Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.Religion und Kirche im Staate. der Prediger mit ihren Gemeinden führen oder auch nichtführen möge; Oder, der Landesherr entäußert sich der allei- nigen Kirchengewalt, fordert die einzelnen Gemeinden auf einen gemischten Kirchenvorstand aus freigewählten (nicht lebenslänglichen) Ältesten und Orts-Geistlichen sich zu bil- den, diesem ihr kirchliches Vermögen unter Oberaufsicht des Staates in selbständige Verwaltung zu geben, nicht minder durch das Presbyterium die Wahl von Geistlichen und Ältesten vorzunehmen, die auf einer Provincial- oder auch allgemeinen Synode ihren Rath abgeben werden, und wider deren Rath nicht entschieden werden soll. Den Con- sistorien bleibt dabei ihre Gewalt als landesherrlichen Be- hörden in Kirchensachen unbenommen, die Synoden aber gehen aus der kirchlichen Gemeinde eben wie die Stände- versammlungen aus der politischen, indeß mit minder Will- kühr aus organischen Grundlagen hervor. Auch an Mit- gliedern von landesherrlicher Ernennung wird es in der Synode nicht fehlen. Denn ersten dieser Wege hat die Preußische Regierung im Jahre 1798 versucht, und in der Königlichen Cabinetsordre wegen der neuen Liturgie vom 18ten Juli so bezeichnet: "Jetzt besonders freut es mich, daß Hoffnung vorhanden ist, beide Confessionen durch eine gemeinschaftliche Agende, der bleibenden Verschiedenheit der Meinungen ungeachtet einander näher zu bringen, und da- durch selbst den unaufgeklärten Theil der kirchlichen Ge- meine immer mehr zu überzeugen, daß Friede, Liebe und Duldung die einzigen nöthigsten Mittel in Religionssachen sind. Durchdrungen von dieser Wahrheit will ich, daß bei der vorhabenden Liturgie nicht nur aller Zwang -- denn an diesen darf in Angelegenheiten des Gewissens und der Überzeugung gar nicht gedacht werden -- sondern auch so viel als möglich alle bürgerliche Autorität vermieden, und Religion und Kirche im Staate. der Prediger mit ihren Gemeinden fuͤhren oder auch nichtfuͤhren moͤge; Oder, der Landesherr entaͤußert ſich der allei- nigen Kirchengewalt, fordert die einzelnen Gemeinden auf einen gemiſchten Kirchenvorſtand aus freigewaͤhlten (nicht lebenslaͤnglichen) Älteſten und Orts-Geiſtlichen ſich zu bil- den, dieſem ihr kirchliches Vermoͤgen unter Oberaufſicht des Staates in ſelbſtaͤndige Verwaltung zu geben, nicht minder durch das Presbyterium die Wahl von Geiſtlichen und Älteſten vorzunehmen, die auf einer Provincial- oder auch allgemeinen Synode ihren Rath abgeben werden, und wider deren Rath nicht entſchieden werden ſoll. Den Con- ſiſtorien bleibt dabei ihre Gewalt als landesherrlichen Be- hoͤrden in Kirchenſachen unbenommen, die Synoden aber gehen aus der kirchlichen Gemeinde eben wie die Staͤnde- verſammlungen aus der politiſchen, indeß mit minder Will- kuͤhr aus organiſchen Grundlagen hervor. Auch an Mit- gliedern von landesherrlicher Ernennung wird es in der Synode nicht fehlen. Denn erſten dieſer Wege hat die Preußiſche Regierung im Jahre 1798 verſucht, und in der Koͤniglichen Cabinetsordre wegen der neuen Liturgie vom 18ten Juli ſo bezeichnet: “Jetzt beſonders freut es mich, daß Hoffnung vorhanden iſt, beide Confeſſionen durch eine gemeinſchaftliche Agende, der bleibenden Verſchiedenheit der Meinungen ungeachtet einander naͤher zu