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Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835.

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Religion und Kirche im Staate.
was Gott geschaffen hat, ein Gemeingut, brechen in des
Andern Gehege, Bruder und Schwester verehlichen sich,
und alle Menschen sollen nach Gottes Befehl sich gleich
seyn, ohne Obrigkeit etc. Da trat die Mehrzahl herzu und
legte den gefährlich Gläubigen durch ihre größere Stärke
wenigstens als Gesetz auf so nicht zu thun, obwohl sie
ihren Glauben nicht hindern konnte, und auch mit der
Duldung sah es übel aus, da die Unterliegenden an Hand-
lungen gehindert wurden, die der unmittelbare Abdruck
ihres Glaubens waren. So Möser. Nun trat freilich
Rehberg, derzeit vom Studium der Kantischen Philosophie
erfüllt, mit mehreren Instanzen dazwischen, als z. B.,
daß jener der gegen den Atheisten gewinnt, erst beweisen
müsse, daß er den Gott, den er zu glauben vorgebe, wirk-
lich glaube; denn sonst könne die bürgerliche Zusicherung
des Atheisten, der sich bloß zu dem Vernunft- und Sit-
tengesetz bekennt, ohne Vergleich ehrenwerther seyn etc. Mö-
ser schreitet dagegen in seiner Richtung fort und gelangt
durch die weitere Entwickelung seiner Beispiele zu dem
Resultat: der Staat muß sich die Glaubensbekenntnisse
jeder Parthey, die sich als solche geltend macht, vorlegen
lassen; hat er eines gebilligt, so muß die Parthey solches
in ihren Schulen und Tempeln nicht nur getreulich, ohne Zu-
satz lehren, sodann auch ihre Jugend sich dazu auf eine feier-
liche Art bekennen lassen. Ob er sein Bekenntniß wirklich
glaube, darf der Staat nicht weiter erforschen wollen, er
muß die rechtliche Meinung für sich haben. Wer es aber
nicht kund geben will, der ist zwar zu dulden, aber er
kann zu keinem obrigkeitlichen Amte gelangen, sein Zeug-
niß wird nicht angenommen, und wenn es zum Kriege
geht, muß er, weil man ihm selber die Waffen nicht ver-
trauen kann, seinen Mann bezahlen. Dabei wird er aber

Religion und Kirche im Staate.
was Gott geſchaffen hat, ein Gemeingut, brechen in des
Andern Gehege, Bruder und Schweſter verehlichen ſich,
und alle Menſchen ſollen nach Gottes Befehl ſich gleich
ſeyn, ohne Obrigkeit ꝛc. Da trat die Mehrzahl herzu und
legte den gefaͤhrlich Glaͤubigen durch ihre groͤßere Staͤrke
wenigſtens als Geſetz auf ſo nicht zu thun, obwohl ſie
ihren Glauben nicht hindern konnte, und auch mit der
Duldung ſah es uͤbel aus, da die Unterliegenden an Hand-
lungen gehindert wurden, die der unmittelbare Abdruck
ihres Glaubens waren. So Moͤſer. Nun trat freilich
Rehberg, derzeit vom Studium der Kantiſchen Philoſophie
erfuͤllt, mit mehreren Inſtanzen dazwiſchen, als z. B.,
daß jener der gegen den Atheiſten gewinnt, erſt beweiſen
muͤſſe, daß er den Gott, den er zu glauben vorgebe, wirk-
lich glaube; denn ſonſt koͤnne die buͤrgerliche Zuſicherung
des Atheiſten, der ſich bloß zu dem Vernunft- und Sit-
tengeſetz bekennt, ohne Vergleich ehrenwerther ſeyn ꝛc. Moͤ-
ſer ſchreitet dagegen in ſeiner Richtung fort und gelangt
durch die weitere Entwickelung ſeiner Beiſpiele zu dem
Reſultat: der Staat muß ſich die Glaubensbekenntniſſe
jeder Parthey, die ſich als ſolche geltend macht, vorlegen
laſſen; hat er eines gebilligt, ſo muß die Parthey ſolches
in ihren Schulen und Tempeln nicht nur getreulich, ohne Zu-
ſatz lehren, ſodann auch ihre Jugend ſich dazu auf eine feier-
liche Art bekennen laſſen. Ob er ſein Bekenntniß wirklich
glaube, darf der Staat nicht weiter erforſchen wollen, er
muß die rechtliche Meinung fuͤr ſich haben. Wer es aber
nicht kund geben will, der iſt zwar zu dulden, aber er
kann zu keinem obrigkeitlichen Amte gelangen, ſein Zeug-
niß wird nicht angenommen, und wenn es zum Kriege
geht, muß er, weil man ihm ſelber die Waffen nicht ver-
trauen kann, ſeinen Mann bezahlen. Dabei wird er aber

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[317/0329] Religion und Kirche im Staate. was Gott geſchaffen hat, ein Gemeingut, brechen in des Andern Gehege, Bruder und Schweſter verehlichen ſich, und alle Menſchen ſollen nach Gottes Befehl ſich gleich ſeyn, ohne Obrigkeit ꝛc. Da trat die Mehrzahl herzu und legte den gefaͤhrlich Glaͤubigen durch ihre groͤßere Staͤrke wenigſtens als Geſetz auf ſo nicht zu thun, obwohl ſie ihren Glauben nicht hindern konnte, und auch mit der Duldung ſah es uͤbel aus, da die Unterliegenden an Hand- lungen gehindert wurden, die der unmittelbare Abdruck ihres Glaubens waren. So Moͤſer. Nun trat freilich Rehberg, derzeit vom Studium der Kantiſchen Philoſophie erfuͤllt, mit mehreren Inſtanzen dazwiſchen, als z. B., daß jener der gegen den Atheiſten gewinnt, erſt beweiſen muͤſſe, daß er den Gott, den er zu glauben vorgebe, wirk- lich glaube; denn ſonſt koͤnne die buͤrgerliche Zuſicherung des Atheiſten, der ſich bloß zu dem Vernunft- und Sit- tengeſetz bekennt, ohne Vergleich ehrenwerther ſeyn ꝛc. Moͤ- ſer ſchreitet dagegen in ſeiner Richtung fort und gelangt durch die weitere Entwickelung ſeiner Beiſpiele zu dem Reſultat: der Staat muß ſich die Glaubensbekenntniſſe jeder Parthey, die ſich als ſolche geltend macht, vorlegen laſſen; hat er eines gebilligt, ſo muß die Parthey ſolches in ihren Schulen und Tempeln nicht nur getreulich, ohne Zu- ſatz lehren, ſodann auch ihre Jugend ſich dazu auf eine feier- liche Art bekennen laſſen. Ob er ſein Bekenntniß wirklich glaube, darf der Staat nicht weiter erforſchen wollen, er muß die rechtliche Meinung fuͤr ſich haben. Wer es aber nicht kund geben will, der iſt zwar zu dulden, aber er kann zu keinem obrigkeitlichen Amte gelangen, ſein Zeug- niß wird nicht angenommen, und wenn es zum Kriege geht, muß er, weil man ihm ſelber die Waffen nicht ver- trauen kann, ſeinen Mann bezahlen. Dabei wird er aber

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Zitationshilfe: Dahlmann, Friedrich Christoph: Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt. Bd. 1: Staatsverfassung. Volksbildung. Göttingen, 1835, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dahlmann_politik_1835/329>, abgerufen am 03.05.2024.