangen in des Grafen von Lei- ceſier, Simon von Montfort, Haͤnde. Da beruft im naͤchſten Jahre der Sieger, um die uſurpirte Macht zu ſichern, Deputirte aus Grafſchaften, Staͤdten und Flecken zur Parlaments-Verſammlung. Dieſe Anordnung ward dauernd, nachdem der aus der Gefangenſchaft befreite Koͤnigsſohn die Krone wiederhergeſtellt hatte und als Eduard I. herrſchte. Die neue Verſammlung ward um der Steuern Willen berufen, welche die Gemeinden, deren Organ die De- putirten waren, bewilligen ſollten. Sie erſchienen nicht aus perſoͤnlichem Rechte, wie die Mitglieder alter Volks- verſammlungen, und die Verſammlung ihrer geiſtlichen und weltlichen Lords. Kein Zweifel auch, daß ſie an Auftraͤge ihrer Waͤhler gebunden, erſt im Verlaufe der Jahrhunderte zu Vertretern, nach eigner freier Einſicht handelnd, gediehen. Um ſo weniger iſt es zu verwundern, daß die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/68
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/68>, abgerufen am 09.10.2024.