bringen, und da- durch ſelbſt den unaufgeklaͤrten Theil der kirchlichen Ge- meine immer mehr zu uͤberzeugen, daß Friede, Liebe und Duldung die einzigen noͤthigſten Mittel in Religionsſachen ſind. Durchdrungen von dieſer Wahrheit will ich, daß bei der vorhabenden Liturgie nicht nur aller Zwang — denn an dieſen darf in Angelegenheiten des Gewiſſens und der Überzeugung gar nicht gedacht werden — ſondern auch ſo viel als moͤglich alle buͤrgerliche Autoritaͤt vermieden, und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0337" n="325"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Religion und Kirche im Staate</hi>.</fw><lb/> der Prediger mit ihren Gemeinden fuͤhren oder auch nicht<lb/> fuͤhren moͤge; Oder, der Landesherr entaͤußert ſich der allei-<lb/> nigen Kirchengewalt, fordert die einzelnen Gemeinden auf<lb/> einen gemiſchten Kirchenvorſtand aus freigewaͤhlten (nicht<lb/> lebenslaͤnglichen) Älteſten und Orts-Geiſtlichen ſich zu bil-<lb/> den, dieſem ihr kirchliches Vermoͤgen unter Oberaufſicht<lb/> des Staates in ſelbſtaͤndige Verwaltung zu geben, nicht<lb/> minder durch das Presbyterium die Wahl von Geiſtlichen<lb/> und Älteſten vorzunehmen, die auf einer Provincial- oder<lb/> auch allgemeinen Synode ihren Rath abgeben werden, und<lb/> wider deren Rath nicht entſchieden werden ſoll. 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Religion und Kirche im Staate.
der Prediger mit ihren Gemeinden fuͤhren oder auch nicht
fuͤhren moͤge; Oder, der Landesherr entaͤußert ſich der allei-
nigen Kirchengewalt, fordert die einzelnen Gemeinden auf
einen gemiſchten Kirchenvorſtand aus freigewaͤhlten (nicht
lebenslaͤnglichen) Älteſten und Orts-Geiſtlichen ſich zu bil-
den, dieſem ihr kirchliches Vermoͤgen unter Oberaufſicht
des Staates in ſelbſtaͤndige Verwaltung zu geben, nicht
minder durch das Presbyterium die Wahl von Geiſtlichen
und Älteſten vorzunehmen, die auf einer Provincial- oder
auch allgemeinen Synode ihren Rath abgeben werden, und
wider deren Rath nicht entſchieden werden ſoll. Den Con-
ſiſtorien bleibt dabei ihre Gewalt als landesherrlichen Be-
hoͤrden in Kirchenſachen unbenommen, die Synoden aber
gehen aus der kirchlichen Gemeinde eben wie die Staͤnde-
verſammlungen aus der politiſchen, indeß mit minder Will-
kuͤhr aus organiſchen Grundlagen hervor. Auch an Mit-
gliedern von landesherrlicher Ernennung wird es in der
Synode nicht fehlen. Denn erſten dieſer Wege hat die
Preußiſche Regierung im Jahre 1798 verſucht, und in der
Koͤniglichen Cabinetsordre wegen der neuen Liturgie vom
18ten Juli ſo bezeichnet: “Jetzt beſonders freut es mich,
daß Hoffnung vorhanden iſt, beide Confeſſionen durch eine
gemeinſchaftliche Agende, der bleibenden Verſchiedenheit der
Meinungen ungeachtet einander naͤher zu bringen, und da-
durch ſelbſt den unaufgeklaͤrten Theil der kirchlichen Ge-
meine immer mehr zu uͤberzeugen, daß Friede, Liebe und
Duldung die einzigen noͤthigſten Mittel in Religionsſachen
ſind. Durchdrungen von dieſer Wahrheit will ich, daß bei
der vorhabenden Liturgie nicht nur aller Zwang — denn
an dieſen darf in Angelegenheiten des Gewiſſens und der
Überzeugung gar nicht gedacht werden — ſondern auch ſo
viel als moͤglich alle buͤrgerliche Autoritaͤt vermieden, und
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