Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Staatsverfassung der Alten. Rom.
die Nähe der Gefahr, daß Rom, ja selbst Italien aufhörte,
Mittelpunkt des Reichs zu seyn. Denn die Begüterten
aus allen Enden des Römischen Reiches kamen jetzt in den
Römischen Senat, in die Römische Ritterschaft, und nicht
lange, so sah man Spanier, welche Kaiser wurden.

63. Alle besseren Kaiser hoben den Senat als das
einzig übrige Bild der alten Ordnung, wäre es auch nur
durch die Zusage, daß kein Senator hingerichtet werden
dürfe; hoben die Ehre der Gesetze, und mochten deßhalb
neben dem Rechte der Ausnahmen (princeps legibus so-
lutus est
) recht gerne den Satz 1) gestellt wissen: quae
facta laedunt pietatem, existimationem, verecundiam
nostram et (ut generaliter dixerim) contra bonos mores
fiunt, nec facere nos posse credendum est;
beriefen deß-
halb ihre großen Meister in der Rechtsgelehrsamkeit, die
einzig bewährten Charaktere der Zeit, in ihr Hofgericht,
wo der Kaiser in Person sprach, als Beistände, und man-
cher Statthalter mußte empfinden, was es bedeute, daß er
nun nicht mehr, wie zur Zeit des Freistaats, in letzter
Instanz Recht spreche. Alles beruhte indeß auf der Persön-
lichkeit des Kaisers, und bei dem Mangel aller zwingenden
Grundsätze ward die ohnehin schwache vererbende Kraft des
Guten, während das Böse sich tief in die Fasern ganzer
Geschlechter einnistet, vollends ohnmächtig. Die schlimme
Art brach zuletzt immer durch. Kaiser Valens ließ sich
überreden, die Wahrnehmung des oberstrichterlichen Amts
sey tief unter seiner Würde 2).

1) Papinians. Digest. L. XXVIII. t. 7, 15.
2) -- quod infra imperiale columen causarum essent minutiae pri-
vatarum. Ammian. Marcell. l. XXX. c.
4. Anfg. s. Bethmann-
Hollweg, Gerichtsverfassung und Proceß des sinkenden Römi-
schen Reichs. S. 98.

Staatsverfaſſung der Alten. Rom.
die Naͤhe der Gefahr, daß Rom, ja ſelbſt Italien aufhoͤrte,
Mittelpunkt des Reichs zu ſeyn. Denn die Beguͤterten
aus allen Enden des Roͤmiſchen Reiches kamen jetzt in den
Roͤmiſchen Senat, in die Roͤmiſche Ritterſchaft, und nicht
lange, ſo ſah man Spanier, welche Kaiſer wurden.

63. Alle beſſeren Kaiſer hoben den Senat als das
einzig uͤbrige Bild der alten Ordnung, waͤre es auch nur
durch die Zuſage, daß kein Senator hingerichtet werden
duͤrfe; hoben die Ehre der Geſetze, und mochten deßhalb
neben dem Rechte der Ausnahmen (princeps legibus so-
lutus est
) recht gerne den Satz 1) geſtellt wiſſen: quae
facta laedunt pietatem, existimationem, verecundiam
nostram et (ut generaliter dixerim) contra bonos mores
fiunt, nec facere nos posse credendum est;
beriefen deß-
halb ihre großen Meiſter in der Rechtsgelehrſamkeit, die
einzig bewaͤhrten Charaktere der Zeit, in ihr Hofgericht,
wo der Kaiſer in Perſon ſprach, als Beiſtaͤnde, und man-
cher Statthalter mußte empfinden, was es bedeute, daß er
nun nicht mehr, wie zur Zeit des Freiſtaats, in letzter
Inſtanz Recht ſpreche. Alles beruhte indeß auf der Perſoͤn-
lichkeit des Kaiſers, und bei dem Mangel aller zwingenden
Grundſaͤtze ward die ohnehin ſchwache vererbende Kraft des
Guten, waͤhrend das Boͤſe ſich tief in die Faſern ganzer
Geſchlechter einniſtet, vollends ohnmaͤchtig. Die ſchlimme
Art brach zuletzt immer durch. Kaiſer Valens ließ ſich
uͤberreden, die Wahrnehmung des oberſtrichterlichen Amts
ſey tief unter ſeiner Wuͤrde 2).

1) Papinians. Digest. L. XXVIII. t. 7, 15.
2)quod infra imperiale columen causarum essent minutiae pri-
vatarum. Ammian. Marcell. l. XXX. c.
4. Anfg. ſ. Bethmann-
Hollweg, Gerichtsverfaſſung und Proceß des ſinkenden Roͤmi-
ſchen Reichs. S. 98.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0059" n="47"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Staatsverfa&#x017F;&#x017F;ung der Alten. Rom</hi>.</fw><lb/>
die Na&#x0364;he der Gefahr, daß Rom, ja &#x017F;elb&#x017F;t Italien aufho&#x0364;rte,<lb/>
Mittelpunkt des Reichs zu &#x017F;eyn. Denn die Begu&#x0364;terten<lb/>
aus allen Enden des Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Reiches kamen jetzt in den<lb/>
Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Senat, in die Ro&#x0364;mi&#x017F;che Ritter&#x017F;chaft, und nicht<lb/>
lange, &#x017F;o &#x017F;ah man Spanier, welche Kai&#x017F;er wurden.</p><lb/>
              <p>63. Alle be&#x017F;&#x017F;eren Kai&#x017F;er hoben den Senat als das<lb/>
einzig u&#x0364;brige Bild der alten Ordnung, wa&#x0364;re es auch nur<lb/>
durch die Zu&#x017F;age, daß kein Senator hingerichtet werden<lb/>
du&#x0364;rfe; hoben die Ehre der Ge&#x017F;etze, und mochten deßhalb<lb/>
neben dem Rechte der Ausnahmen (<hi rendition="#aq">princeps legibus so-<lb/>
lutus est</hi>) recht gerne den Satz <hi rendition="#sup">1</hi>) ge&#x017F;tellt wi&#x017F;&#x017F;en: <hi rendition="#aq">quae<lb/>
facta laedunt pietatem, existimationem, verecundiam<lb/>
nostram et (ut generaliter dixerim) contra bonos mores<lb/>
fiunt, nec facere nos posse credendum est;</hi> beriefen deß-<lb/>
halb ihre großen Mei&#x017F;ter in der Rechtsgelehr&#x017F;amkeit, die<lb/>
einzig bewa&#x0364;hrten Charaktere der Zeit, in ihr Hofgericht,<lb/>
wo der Kai&#x017F;er in Per&#x017F;on &#x017F;prach, als Bei&#x017F;ta&#x0364;nde, und man-<lb/>
cher Statthalter mußte empfinden, was es bedeute, daß er<lb/>
nun nicht mehr, wie zur Zeit des Frei&#x017F;taats, in letzter<lb/>
In&#x017F;tanz Recht &#x017F;preche. Alles beruhte indeß auf der Per&#x017F;o&#x0364;n-<lb/>
lichkeit des Kai&#x017F;ers, und bei dem Mangel aller zwingenden<lb/>
Grund&#x017F;a&#x0364;tze ward die ohnehin &#x017F;chwache vererbende Kraft des<lb/>
Guten, wa&#x0364;hrend das Bo&#x0364;&#x017F;e &#x017F;ich tief in die Fa&#x017F;ern ganzer<lb/>
Ge&#x017F;chlechter einni&#x017F;tet, vollends ohnma&#x0364;chtig. Die &#x017F;chlimme<lb/>
Art brach zuletzt immer durch. Kai&#x017F;er Valens ließ &#x017F;ich<lb/>
u&#x0364;berreden, die Wahrnehmung des ober&#x017F;trichterlichen Amts<lb/>
&#x017F;ey tief unter &#x017F;einer Wu&#x0364;rde <hi rendition="#sup">2</hi>).</p><lb/>
              <note place="end" n="1)">Papinians. <hi rendition="#aq">Digest. L. XXVIII. t.</hi> 7, 15.</note><lb/>
              <note place="end" n="2)">&#x2014; <hi rendition="#aq">quod infra imperiale columen causarum essent minutiae pri-<lb/>
vatarum. Ammian. Marcell. l. XXX. c.</hi> 4. Anfg. &#x017F;. Bethmann-<lb/>
Hollweg, Gerichtsverfa&#x017F;&#x017F;ung und Proceß des &#x017F;inkenden Ro&#x0364;mi-<lb/>
&#x017F;chen Reichs. S. 98.</note><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0059] Staatsverfaſſung der Alten. Rom. die Naͤhe der Gefahr, daß Rom, ja ſelbſt Italien aufhoͤrte, Mittelpunkt des Reichs zu ſeyn. Denn die Beguͤterten aus allen Enden des Roͤmiſchen Reiches kamen jetzt in den Roͤmiſchen Senat, in die Roͤmiſche Ritterſchaft, und nicht lange, ſo ſah man Spanier, welche Kaiſer wurden. 63. Alle beſſeren Kaiſer hoben den Senat als das einzig uͤbrige Bild der alten Ordnung, waͤre es auch nur durch die Zuſage, daß kein Senator hingerichtet werden duͤrfe; hoben die Ehre der Geſetze, und mochten deßhalb neben dem Rechte der Ausnahmen (princeps legibus so- lutus est) recht gerne den Satz 1) geſtellt wiſſen: quae facta laedunt pietatem, existimationem, verecundiam nostram et (ut generaliter dixerim) contra bonos mores fiunt, nec facere nos posse credendum est; beriefen deß- halb ihre großen Meiſter in der Rechtsgelehrſamkeit, die einzig bewaͤhrten Charaktere der Zeit, in ihr Hofgericht, wo der Kaiſer in Perſon ſprach, als Beiſtaͤnde, und man- cher Statthalter mußte empfinden, was es bedeute, daß er nun nicht mehr, wie zur Zeit des Freiſtaats, in letzter Inſtanz Recht ſpreche. Alles beruhte indeß auf der Perſoͤn- lichkeit des Kaiſers, und bei dem Mangel aller zwingenden Grundſaͤtze ward die ohnehin ſchwache vererbende Kraft des Guten, waͤhrend das Boͤſe ſich tief in die Faſern ganzer Geſchlechter einniſtet, vollends ohnmaͤchtig. Die ſchlimme Art brach zuletzt immer durch. Kaiſer Valens ließ ſich uͤberreden, die Wahrnehmung des oberſtrichterlichen Amts ſey tief unter ſeiner Wuͤrde 2). ¹⁾ Papinians. Digest. L. XXVIII. t. 7, 15. ²⁾ — quod infra imperiale columen causarum essent minutiae pri- vatarum. Ammian. Marcell. l. XXX. c. 4. Anfg. ſ. Bethmann- Hollweg, Gerichtsverfaſſung und Proceß des ſinkenden Roͤmi- ſchen Reichs. S. 98.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/59
Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/59>, abgerufen am 22.11.2024.